Rote und Grüne beraten die Koalition

Weiter so, Deutschland!

Die rot-grünen Koalitionsverhandlungen zeigen, dass die Regierung keine Idee hat, was in den nächsten vier Jahren geschehen soll.

Was tun, wenn man zwar eine Wahl gewinnt, aber eigentlich keine Vorstellung davon hat, was in der kommenden Legislaturperiode verwirklicht werden könnte? Vor vier Jahren hatte die rot-grüne Koalition Pläne. Das Land sollte grundlegend demokratisiert und reformiert werden, wie es damals hieß. »Deutschland erneuern«, lautete in den vergangenen Jahren die regierungsamtliche Parole. Was daraus wurde, hat man zur Genüge gesehen.

Heute gibt es kein rot-grünes Projekt mehr. Vor der neu zu bildenden Regierung liegen nur unappetitliche Probleme wie die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit. Bevor man jedoch in Lethargie und Regierungsmüdigkeit verfällt, schließt man erstmal die Reihen und mistet nach Kräften aus.

Noch am Wahlabend geschah das Ungewöhnliche: Joschka Fischer verließ die Wahlparty seiner Partei, um sich bei der SPD zu präsentieren. Der siegestrunkene Kanzler begrüßte ihn herzlich, dann verschwanden die beiden hinter die Kulissen. Gemeinsamkeit sollte demonstriert werden. Und die Koalitionsverhandlungen, so verkündeten beide am nächsten Tag unisono, sollten zügig über die Bühne gebracht werden.

Die Frage, ob die Grünen, die gestärkt in diese Koalition gehen, einen weiteren Ministerposten besetzen wollten, wiegelte Fischer ab. Er, den der stern als den »heimlichen Kanzler« sieht, versucht jedem Streit während der Verhandlungen aus dem Wege zu gehen. Lieber bringt er seine Partei auf Kurs. Da sowohl die SPD als auch die Grünen inzwischen reine Parvenü-Parteien sind, die von ideologiefreien Karrieristen geleitet werden, wird nach dem Erfolg mit den Zauderern und Störern abgerechnet.

Fischer entledigt sich zuallererst seines Staatsministers und Stellvertreters Ludger Volmer, der in den vergangenen Monaten nicht immer einer Meinung mit seinem Meister war. Als Nachfolgerin ist die bisherige grüne Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller im Gespräch. Da sie auch als neue Familienministerin gehandelt wurde, könnte dieses Umschwenken bedeuten, dass die Grünen gar nicht mehr auf ein viertes Ministeramt spekulieren.

Zugleich wird sich die Partei wohl auch von ihrem Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer trennen, wie die taz am vorigen Wochenende berichtete, da er des Öfteren gewagt hat, sich eine andere Meinung als die des Parteivorsitzenden Fritz Kuhn zu leisten. Und ein begnadeter Redner war er nun gerade auch nicht, sein Stottern in den Berliner Runden wird man vermissen.

In der SPD wird noch heftiger entlassen und berufen. Direkt nach der Wahl verkündete Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, nicht mehr für eine zweite Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Kurz darauf durfte auch Familienministerin Christine Bergmann, die im Land kaum jemand kennt, öffentlich bekunden, dass sie einem neuen Kabinett nicht mehr angehören werde. Sie verlässt zugleich den Bundestag, da sie über kein Mandat verfügt.

Eine Überraschung war der Rückzug des Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin, der vom Kanzler mit seinem unnachahmlichen Humor »Kulturpudel« genannt worden sein soll. Nida-Rümelin wurde von seinem Arbeitgeber, der Universität Göttingen, gebeten, im Falle seines Verbleibens in der Politik seinen Professorenstuhl zu räumen, Nida-Rümelin zog dem unsicheren den sicheren Job vor. Schließlich ist er seiner Selbsteinschätzung nach Philosoph. Ihm folgt die ehemalige Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss im Amt nach.

