Hamburgs Fußballoberligist Altona 93

Punks mit Potenzial

Hamburgs Fußballoberligist Altona 93 prunkt mit alter Armeeunterwäsche, einer neuen Werbekampagne und dänischen Fahnen.

Der Anteil an Punks ist ja dreimal so hoch wie bei uns«, schrieb unlängst ein verblüffter Fan des FC St. Pauli in einem Internetforum. Die Amateurmannschaft seines Vereins hatte gerade ihren Saisonauftakt beim Oberligaaufsteiger Altonaer FC 93 bestritten. Und wirklich, Hamburgs Punkszene, seit jeher fußballvernarrt, hat St. Pauli den Rücken gekehrt und sich beim AFC eingerichtet. Die stachelige Hundertschaft vom »Zeckenhügel«, der Westkurve des Altonaer Stadions, gehört neuerdings zum Traditionsclub.

Mit einer Imagekampagne will der Viertligist an seine großen Zeiten vor und nach dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Seit August hängen in den Hamburger U-Bahnhöfen über 100 Großplakate, auf denen die Punks gemeinsam mit Spielern des AFC die Widersprüche im Verein und im Bezirk ironisieren. Da posiert Torwart Rainer Maack als dekadenter Elbvorortsdandy auf einem Schimmel, links im Bild: der jubelnde Zeckenhügel. Wie in einem Werbeclip für Haarspray der Marke Gard besteigt Mittelfeldmann Jasmin Bajramovic seinen Privathubschrauber, im Hintergrund die mondäne Övelgönner Jenisch-Villa. Brav hinterm Zaun: die Bauwagenbewohner. Inzwischen gibt's insgesamt fünf Motive auch als Poster und als Postkarten für Kinos und Kneipen.

Das Konzept, unbekannte Amateurkicker als Weltstars zu verkaufen, stammt von der Hamburger Agentur Nordpol. Sie verpasste bereits dem FC St. Pauli mit der »Starclub«-Kampagne sein Bretterbudenimage und irritierte damit die bis dahin verlässlich ironiefreie Fußballwelt. Im vergangenen Jahr endete dann die Zusammenarbeit, weil die Vereinsführung dem damaligen Bundesligaaufsteiger eine gediegenere Außenwirkung geben wollte. Und während der Verein, nun betreut von der Agentur Upsolut, in Richtung Regionalliga zu stürzen droht, drängen die Anhänger aus der alternativen Kuschelecke ein wenig in die Mitte.

Nordpol hat indes mit Altona einen neuen Trend entdeckt. »Bei uns sitzen lauter Fußballverrückte«, sagt der Mitarbeiter Karsten Lübke. »Und einige gehen seit Jahren zum AFC. Als dann im Frühjahr der Aufstieg in die Oberliga absehbar wurde, haben wir dem Klub vorgeschlagen, etwas Gemeinsames zu starten.« Schließlich kam man auf die Idee, fünf Stammspieler auf drei mal fünf Metern in die Welt der Schönen und Reichen zu versetzen.

Naturgemäß ist eine Kampagne von diesem Ausmaß vier Nummern zu groß für einen Verein, der seine Pflichtspiele gegen Neumünster austrägt und nicht gegen Arsenal London. Dennoch hat der AFC keinen Cent dafür bezahlt. Es fanden sich Sponsoren, bei Nordpol investierte man »auf allen Ebenen Herzblut« und auch der Fotograf Sven-Ulrich Glage arbeitete fast umsonst. »Das Ganze war eben eine Liebhaberei«, sagt Lübke.

Altona 93 will zur dritten Macht in Hamburg werden. »Auch wenn sich niemand anmaßt, St. Pauli oder gar den HSV einzuholen, die Schere zwischen den Großclubs und uns könnte ruhig ein wenig kleiner werden«, sagt der Präsident Dirk Barthel, der Altona in ein paar Jahren in der Regionalliga etablieren will. Dabei sind ihm vor allem die Zuschauer wichtig: »Wir sind bereits heute ein Kultclub und leben von unserem Publikum.«

Der AFC finanziert rund ein Fünftel des Etats aus dem Eintrittsgeld. Das ist ein ungewöhnlich hoher Anteil in einer Liga, in der wohlhabende Mittelständler einen Verein gern mal für ein paar Jahre in sklavischer Abhängigkeit halten. Und ihn dann wieder fallen lassen, weil sie feststellen, dass es wohl doch nichts wird mit der Champions League in Hoisdorf oder Norderstedt. Altona dagegen bemüht sich um Sponsoren und zahlende Zuschauer. »Die Nordpol-Plakate sollen mehr Leute anziehen«, meint Barthel. Zum Saisonauftakt gegen die Amateure von St. Pauli kamen sogar 2 000 und stürmten als erstes den Fanartikelstand, um sich für fünf Euro eines der Poster zu sichern.

