Ein Antisemitismussstreit in Aachen

Wider die Tierischen

Seit einigen Wochen hat Aachen seinen ganz eigenen Antisemitismusstreit. Deshalb kam Jürgen W. Möllemann auch so gern in die Stadt.

Es ist heutzutage modern, auf die Deutschen einzudreschen.« Das sagte ein Zuhörer bei einer Lesung aus dem Buch »Lügendetektor« von Saul K. Padover 1999 in Aachen. Das Buch erregte damals einiges Aufsehen, viele Aachener sahen ihre hoch angesehenen Stadtväter von Padover »besudelt«. Der US-amerikanische Offizier hatte 1944/45 etliche Interviews mit Deutschen und Zwangsarbeitern aus der Aachener Region geführt und war zu dem Urteil gekommen, die Aachener von damals und die Deutschen im Allgemeinen seien »autoritätshörig« und »dokumentenfixiert«, »hartherzig« und »mitleidslos« gewesen.

Aachen ist heute ein idyllisches Städtchen im Dreiländereck zwischen Deutschland, den Niederlanden und Belgien. Allenfalls die Studierenden der zahlreichen Hochschulen geben der Kaiserstadt so etwas wie ein weltoffenes Flair. Die Hybris der Karlspreisverleihung an Prominente wie Bill Clinton, Tony Blair oder den Euro erzeugt hier wie andernorts mitunter amüsierte bis mitleidige Reaktionen.

Doch Aachen hat noch ganz andere Ehrungen zu vergeben. Alljährlich zeichnet der Aachener Karnevals-Verein (AKV) Persönlichkeiten aus, die »Humor und Menschlichkeit« im Amt bewiesen hätten. Den Orden wider den tierischen Ernst verleiht der AKV mit Vorliebe an Politiker wie Edmund Stoiber, Johannes Rau, Franz Josef Strauß oder Norbert Blüm. Aber auch Ephraim Kishon, der israelische Satiriker, zählt zu den Ordensträgern, und eben dieser lieferte sich in den vergangenen Wochen mit seinem Ordensbruder Blüm einen ganz eigenen Antisemitismusstreit.

Kishon reagierte empört auf Blüms Vorwurf, Israel führe einen »hemmungslosen Vernichtungskrieg«. Das hatte Blüm im April in einem Brief an den israelischen Botschafter Shimon Stein geschrieben und in einem Interview mit dem stern im Juni bekräftigt.

In einem am 12. August in den Aachener Zeitungen zitierten Schreiben forderte Kishon, der AKV solle Stellung gegen die Äußerungen Blüms beziehen, ansonsten wolle er seinen Orden zurückgeben. Blüm konterte am 24. August mit einem offenen Brief, in dem er Kishons Antisemitismusvorwurf als »semantisch-philologische Disputation« abtat. Im Nahostkonflikt gehe es aber um Menschenleben.

Es folgten eine Aufzählung von vermeintlichen Verbrechen der israelischen Armee und Passagen eines Interviews, das Israels heutiger Ministerpräsident Ariel Sharon 1982 dem israelischen Schriftsteller Amos Oz gegeben haben soll. Hier offenbare Sharon seine wahre Gesinnung, meinte Blüm. Er zitierte dessen angebliche Worte, nach denen es sein Ziel sei, »so viel als nötig an Arabern zu töten, sie zu deportieren, sie zu vertreiben und zu verbrennen«.

Dieses Zitat entstammt tatsächlich einem Interview, doch wurde der Ende 1982 in der israelischen Zeitung Davar Befragte im Originaltext mit C. abgekürzt. Seit einiger Zeit wird in vielen im Internet kursierenden Versionen des Interviews dieses C. mit Sharon identifiziert. Journalisten, die sich auf das vermeintliche Sharon-Interview stützten, distanzierten sich jedoch von der vorschnellen Zuschreibung, nachdem Amos Oz erklärt hatte, der anonyme C. sei nicht Sharon. Trotzdem findet der Text weiter Verbreitung, hauptsächlich auf antiisraelischen Webseiten. Obwohl dieser Sachverhalt gut dokumentiert ist, unter anderem von der Washington Post, verbreitete Blüm das vermeintliche Sharon-Interview weiter.

