Gelobt sei der Widerstand

Die Friedensbewegung in den USA sieht sich in der Tradition des rebellischen Amerika. Sie kämpft auch gegen die repressive Innenpolitik der Regierung.

Ein wenig peinlich berührt war man schon. Es war am 6. Oktober, dem Day of Resistance der amerikanischen Friedensbewegung. 15 000 Menschen hatten den Weg in den New Yorker Central Park gefunden, um gegen den drohenden Krieg gegen den Irak zu demonstrieren, die Sonne schien, und auf einmal wurde man von der Bühne aus aufgefordert, den Pledge Of Resistance zu leisten, das Widerstandsgelöbnis.

Jeder Demonstrant hatte an den diversen Eingängen zur Demonstrationswiese einen kleinen Zettel mit dem Gedicht in die Hand gedrückt bekommen: »Wir als Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, glauben, dass es unsere Pflicht ist, uns den Ungerechtigkeiten zu widersetzen, die von unserer Regierung in unserem Namen begangen werden.« Zehn Strophen hat das Gedicht und es endet mit den Worten: »Eine andere Welt ist möglich, und wir geloben, sie zu verwirklichen.« (Den ganzen Schwur kann man sich unter www.notinourname.net anschauen, inklusive einer Übersetzung ins Deutsche.) Es hatte etwas Peinliches, aber gleichzeitig konnte man sich dem Pathos kaum entziehen, als 15 000 Stimmen diesen Schwur dann tatsächlich leisteten.

Not In Our Name nennt sich die Organisation, die zum ersten Jahrestag der US-amerikanischen Bombenangriffe auf Afghanistan zum Day Of Resistance gerufen hatte. Und in allen großen Städten der USA leisteten Menschen eben jenen Schwur, mehr als 100 000 insgesamt. Not In Our Name ist auch eine der Organisationen, die für den 26. Oktober zur großen Demonstration in Washington aufrufen, zu der wiederum weit über 100 000 Menschen erwartet werden.

Nun kommt die Idee, ein Widerstandsgelöbnis zu sprechen, nicht allen komisch vor. US-Amerikanern erschließt sich die Logik des Schwurs sofort. Der Pledge Of Resistance ist eine Umwidmung des Pledge Of Allegiance, des »Gelöbnisses der Loyalität zu Flagge und Nation«, das viele Schulkinder bis heute an jedem Morgen sprechen müssen und das auch bei vielen offiziellen Veranstaltungen oder Sportevents gesprochen wird: »Ich gelobe Treue der Fahne der Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik, die sie repräsentiert, einer Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.« Die große Bedeutung, die der Pledge Of Resistance in der amerikanischen Antikriegsbewegung hat, deutet schon die Richtung an; es ist eine Bewegung, die vor allem die USA im Blick hat. Das dürfte gleichzeitig ihre Stärke und ihre Schwäche sein.

Es ist ein dezidiert patriotischer Sound, den die US-amerikanische Friedensbewegung pflegt, einer, der sich auf die Tradition des widerständigen Amerika beruft, »angefangen bei denen, die gegen die Sklaverei revoltiert haben, bis zu jenen, die gegen den Vietnamkrieg kämpften«, wie es in einem der Aufrufe heißt. Das ist nicht nur dem Bemühen geschuldet, weite Teile der Bevölkerung zu erreichen. Schaut man sich etwa das Bündnis Not In Our Name an, so umfasst es Anarchisten und Kommunisten, Vertreter sämtlicher Religionen, Aktivisten unterschiedlichster Couleur, Bürgerrechtler und Anti-Vietnamkrieg-Veteranen, aber auch diverse Künstler und Intellektuelle sowie Angehörige der Opfer der Anschläge vom 11. September, ein extrem breites Spektrum also, eine Art Gegenamerika.

Miles Solay ist Anfang 20, er würde in seinem Outfit mit einer Trainingsjacke und einer Skimütze auch auf einem HipHop-Konzert eine gute Figur machen. Er ist einer der Organisatoren von Not In Our Name. »Es sollte ein Spruch sein, den Kinder in der Schule sagen können, wenn sie den Pledge Of Allegiance nicht sprechen wollen, ein Schwur, der in Moscheen, Synagogen und Kirchen gesprochen werden kann, den man überall hinkleben können sollte, der im Internet gepostet werden kann.«

Not In Our Name wurde im März dieses Jahres gegründet. Schon bald nach den Anschlägen am 11. September 2001 entwickelte sich in New York eine rege Friedensbewegung. »Unsere Tränen sind kein Kriegsgeheul«, war eine der Parolen, die man damals auf den Transparenten lesen konnte. Not In Our Name sollte die Aktivitäten der verschiedenen Gruppen in einer Dachorganisation koordinieren.

Mitmachen kann jeder, sagt Solay, solange man sich zu den drei Säulen bekennt, auf denen die Aktivitäten von Not In Our Name beruhen: Nein zum »War on the world«, nein zu den Internierungen von Muslimen, Arabern und Südostasiaten, nein zu den drastischen Einschränkungen der Bürgerrechte. Auch wenn es zunächst einmal nur das Programm von Not In Our Name ist, so dürften diese drei Punkte doch den kleinsten gemeinsamen Nenner der gesamten US-amerikanischen Friedensbewegung beschreiben. Sie vereinigt Kräfte, die sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik der Regierung Bush ablehnen.

