Ausgestellte Briefe im Jüdischen Museum

»Lasst uns endlich in Ruhe«

Das Jüdische Museum Berlin zeigt in der Ausstellung »Ich bin kein Antisemit« Schmähbriefe an Henryk M. Broder und die Jüdische Allgemeine Wochenzeitung.

Menschen, die ihrer Ansicht nach keine Antisemiten sind, gibt es in Deutschland bekanntlich viele. So viele, dass Jürgen W. Möllemann mit ihnen Wahlkampf betreiben konnte und dass Martin Walser mit seinem Roman »Tod eines Kritikers« beachtliche Verkaufszahlen erreichte. Diese Leute machen auch immer wieder gerne auf sich aufmerksam, etwa indem sie Briefe an Juden und jüdische Gemeinden im Land schreiben.

Was Leute so denken, die u.a. der Meinung sind, dass es doch nicht sein kann, dass »ein jüdischer Verein den Deutschen immer wieder ins Gewissen redet, was einmal war«, lässt sich derzeit im Jüdischen Museum in Berlin nachlesen. Dort nämlich sind in der Sonderausstellung mit dem Titel »Ich bin kein Antisemit« Briefe und E-Mails ausgestellt, die während des so genannten Antisemitismusstreits um die Äußerungen Jürgen W. Möllemanns bei der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung und bei dem Journalisten Henryk M. Broder eingingen.

Über Broder weiß die Berliner Zeitung: »Es sind nicht zuletzt seine polemischen und scharfzüngigen Kommentare im Spiegel, die viele Leser zur Feder greifen lassen.« Doch da irrt die Berliner Zeitung. Die Leser greifen schlicht deshalb zur Feder, weil sie ihre ganz eigene Sicht der Dinge kundtun wollen. Sie würden das zu jeder anderen Gelegenheit ebenso tun, Broder bietet allenfalls einen willkommenen Anlass dafür; er ist nicht der Grund, genauso wenig wie Michel Friedman, Marcel Reich-Ranicki oder seinerzeit Ignatz Bubis.

Die Redaktion der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung erhält auch ohne Broders »polemische und scharfzüngige« journalistische Tätigkeit im Schnitt drei bis vier antisemitische Schmähbriefe pro Woche - in »normalen« Zeiten. Während bestimmter öffentlicher Debatten hingegen schnellt die Zahl der Drohbriefe in die Höhe.

»Das Spektrum der Einlassungen reicht von unverhohlen antisemitischen Texten bis zu besonnenem Nachdenken über die Konsequenzen solcher Diskussionen für den Charakter der bundesrepublikanischen demokratischen Kultur«, heißt es in der Ankündigung zur Ausstellung, die auch Solidaritätsbekundungen an die Adressen von Broder oder Friedman zeigt. Ob das in der Ausstellung dargestellte Verhältnis von Schmähschriften und Sympathieschreiben jedoch das tatsächliche Verhältnis der eingesandten Briefe repräsentiert, darüber darf spekuliert werden. Fest steht, dass sich die meisten Briefe lesen wie eine exemplarische Auswahl von Ansichten darüber, wie »die Juden« angeblich sind und warum sie so sind.

»Wenn ein Volk über 50 Jahre, fast täglich, zum 'lieb sein' gezwungen wird, muss man sich nicht wundern, wenn es irgendwann aus diesem Zwang ausbricht«, meint etwa ein Briefeschreiber und dürfte mit seiner Ansicht nicht alleine stehen.

Immer wieder geht es um Michel Friedman, Ariel Sharon und Marcel Reich-Ranicki. »Müssen wir alle Friedman lieben, nur weil er Jude ist?«, wird vordergründig naiv gefragt. Tatsächlich hat niemals jemand gefordert, dass Michel Friedman zu lieben sei, ihm genügt es wohl auch, wenn Bärbel Schäfer das tut. Aus vielen ausgestellten Briefen spricht der unbedingte Wille, ein Tabu zu brechen, wo gar keines besteht. Ist erst einmal erläutert, dass es triftige Günde für die »Angst vor 'dem Juden' und die dringend angezeigte Notwehr« gibt, wie es in einem Schreiben heißt, dann ist jeder Akt solcher »Notwehr« gegen »Kriegmann« und das »hörige Heer von Journalisten« ein Akt der Befreiung.