Der nur kurz amtierende Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler, der sich vor der Wahl mit allzu plumpen antiamerikanischen Äußerungen hervortat, wurde bereits durch den Strategen Franz Müntefering ersetzt. Dessen Posten als Generalsekretär der Partei übernimmt der ehemalige Hamburger Innensenator Olaf Scholz. Künftig dürfte die innere Sicherheit neben Otto Schily einen zweiten Fürsprecher in der SPD-Spitze haben.

Als größter Coup Schröders könnte sich möglicherweise die geplante Einrichtung eines »Superministeriums« mit dem jetzigen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement an der Spitze erweisen. Es solle sich gleichermaßen um die Belange der Wirtschaft wie um die Umsetzung der Hartz-Vorschläge kümmern, hieß es am vergangenen Wochenende. Clement wies den Bericht des Focus zunächst als reine Spekulation zurück, sagte dann aber der Welt, er wolle bald über das »sehr ehrenvolle Angebot« entscheiden. Am Montag bestätigte schließlich eine Sprecherin der Düsseldorfer Landesregierung den Wechsel Clements nach Berlin. Nun müssen sich der bisherige Wirtschaftsminister Werner Müller und Arbeitsminister Walter Riester nach einem neuen Job umsehen. Oder eine Ich-AG gründen.

Inhaltlich setzen die rot-grünen Koalitionäre im Grunde auf Kontinuität. Größere Projekte für die kommenden vier Jahre sind nicht vorgesehen oder wurden nicht erdacht. Die Pläne der Grünen zur Liberalisierung der Drogenpolitik oder zur Abschaffung der Wehrpflicht dürften die Verhandlungen kaum überstehen, und wenn, dann nur in extrem abgemilderter Form. Da niemand Visionen für die Zukunft hat, setzt Schröder auf Personen, statt auf Politik. Müntefering soll offensichtlich als Fraktionsvorsitzender die Fraktion zusammenzuhalten und unliebsame Debatten unterdrücken. Clement wiederum, so er denn wirklich »Superminister« wird, passt als raubeinige Gestalt ins Bild. Zusammen mit dem neuen Generalsekretär Scholz stünden diese »starken Männer« dafür ein, dass Widerworte nicht ausgesprochen und Diskussionen in der Partei nicht geführt werden. Der leidigen Steuerdebatte, die der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck und seine Amtskollegin aus Schleswig-Holstein, Heide Simonis, Schröder bescherten, begegnet dieser einmal mehr mit einem Machtwort.

Dabei wird die Bundesregierung auf Dauer nicht um Steuererhöhungen herumkommen, da sie trotz ihres Sparkurses, der Steuererleichterungen für Konzerne nie ausschloss, gewaltige Haushaltsdefizite zu beseitigen hat. Das viel diskutierte »Abschmelzen des Ehegatten-Splittings« dürfte keinesfalls die nötigen Mehreinnahmen bringen.

Es ist also vor allem die Frage, welche Steuern erhöht werden sollen. Da von den Sozialdemokraten die Besserverdienenden wie bisher keinesfalls geschröpft werden sollen, kommen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder eine Erhöhung der Erbschaftssteuer nicht in Frage, zudem läuft die Presse schon seit Tagen Sturm dagegen. Als Koalition der Steuererhöher in die kommenden Landtagswahlen zu gehen, davor graut wohl beiden Parteien.

Dabei käme eigentlich der Vorschlag gerade recht, den Kurt Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am vergangenen Wochenende in den Lübecker Nachrichten unterbreitete. Er meinte, das rigorose Sparen und die Kürzung öffentlicher Investitionen werde die Wirtschaftskrise nur noch verschärfen. Deshalb sollte für die Bundesregierung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer kein Tabu mehr sein. Denn was ist gerechter als eine Mehrwertsteuer, die alle gleichermaßen zu zahlen haben: Millionäre wie auch Sozialhilfeempfänger? Dagegen verstößt eine Vermögenssteuer, die nur Wohlhabende betrifft, geradezu gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dies würde notfalls sogar ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigen.