Eine Stadt, zwei Welten

Selbst jene NGO, die mit den Regierungen zusammenarbeiten, sind enttäuscht vom UN-Gipfeltreffen. Südafrikanische Organisationen konfrontierten die Teilnehmer mit der sozialen Realität des Landes.

Hallo Sandton«, rief Virginia Setshedi den Gipfelteilnehmern über den Stacheldraht zu, »es ist schade, dass ihr euch verbarrikadiert habt und uns hindert, hereinzukomen und euch die wirkliche Welt zu zeigen.« Sie gehört zu den Organisatoren einer Demonstration radikaler südafrikanischer Gruppen, die schon vorher prophezeit hatten, dass der Gipfel nicht zur Armutsbekämpfung beitragen werde.

Doch auch die Repräsentanten der NGO, die mit ihrer Lobbyarbeit das Ergebnis der bislang größten UN-Konferenz beeinflussen wollten, spüren wenig vom »Geist von Rio«. Denn bei den Verhandlungen im Sandton Convention Center (SCC) verschwinden die Prinzipien, denen die Regierungen auf früheren Konferenzen über nachhaltige Entwicklung zugestimmt haben, nach und nach von der Tagesordnung.

Eigentlich sollte der Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung (WSSD) eine Agenda für das 21. Jahrhundert entwerfen, die die Armutsbekämpfung und den Umweltschutz vereint. Keine leichte Aufgabe für die mehr als 100 versammelten Regierungschefs und die Vertreter der NGO aus 190 Ländern. Denn trotz zahlloser Diskussionen und Abkommen zeigen alle Indikatoren, dass der Wandel seit 1992 der Mehrheit der Weltbevölkerung mehr Armut brachte und die Umweltzerstörung fortgesetzt wird.

Der südafrikanische Präsident und Gastgeber, Thabo Mbeki, forderte in seiner Eröffnungsrede am Montag vergangener Woche die Gipfelteilnehmer dazu auf, die »globale Apartheid« zu beenden, in der »Inseln des Wohlstands von einem Meer der Armut umgeben« seien. Seit dem Ende der Apartheid in Südafrika regiert dort die Befreiungsbewegung African National Congress (ANC). Doch die soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung hat sich nicht verbessert, die Enttäuschung entlud sich in Protesten, die sich auch gegen die Regierung des ANC richteten.

Auch unter den internationalen NGO ist umstritten, wie ernst der von den Regierungen bekundete Wille zur Armutsbekämfung zu nehmen ist. So wurde Südafrika zum Gastgeber für gleich drei NGO-Gipfel in der Metropole Johannesburg, zwischen denen die Teilnehmer hin und her gefahren werden. Im offiziellen, von der Uno und der südafrikanischen Regierung unterstützten Global NGO Forum sammeln sich auf Konsens und Lobbyismus eingestellte Gruppen, der Tagungsort im National Recreation and Expo Center (Nasrec) ist jedoch 32 Kilometer vom SCC entfernt. Die Zahl der registrierten Teilnehmer blieb mit 20 000 viel geringer als ursprünglich erwartet.

Der ANC spielte eine bedeutende Rolle bei der Organisation des Programms und der Aktivitäten des Forums. Den Delegierten, die hier über die Armut, die Umwelzerstörung und ihre Strategien für den Gipfel debattieren, wird auch ein Kulturprogramm geboten. Im Ubuntu Village werden Informationsstände, Kulturausstellungen und Konzerte präsentiert. Der Begriff Ubuntu bedeutet: »Menschen versammeln sich.« Der Platz, auf dem angeblich das größte Zelt der Welt errichtet wurde, zieht nicht nur Gipfelbesucher an, sondern auch neugierige Zuschauer, die sich unter die internationale Menge mischen wollen.

Radikale Organisationen, die das offizielle NGO-Forum als »zu angepasst« betrachten, haben schon vor Monaten zum Boykott des Gipfels aufgerufen und das Social Movement Indaba gebildet. Sie halten ihren People's Earth Summit im St. Stithian's College im Johannesburger Distrikt Randburg ab. Zu den Organisatoren gehören das Anti Privatisation Forum, das Palestinian Solidarity Committee, Friends of the Earth, Indymedia-South Africa, Jubilee 2000 und andere NGO.