In diesem Weltbild, in dem die Kritik des deutschen Antisemitismus schon immer als Zumutung begriffen wurde, erscheinen die ständigen Hinweise auf die angeblichen »Nazimethoden« der israelischen Armee wie selbstverständlich als historische Wahrheit.

Äußerungen wie: »Haut ab, lasst uns endlich in Ruhe« oder »Juden find ich doof« sind nur zwei Beispiele für das, was Cilly Kugelmann, die neue stellvertretende Direktorin des Museums, treffend als »verschriftlichten Stammtisch« bezeichnet. Neu am offen artikulierten Antisemitismus ist aber die Tatsache, dass nur noch die wenigsten der Hassbriefe anonym verschickt werden. Dies mag der Grund sein, weshalb auch die Ausstellungsmacher darauf verzichteten, die Namen der Absender zu schwärzen.

So fallen oftmals zuerst die Briefköpfe ins Auge, die nicht selten einen Doktor- oder Professorentitel enthalten. Dies verwundert nicht, spiegelt sich doch im akademischen Spektrum auch nur der allgemeine gesellschaftliche Trend wider, in dem selbst Ressentiments als legitime »Notwehr« gegen vermeintliche Auschwitz- und Antisemitismuskeulen gelten.

Häufig spricht aus den ausgestellten Briefen auch die Ansicht, »die Juden vor sich selbst schützen zu müssen«, wie Henryk M. Broder es einmal formulierte. Selbsternannte »Bewunderer jüdischer Intelligenz« weisen darauf hin, dass die Dinge, »die sich Klein-Michel leistet«, der Sache der Juden schadeten. Ob dies als Drohung oder Paternalismus zu verstehen ist, lässt sich nicht endgültig klären.

Selbst in den Äußerungen jener, die es »gut meinen« mit den Juden, finden sich häufig verdeckte Ressentiments oder Stereotype. Als Beispiel mag ein Vorschlag dienen, den jemand an der Pinnwand, an der die Besucher der Ausstellung ihre Meinungen und Kommentare veröffentlichen können, anbrachte. Auf einem der gelben Zettel stand nach dem obligatorischen Lob für die Ausstellung: »Am besten wäre es, wenn die Ausstellung an einem neutralen Ort gezeigt wird - auf die Reaktionen dann wäre ich gespannt.«

Mit dem »neutralen« Ort aber kann nur einer gemeint sein, der frei ist von jeglichem »jüdischen Einfluss«.

Die Eingliederung der Sonderausstellung in die Dauerausstellung über die neunziger Jahre ist offensichtlich Teil einer langfristig angelegten Überarbeitung und Weiterentwicklung des Gesamtkonzeptes. Ken Gorbey, der als Vorgänger von Cilly Kugelmann mit der Konzeption der Ausstellung betraut war, deutet die offensichtlich anstehenden Veränderungen an: »Die Spannung zwischen Deutschen und Juden wird bisher zu wenig deutlich. Da arbeiten wir an einem neuen Konzept.« Cilly Kugelmann kündigte bereits an, die Ausstellung künftig thematisch und nicht wie bisher chronologisch ordnen zu wollen.

Die Ausstellung »Ich bin kein Antisemit« lässt Gutes von den geplanten Umstrukturierungen erwarten. Um einiges konfrontativer als die bisherige Dauerausstellung im Jüdischen Museum, bietet sie anhand der ausgestellten Briefe einen Einblick in die Grundzüge des gegenwärtigen Antisemitismus in Deutschland.

Die Ausstellung »Ich bin kein Antisemit« ist bis Jahresende im Rahmen der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin zu sehen.