Wahlen in Bosnien, Mazedonien, Serbien und Kosovo

Spiel um alle Grenzen

Während der Wahlkämpfe in den Republiken des ehemaligen Jugoslawien wird über weitere territoriale Teilungen spekuliert.

Der Ort der Provokation war gut gewählt. Ausgerechnet das kleine Mali Zvornik, gelegen am serbischen Ufer des bosnisch-jugoslawischen Grenzflusses Drina, suchte sich Vojislav Kostunica für seinen bislang brisantesten Wahlkampfauftritt aus.

Das idyllische Grenzstädtchen wählte der Nachfolger Slobodan Milosevics wohl nicht zuletzt deshalb, weil die »Tiger«-Einheiten Zeljo »Arkan« Raznatovics auf der anderen Seite der Drina vor zehn Jahren damit begannen, die muslimische Bevölkerung Ostbosniens zu ermorden oder aus ihren Häusern zu jagen.

Die zwischen Banja Luka und Belgrad bis heute als Befreiung gefeierten und seither euphemistisch als »ethnische Säuberungen« bezeichneten Aktionen serbischer Paramilitärs läuteten 1992 das Ende der einheitlichen Republik Bosnien ein. Mit dem Friedensvertrag von Dayton wurde die Teilung in die muslimisch-kroatische Föderation und die serbisch dominierte Republika Srpska Ende 1995 völkerrechtlich besiegelt.

Für Kostunica jedoch war das kein Grund, die in Dayton ebenfalls vereinbarte Souveränität Bosniens sieben Jahre später nicht erneut in Frage zu stellen. »Niemals«, tönte der jugoslawische Präsident am vorletzten Wochenende mit bebender Stimme, »niemals« werde Belgrad den serbischen Teil Bosniens aufgeben. Zehn Jahre nach dem Beginn des Bosnien-Krieges versicherte er seinen Anhängern, dass der serbisch-bosnische Teilstaat »nur vorübergehend von uns getrennt ist«. Die Republika Srpska werde »immer unser sein und immer in unseren Herzen«.

Die separatistische Volte Kostunicas passt nur zu gut in die Strategie des Anwärters auf den serbischen Präsidentenposten, seinen Konkurrenten vor der Wahl am Sonntag keinen Raum zu lassen im Wettstreit um die patriotischsten Parolen. Bei der Eröffnung der Uno-Vollversammlung beteuerte er zwar Mitte September in New York, nach seinem Auftritt in Mali Zvornik falsch zitiert worden zu sein, gleichzeitig legte er aber noch nach. »Wenn der Dayton-Vertrag auf der Grundlage von multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen Prinzipien verfasst wurde, dann können auch die Resultate ethnischer Säuberungen im Kosovo nicht akzeptiert und ein Nationalstaat geschaffen werden. Sollte das doch geschehen, würde die ganze Region die Konsequenzen zu spüren bekommen.«

Ein neuer Flächenbrand auf dem Balkan? Die Reaktionen bosnischer Politiker auf die Rede Kostunicas ließen Schlimmes befürchten. »Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, um die Integrität und Souveränität Bosniens zu verteidigen«, polterte der Kriegspremier des Landes, Haris Siljadzic, der im Oktober Präsident werden will. Einige bosnische Parlamentarier forderten gar, die Beziehungen zu Jugoslawien abzubrechen, sollte Kostunica sich nicht umgehend für seine Äußerungen entschuldigen.

Aber auch wenn die Aufregung in Bosnien verständlich ist, gehört Kostunicas indirekte Kriegsdrohung für den ohnehin unwahrscheinlichen Fall der Unabhängigkeit des Kosovo zum gängigen Wahlkampfrepertoire in Serbien, ebenso wie die vor Jahren schon von Milosevic vorgebrachte Forderung nach einem Anschluss der Republika Srspka an Serbien.

Eines aber ist in diesem Sommer doch anders als in den Wahlkämpfen vergangener Jahre. Jenseits aller nationalistischen Rhetorik erleben Diskussionen um territoriale Teilungen eine Konjunktur, wie seit Beginn der Balkan-Kriege nicht mehr, und zwar nicht nur in Serbien. Die Gedankenspiele um neue Grenzen, wie sie seit der Sezession Sloweniens und Kroatiens in Südosteuropa populär geworden sind, scheinen sich wieder zu lohnen - von Skopje bis nach Novi Sad.