Die Aachener Zeitung, die Blüms Brief ungekürzt abdruckte und in der der Christdemokrat zufälligerweise einem Nebenjob als Kolumnist nachgeht, bot in den folgenden Ausgaben erhitzten Gemütern seitenweise Platz für Leserbriefe. Da war dann die Rede von einer »Barriere zwischen Christen und Juden, die durch Spiegel, Friedman, Kishon und andere aufgebaut« werde. Kishon säe »das, was auch hier nicht zu bekämpfen war, nämlich Antisemitismus«. Israel pflege »seit Jahren seine Opferrolle«. Friedman und Spiegel hätten sich »auf Herrn Möllemann gestürzt wie ein Hund auf den Knochen«. Kaum sei Friedman »aus der Öffentlichkeit in Deckung gegangen, taucht Kishon auf und glaubt, alle im AKV müssen seiner Meinung sein«. Seine »boshafte Kampagne unter der Zuhilfenahme der Medien« gleiche dem »Einsatz des Karnevalsordens als moralisierende Keule«. Was also läge näher, als Kishons Bücher »wegzugeben«? Kishon bringe »jede Kritik« an Israels Politik »in den Verdacht des Antisemitismus«, warnte die Aachener Zeitung in einer Bildunterschrift.

Am 24. August wandte sich dann der Aachener Karnevals-Verein »entschieden gegen eine Instrumentalisierung des Ordens (...) im Rahmen einer Auseinandersetzung zu grundsätzlichen politischen Einstellungen oder Bewertungen von Fragen, die die Welt bewegen«. Ihren persönlichen Zwist sollten Blüm und Kishon doch im Privaten austragen.

So herrschten in Aachen also beste Voraussetzungen für eine richtig mutige antiisraelische Veranstaltung. Zu der kam es dann am 5. September in Form einer Podiumsdiskussion an der Technischen Hochschule Aachen (RWTH) mit Jamal Karsli und dem israelischen Publizisten Shraga Elam, der auch gerne die Politik Sharons mit der der Nazis vergleicht. Zweifel an der Ausrichtung der Diskussion wurden vom Veranstalter schnell zerstreut: Auf dem Podium säßen ja auch »Semiten«, also könne man nicht antisemitisch sein. Ein Plakat mit der Aufschrift »Kein Forum für Antisemiten« wurde zuvor zerrissen, Protestierer wurden mit Äußerungen wie: »Ich bin gegen die Existenz Israels« bedacht.

Keine zwei Wochen später, am 16. September, besuchte dann Jürgen W. Möllemann Aachen. Zunächst erklärte er in einem Interview mit den Aachener Nachrichten, er werde sich einer »Kampagne« Michel Friedmans nicht beugen. Zeitgleich mit dem Beginn seiner berüchtigten Flugblattaktion, die bei der Bundestagswahl noch einmal Stimmen bringen sollte, fielen dann am Nachmittag des 16. September Möllemanns pointierte Äußerungen gegen Ariel Sharon, dessen Politik er als »kriegstreiberisch« brandmarkte. Und kein Friedman werde ihn daran hindern.

Möllemanns Auftritt in Aachen kam nicht von ungefähr. Das Klima stimmte, und seine Fans bemühten sich um sein Kommen. Der Aachener FDP-Bundestagskandidat Hans-Dietrich Schaffrath (Vorbild: Jürgen W. Möllemann, Lieblingsfilm: Vier Fäuste für ein Halleluja) ließ sich im Nachhinein dazu herab, den Dialog mit einem der Protestierenden zu suchen. Was denn an Möllemanns Aussagen judenfeindlich sei, fragte er. Ob der Protestierer denn überhaupt Juden kenne? Als der Gefragte seine jüdische Großmutter anführte, konterte der Kandidat beherzt: »Du siehst aber gar nicht wie einer aus.«