Ausstellungen zur Weißenhofsiedlung

Heller wohnen

Zwei Ausstellungen in Stuttgart würdigen die 1927 gebaute Weißenhofsiedlung.

Mit einem Plakat, das eine vollgestopfte und ziemlich dunkle Wohnung zeigt, wurde 1927 für die Stuttgarter Werkbund-Ausstellung »Die Wohnung« geworben. Vollgestellte Tische, vollgehängte Wände, schwere Polstermöbel und Perserteppiche waren signalrot durchkreuzt, und dazu wurde gefragt: »Wie wohnen?«

Ganz anders als bisher, so lautete die Antwort der an dem Vorzeigeprojekt beteiligten Architekten, nämlich sonnig, funktional und schön sollte der Großstädter zukünftig leben können. Vorgeführt wurde dieser neue schnörkellose Bau- und Lebensstil mit seinen einfachen Grundrissen, hellen, klaren Räumen und seinen schlichten Möbeln und Materialien in der 1927 auf dem Stuttgarter Killesberg errichteten Mustersiedlung »Am Weißenhof«. Die vom Deutschen Werkbund initiierte und von der Stadt Stuttgart finanzierte Ausstellung sah sich damals eine halbe Million Menschen aus aller Welt an.

Auf einem herrlichen Gelände mit Blick auf die im Talkessel gelegene Stadt hatten die 17 Stararchitekten unter der Leitung von Mies van der Rohe binnen rekordverdächtiger 21 Wochen 21 Häuser mit insgesamt 63 Wohnungen für den Mittelständler errichtet.

Anlässlich des 75.Jubiläums der nach wie vor bewohnten weltberühmten Siedlung würdigt die Stadt Stuttgart mit zwei Ausstellungen die Musterwohnungen des Neuen Bauens. Die Ausstellung in der städtischen Galerie am Schlossplatz macht auf umfassende Weise mit den zahlreichen Facetten dieser Avantgardesiedlung vertraut. Die gelungene Kombination von Texten, Fotografien, Zeichnungen, Häusermodellen sowie verschiedenen Einrichtungsgegenständen verdichten den Rundgang zu einem beeindruckenden Bild von den Vorstellungen des neuen Wohnens am Ende der zwanziger Jahre. Die Modelle sind so platziert und gebaut, dass man sie ohne Probleme durchschauen kann und erkennt, wie die Wohnungen geschnitten sind.

Die Bedeutung der Weißenhofsiedlung betonte bereits 1927 der Architekturkritiker Walter Curt Behrendt in seinem Buch »Der Sieg des neuen Baustils«: »Um eine geistige Bewegung, nicht um eine flüchtige Kunstmode oder irgendeinen neuen Ismus aber handelt es sich bei den Versuchen zu einer Erneuerung der Architektur, mit denen wir uns hier auseinanderzusetzen haben. Für die Ursprünglichkeit dieser Bewegung und für die Tatsache, dass sie aufs Innigste mit dem Geistesleben der Zeit verbunden ist, spricht allein schon der Umstand, dass sie internationalen Charakter trägt, dass sie gleichzeitig und mit gleich gerichteten Zielen in verschiedenen Ländern hervorgebrochen ist. Es finden sich Äußerungen dieser Bewegung - mit gewissen, durch nationale Eigentümlichkeiten bedingten Nuancen - in Amerika wie in nahezu allen europäischen Ländern, in Deutschland und Holland, in Österreich und der Tschechoslowakei, in Italien, Frankreich und Russland.«

Bereits eine Woche nach dem Ende der Schau zog der Gemeinderat damals eine positive Bilanz, und es wurde überlegt, ob im nächsten Jahr nicht die Häuser wieder für Besichtigungen geöffnet werden sollten. Diese Idee wurde jedoch nie verwirklicht. Nach 1933 stellten die Nationalsozialisten gleich klar, wie sie die Weißenhofsiedlung sehen, und erklärten, dass das Quartier »der deutlichste Beweis für den Niedergang der deutschen Baugesinnung ist. Es besteht ein öffentliches Interesse aller Deutschgesinnten, solche weltbürgerlichen Versuche zu verhindern. Unsere schöne Stadt Stuttgart muss vor einer weiteren Verschandelung bewahrt werden.«

So ist es nachzulesen im Amtsblatt Nr. 39 vom 4. April 1933. Eine Postkarte von 1933 stilisiert diesen »Schandfleck« zu einem »Araberdorf« mit Palmen, Kamelen und Turbanträgern. 1938/39 verkaufte die Stadt das Gelände ans Deutsche Reich zum Abriss. Etwa in der Größe des Schlossplatzes sollte hier das Generalkommando des Heeres entstehen. An einem Wettbewerb beteiligte sich sogar einer der namhaftesten Vertreter des Neuen Bauens im Südwesten, der Weißenhof-Architekt Adolf Schneck. Zum Glück wurden 1941 die Planungen eingestellt.

Realisiert jedoch wurden die Vorstellungen einer völkisch-traditionellen Architektur in unmittelbarer Nachbarschaft dieser von den Nazis gehassten Ikone der Moderne. So entstand zwischen 1927 und 1933 die Kochenhofsiedlung nach den Entwürfen von Paul Schmitthenner, für den die Weißenhofsiedlung ein »italienisches Bergnest« war, im Heimatstil mit Satteldächern und schmucken Fensterläden. Die Anlage galt als »nationalsozialistische Mustersiedlung«, als »romantische Vorstadtsiedlung im Grünen«. Besucher der Weißenhofsiedlung sollten sich anschließend ruhig auch die Kochenhofanlage ansehen, damit sie wirklich begreifen, welche Bedeutung dieses Kleinod auf dem Killesberg hat, und welch miefige Atmosphäre Schmitthenners Gegenmodell verbreitet.

Die meisten Wohnungen der Weißenhofsiedlung standen seit Kriegsbeginn leer oder wurden als Büros genutzt, der Mies-Wohnblock wurde zum Kinder-seuchenkrankenhaus umfunktioniert. Nach 1945 wurden die Häuser wieder zum Wohnen hergerichtet, das Behrens-Haus bekam später Satteldächer, die durch den Krieg beschädigten Gebäude räumte man kurzerhand einfach ab, um »ordentliche« an ihre Stelle zu bauen. Mitte der Fünfziger wurde die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt. Bodo Rasch, der dort 1927 mit seinem Bruder zwei Wohnungen eingerichtet hatte, unterstützte 1977 die Gründung des Vereins »Freunde der Weißenhofsiedlung«, der sich um die Sanierung bemühte. Von 1981 bis 1986 führte die Bundesrepublik als Eigentümerin umfangreiche Rekonstruktionsarbeiten durch. In zwei Jahren soll es im Doppelhaus von Corbusier auch ein Informations- und Dokumentationszentrum geben.

»Die Weißenhofsiedlung Stuttgart 1927 - Pläne, Zeichnungen, Modelle, Möbel« und »Neues Bauen International 1927-2002 - ein imaginäres Museum der Architektur-Avantgarde in Europa und Amerika«. Bis 6. Oktober, Galerie der Stadt Stuttgart, Schlossplatz 2