Allein durch die Reihe von Wahlen, die am Sonntag vor einer Woche in Mazedonien begann, an diesem Wochenende in Serbien fortgesetzt wird und im Oktober in Bosnien und im Kosovo endet, lässt sich das nicht erklären. Nur beschwichtigend klingt da auch die Beteuerung des Leiters der Uno-Verwaltung im Kosovo (Unmik), Michael Steiner, wonach er »keine Anzeichen dafür« sehe, »dass wir hier Wahlkämpfe haben, die sich mit Fragen von Krieg und Frieden beschäftigen«. Fast schon beschwörend fügt er hinzu: »Es wird weder im Kosovo zur Neuziehung von Grenzen kommen noch um den Kosovo herum.«

Plausibler erscheint es, nicht die Wahlen, sondern den nach dem Ende des Kosovo-Krieges vom Uno-Sicherheitsrat nicht geklärten Status der einst südserbischen Provinz für die gefährliche Forderung nach neuen Grenzen verantwortlich zu machen. Kosovo-Albaner, albanischsprachige Mazedonier, bosnische Serben und Kosovo-Serben wollen alle auf ihre Weise davon profitieren, sodass die Republiken des ehemaligen Jugoslawien zwei Jahre nach dem Sturz Milosevics weiter denn je von jener Stabilität entfernt sind, die sich Repräsentanten der Nato und der EU im Oktober 2000 erhofft hatten.

Angesichts der offenen Zukunft des Kosovo kann es auch nicht verwundern, dass die Nationalisten in Belgrad ebenso wie in Pristina und in Tetovo so unverhohlen wie seit Jahren nicht mehr auf den Anschluss der Siedlungsgebiete ihrer jeweiligen Bevölkerungsgruppen an das vermeintliche Mutterland pochen. Der überragende Wahlerfolg der Partei des ehemaligen UCK-Anführers Ali Ahmeti in Mazedonien, der bis zur Unterzeichnung des Friedensvertrages von Ohrid im August des vergangenen Jahres auf den Zusammenschluss Westmazedoniens mit Albanien und dem Kosovo drängte, ist dafür nur ein Beispiel. Die Massenproteste aufgebrachter Kosovo-Albaner gegen die Verhaftung früherer UCK-Kommandeure in den letzten Monaten zeigen ebenfalls, dass die Region drei Jahre nach dem Einzug der Kfor-Truppen alles andere als sicher ist.

Angesichts anhaltender Übergriffe auf Angehörige der serbischen Minderheit sorgte deshalb schon im Juli der stellvertretende serbische Ministerpräsident, Nebojsa Covic, für Aufregung unter Diplomaten in Pristina, als er die Spaltung des Kosovo in zwei Kantone forderte.

Für die Verwaltung des kosovo-albanischen Teils sollten, so sein Vorschlag, weiterhin die Vertreter der internationalen Gemeinschaft sowie Einheiten der UCK-Nachfolgeorganisation KPC (Kosovo Protection Corps) zuständig sein. In den serbischen Gebieten aber müssten der jugoslawischen Armee und den serbischen Polizisten die exekutiven Vollmachten zurückgegeben werden. Der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic befürwortet dieses in Belgrad als liberal-nationalistisch bezeichnete Szenario, während Kostunica und sein von Milosevic unterstützter faschistischer Konkurrent um die serbische Präsidentschaft, Vojislav Seselj, nach wie vor der Maximalforderung einer Rückkehr des kompletten Kosovo nach Jugoslawien anhängen.

Auch wenn Steiner die nationalistischen Belgrader Bestrebungen ablehnt, können Kostunica und die anderen südosteuropäischen Sezessionisten auf unerwartete Unterstützung zählen. So wartete Steven Myers, der ehemalige stellvertretende Leiter der CIA-Operationseinheit für den Balkan, im Sommer mit einem überraschenden Vorschlag auf. »Wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen, so sage ich Ihnen, dass ich eine Neuziehung der bosnischen Grenzen unterstütze.«

Einem Plan der CIA zufolge soll der östliche Teil der Republika Srpska angeblich Jugoslawien zugeschlagen werden, der westliche Kroatien, während das Kosovo »Schritt für Schritt« in die Unabhängigkeit überführt werden müsse. Der Grund für die Kehrtwende in Washington sei, so Myers, dass das einzige Interesse der USA dem weltweiten Kampf gegen islamistische Terroristen gelte, daher würden sie ihre Truppen ohnehin bald vom Balkan abziehen.