Bei den täglichen Hearings sprechen führende und preisgekrönte Aktivisten aus aller Welt, hier finden sich Leitfiguren der Antiglobalsierungsbewegung wie Naomi Klein und Vandana Shiva ebenso wie andere einflussreiche Akademiker und politische Experten. Das Treffen zählt weniger Teilnehmer als das Global NGO Forum und lehnt den WSSD ab, weil der politische Prozess seit der Konferenz von Rio im Sinne der globalen Konzerne verlaufen sei. Diesen Standpunkt vertreten auch Netzwerke, die zu einem Boykott des Gipfeltreffens aufriefen, nachdem die Resultate des Vorbereitungskomitees im Juni in Bali sehr dürftig ausfielen.

In Shareworld, einem baufälligen ehemaligen Vergnügungszentrum, traf sich die Landless People's Assembly. 15 internationale Bauernorganisationen, die sich dem glonbalen Netzwerk Via Campesina angeschlossen haben, und etwa 5 000 Delegierte von Landlosen aus Afrika, Lateinamerika und Asien, diskutierten hier vom 27. August bis zum 1. September. Nachhaltige Entwicklung, sagen sie, kann es nur geben, wenn das Land denen gehört, die es bebauen.

Die Teilnehmer aus Südafrika fordern, dass im Austausch für die Macht, die sie dem ANC bei zwei Wahlen gaben, Präsident Mbeki das Versprechen des Wandels einlösen müsse. Denn bisher wurden statt der versprochenen 30 nur zwei Prozent des Landes verteilt, so das South African Movement of Landless People in einer Erklärung. Auch nach dem Ende der Apartheid gehörten 70 Prozent des Landes den Weißen oder dem Staat. Eine Woche vor dem WSSD wurden 72 Teilnehmer einer Demonstration, die die südafrikanische Regierung aufforderte, endlich mehr Land zu verteilen, verhaftet. Die lokalen Behörden geben an, dass die Polizei lediglich ihre Pflicht tat, da der Marsch nicht genehmigt war.

Während des UN-Gipfels zeigten sich die Behörden etwas großzügiger, für den Samstag waren gleich 17 Aktionen genehmigt worden. Tatsächlich demonstrierten dann die Teilnehmer der drei NGO-Gipfel in getrennten Märschen. Das Social Movement Indaba startete im township Alexandra und lief zum SCC. Hier wurde nicht nur der »Gipfel der Reichen« kritisiert, sondern auch die ANC-Regierung, der vorgeworfen wurde, sie habe »die neoliberale Politik des globalen Kapitals, die durch das UN-System erhalten wird«, übernommen.

Regierungskritisch war auch die Demonstration des Landless People's Movement, die in der Nähe des SCC endete. Sie forderte als erste Stufe einer Landreform die sofortige Verteilung von Boden, der den Großgrundbesitzern gehört, die ihr Land nicht selbst bewirtschaften. Eine Menschenkette der Big Coalition, eines Bündnisses zahlreicher Organisationen, warb für die Einführung einer Sozialhilfe. Sie will die südafrikanische Regierung dazu bringen, ein Basiseinkommen von 100 Rand (umgerechnet 10 Euro) pro Monat einzuführen.

Die Kader des ANC, der südafrikanischen KP und des Gewerkschaftsverbandes Cosatu beteiligten sich an der mit 15 000 Teilnehmern größten Demonstration, die vom offiziellen Global NGO Forum organisiert wurde. Sie nahmen dieselbe Route wie Indaba und forderten die in Sandton versammelten Regierungschefs auf, ihren schönen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Trotz der Entttäuschung über die Regierung, die von den Armen lautstark zum Ausdruck gebracht wurde, gibt es keine Partei, die den ANC herausfordern könnte. Doch der Bedarf an gesellschaftlicher Veränderung ist unübersehbar in diesem Land, in dem es zwei Realitäten gibt.

Südafrika übt wegen seines gewaltigen Potenzials eine starke Anziehungskraft auf die gesamte Region aus. Es zeigt Wohlstand und Modernität, doch die Villen der Oberschicht sind umgeben von Stacheldraht wie das von fast 10 000 Polizisten und Soldaten geschützte SCC. Nur wenige Kilometer entfernt sterben in townships wie Alexandra und Soweto jeden Tag Menschen, die keine Medikamente haben, an Krankheiten, die vom HIV-Virus verursacht werden. Alexandra hat Sandton nicht übernommen, wie Indaba ankündigte. Aus Sandton kam nicht einmal eine Antwort.