Vor dem Beginn des neuen Semesters

Jetzt studieren!

Wer noch die Möglichkeit dazu hat, sollte die Universität als Ort selbstbestimmten Lernens und politischen Handelns benutzen.

Knapp drei Wochen noch. Dann heißt es endlich wieder: Uni! Seminare besuchen, das Essen in der Mensa kritisieren, die neuen Bücher in der Bibliothek lesen. Ob der Lehrstuhl für Landeskunde wieder zur Exkursion in die Niederlausitz bittet, um dort altslawische Burghügel zu besichtigen? Welche neuesten niederländischen Wortschöpfungen auf -erij oder -arij haben in den vergangenen drei Urlaubsmonaten die Linguisten in Atem gehalten? Kurzum, es herrscht Vorfreude.

Noch mehr als die neuen Lehrangebote interessiert jedoch, wer sich wieder zurückmeldet und wer das bunte Leben an der Universität gegen einen ermüdenden Job in einem Großraumbüro oder einer Gaststätte tauschen musste oder freiwillig getauscht hat. Schon oft hörte ich KommilitonInnen sagen: »Hier rennen nur Theoretiker herum, die unfähig sind, einen ordentlichen Kaffee zu kochen, geschweige denn eine echte Kraft gegen die bestehende Ordnung zu bilden.« Das Fazit dieser Leute lautet: Das System Universität ist unheilbar bürgerlich und elitär.

Diese Kritik ist kurzatmig und wird gerne von Leuten geäußert, die aus privilegierten Akademikerfamilien kommen. Natürlich ist der Vorwurf der Elitenbildung berechtigt. Schließlich sinkt seit Jahren der Anteil derjenigen, die ein Studium aufnehmen und aus sozial schwachen Familien kommen. Waren es Anfang der achtziger Jahre noch knapp 25 Prozent, so sind es heute kaum mehr als zehn Prozent.

Wenn Kinder aus einfachen Verhältnissen trotz aller Widrigkeiten bis zum Abitur durchgehalten haben, stellt sie die Finanzierung des Studiums vor große Probleme. Kaum einer erhält den vollen Bafögsatz von rund 580 Euro. Obendrein müssen sich Bafög-Empfänger in unschöner Regelmäßigkeit in die Scheine schauen lassen, ob sie auch planmäßig ihren Abschluss anstreben.

Doch zu lamentieren oder gar die Uni zu verlassen und das Studium abzubrechen, ist auch keine Lösung. Denn was erreicht ein Abbrecher damit? Er liefert sich dem Niedriglohnsektor aus. Die Arbeitskollegen können vielleicht Kaffee kochen, aber die »bestehende Ordnung« in Frage zu stellen, ist nicht unbedingt ihre Absicht.

Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass die Universität den Raum bietet, sich den eigenen Interessen zuzuwenden. Die Alternative besteht darin, acht Stunden zu ackern. Morgens, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, dem Bett entsteigen, genüsslich frühstücken, ein Seminar besuchen und sich nachmittags und abends politisch weiterbilden, so lässt es sich aushalten.

Und der Asta schafft und finanziert Freiräume. An einer mittelgroßen Hochschule wie der Humboldt-Universität zu Berlin tummelt sich eine wohltuende Vielfalt an politischen Initiativen. Existenzgeld, Chipkarten, Antifaschismus, innere Sicherheit - es gibt kaum ein Thema, das nicht behandelt wird. Und im Hintergrund wartet eine Infrastruktur aus Computern, Kopierern, Bandproberäumen und Druckereien darauf, kostenfrei genutzt zu werden.

Immer wieder ergreifen Studierende diese Möglichkeiten, um auf die Missstände an den Hochschulen aufmerksam zu machen. Im Frühjahr dieses Jahres gab es Studentenstreiks in Nordrhein-Westfalen gegen die Pläne der dortigen Landesregierung, Studienkonten einzuführen. Die Ausbildung soll »marktgerecht« gestaltet, ein selbstbestimmtes Studium erschwert werden. Studentische Proteste gegen den Umbau der Universitäten können, wenn sie beharrlich vorgetragen werden, zum Erfolg führen. So wurde in Bremen eine Einschreibegebühr als versteckte Studiengebühr enttarnt und später von den Verantwortlichen zurückgezogen. Wenn sich jedoch Studierende der offiziellen Bildungspolitik beugen, werden solche Erfolge eine Seltenheit bleiben.

Die Hochschulen brauchen kritische Studierende mit langem Atem, die sich darum kümmern, dass niemand vom Studium ausgeschlossen wird, weil er kein Geld oder kein Abitur hat. Das Privileg, unter den momentanen Verhältnissen studieren zu können, bringt eine große Verantwortung für die Immatrikulierten mit sich. Sie müssen die Stimme in der Gesellschaft werden, die die ökonomisch auferlegten Beschränkungen in der Bildung kritisiert und zu beseitigen versucht.