Mit der Parole Not In Our Name versucht die Bewegung, die Regierung von zwei Seiten zu attackieren.Sie will ihr zum einen das Recht absprechen, überhaupt im Namen der Amerikaner zu handeln, und ihr zum anderen die Möglichkeit nehmen, ihre Vereinfachungen darstellen zu können. Denn für die Antikriegsbewegung hat der Krieg längst begonnen. Nicht nur im Ausland, sondern auch innerhalb der USA.

Das ist keine schlechte Strategie. Denn obwohl die Mehrheit der Amerikaner für einen Krieg ist, glaubt ein Drittel der Bevölkerung, die Regierung wolle den Irak nur angreifen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Und das Gefühl, ein Recht darauf zu haben, von der Politik in Ruhe gelassen zu werden, ist eine der Voraussetzungen amerikanischer Innenpolitik. Wenn irgendwo »Politics« im Spiel sind, ist das umgangssprachlich ein Synonym dafür, es sei nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Wenn nun eine Regierung davon spricht, einen Krieg zu führen, der keine Grenzen kennt, weder geografisch noch zeitlich, einen Krieg, der überall stattfinden kann, sich über Generationen erstrecken soll und dann als erstes mehrere tausend Migranten ins Gefängnis steckt, es ihnen für Monate verweigert, einen Anwalt zu sprechen, und viele von ihnen, ohne die Angehörigen zu informieren, des Landes verweist, und außerdem die Rechte der Geheimdienste ausbaut, so reicht das, um ein weit verbreitetes Unbehagen auszulösen.

Dass sie an das Gefühl appelliert, der Krieg fange vor der eigenen Haustüre an und drohe sogar, in die Wohnung einzudringen, dürfte die größte Stärke der amerikanischen Antikriegsbewegung sein. Sie nimmt die Regierung Bush beim Wort und erklärt, das sei ein Krieg, den man nicht wolle. Schon allein deshalb, weil man zum Ziel dieses Krieges werden könne, allein weil man erklärt, ihn nicht zu wollen. Da ist es dann schon fast ein Vorteil, dass die Antikriegsbewegung trotz ihrer erstaunlichen Mobilisierungsfähigkeit von den wichtigsten Medien der Vereinigten Staaten fast vollständig ignoriert wird. Je weniger man mit der Politikmaschinerie identifiziert wird, desto glaubwürdiger kann man seine Sache vertreten.

Allerdings haben Linke in der gesamten westlichen Welt einen Hang dazu, die Politik ihrer jeweiligen nationalen Regierung (und der Regierungen davor) mit dem großen Weltübel zu identifizieren. Wenn auf dem Balkan eine Sliwowitzflasche umfällt, wenn in Afghanistan eine Mauer zusammenkracht, war's die eigene Regierung. Ein Phänomen, das ja auch in Deutschland bekannt ist, wenn auch nicht unbedingt von den Linken, die gerade gegen den drohenden Irakkrieg sind. Dabei geraten dann mitunter die Verhältnisse vor Ort und ihre Widersprüche ein wenig aus dem Blickfeld. Die US-amerikanische Antikriegsbewegung bildet da keine Ausnahme.

»Die Sanktionen sind die wahren Massenvernichtungswaffen«, heißt es dann auch auf dem offiziellen Flugblatt, das zur großen Antikriegsdemonstration nach Washington ruft. Auch wenn sich ein Aktivist wie Solay darüber im Klaren ist, dass die europäischen Regierungen keineswegs aus reiner Friedensliebe gegen die US-Politik sind, sondern ganz eigene Interessen verfolgen, sieht er doch über den Umstand hinweg, dass das Embargo seit 1995 schrittweise gelockert wurde und der Irak längst wieder in größerem Umfang Öl exportieren kann. Dass die Not in einem Land, das bereits wieder ein höheres Prokopfeinkommen verzeichnet als Ägypten oder Jordanien, auch mit der Verteilungspolitik und den Ausgaben des Regimes zu tun haben könnte, wird ebenso wenig reflektiert wie die Forderungen der irakischen Opposition.

Solay kann auch für fast jeden von der US-Regierung zum Feind erklärten Diktator oder Terroristen herunterbeten, wann er von den US-Geheimdiensten unterstützt und aufgebaut wurde. Was natürlich nur den Umkehrschluss zulässt, dass die amerikanische Regierung am Schlamassel selbst schuld ist und ihn nun nutzt, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen und dadurch einen noch größeren Schlamassel anzurichten. Das hat natürlich einen wahren Kern, aber eben auch eine unangenehme Tendenz, den Vietnamkrieg, den Sturz der Regierung Allende, die Unterstützung für Saddam Hussein in den achtziger Jahren, das Bombardement Afghanistans und den drohenden Irakkrieg in eine Reihe zu stellen.