»So eine Kampagne ist nur bei einem Verein möglich, der eine lange Tradition hat und in seinem Stadtteil verankert ist«, betont Karsten Lübke. Tatsächlich, Altona 93 ist pure Tradition. Der AFC ist in einem Atemzug mit dem Freiburger FC zu nennen, mit Viktoria Berlin oder dem VfB Leipzig. Die schwarz-weiß-rot geringelten Trikots des DFB-Gründungsmitglieds sind der Unterwäsche der kaiserlichen Armee nachempfunden, mit der eine nahe Kaserne dem Verein um die Jahrhundertwende aushalf.

Benannt nach Altonas größtem Fußballer, steht inmitten des Bahrenfelder Klinkermeers die Adolf-Jäger-Kampfbahn. 1909 errichtet, zählt das Stadion zu den ältesten Sportstätten Deutschlands. Und es sieht auch so aus. Wuchernde Brombeerhecken haben das Fassungsvermögen inzwischen von 27 000 auf 12 000 Zuschauer reduziert.

Etwas Patina hat auch August Morgenbrodt angesetzt. Der 94jährige Ehrenvorsitzende ist wohl der letzte Augenzeuge der Wundertaten Adolf Jägers, als der AFC 1925 erst in der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft an der Duisburger SpV scheiterte. Heute verfolgt er die Heimspiele stets auf eine Fensterbank im angrenzenden Vereinsheim gelehnt. Dort kann er ab und zu »anpacken«, zum Beispiel wenn es gilt, Dauerkarten auszustellen.

Auch wenn man sportlich seit der Einführung der Bundesliga keine Rolle mehr spielte, ist Altona 93 mit Abstand der beliebteste Amateurklub Hamburgs geblieben. Und anders als bei den meisten Ligakonkurrenten besteht das Publikum eben nicht aus blonden Spielerfrauen und betulichen Vereinsmitgliedern, sondern aus einem kruden Sammelsurium von rund 500 Anhängern. Neben den Punks vom Zeckenhügel gibt es noch den Schwarzen Block auf der Gegengeraden, es sind zumeist abtrünnige St. Pauli-Fans mit autonomer Vergangenheit. Eine dritte Fraktion bildet schließlich das bürgerliche Publikum in der Meckerecke und auf der Haupttribüne.

Der prominenteste Fan ist Doc Mabuse. Vor rund 20 Jahren schleppte er - damals noch in der Hafenstraße wohnhaft - die erste Totenkopffahne ins Stadion des FC St. Pauli am Millerntor und stattete den Verein damit mit einem Markenzeichen aus. Er hat stets eine dänische Flagge dabei, schließlich sei Altona bis 1867 dänisch gewesen. Sein Beispiel macht wieder einmal Schule, der Danebrog flattert inzwischen auch in den anderen Fanblöcken.

Mittlerweile geht bei einigen Fans die Angst um, der AFC könnte doch noch vermarktet werden. Auch der geplante Umbau des Stadions zu einer »modernen Arena« (Barthel) stößt nicht nur auf Begeisterung, die Idylle ist bedroht. Stachel etwa, Anhänger der 93er und als Fußballheraldiker Coautor in Hardy Grünes »Vereinslexikon«, warnt vor einer Entwicklung wie am Millerntor: »Altona hat ein enormes Potenzial. Jedoch nur, wenn der Klub seine Nische links von St. Pauli besetzt hält und sich nicht der Beliebigkeit preisgibt.« Eine einfallslose Bezirkssportanlage statt des rauen Charmes der AJK berge genau diese Gefahr. Die Werbekampagne sei dagegen ein netter Gag, findet Stachel. Wenn der Kult aber zum Hype würde, könne man sich auch gleich wieder auf dem Kiez langweilen.