Sonderheft des Merkur

Neunundneunzig Kulturkritikerwitze

Die offene Spaßgesellschaft und ihre Feinde.

Hätte man mich vor dem 29. November 1996 gefragt, wen ich für besonders spaßig halte, hätte ich vielleicht gesagt: Sigrid Löffler, die deutschen Bischöfe, Peter Sloterdijk und Roger Willemsen. Doch an diesem Tag erschien im Protestantenrundbrief Die Zeit Löfflers ernüchternder Essay »Die Spaß-Generation hat sich müde gespielt«, in dem Sätze stehen wie dieser: »Die Spaßkultur, die uns in den achtziger Jahren fit gemacht hat für nichts als Fun, tiriliert immer noch mit falscher Munterkeit vor sich hin. (Dass sie aus dem letzten Loch pfeift, hat sie entweder noch nicht bemerkt oder will's nicht wahrhaben.)« Oder dieser finale: »Die Spaß-Generation hat sich ausgewitzelt.«

Seit diesem Tag fordern die deutschen Bischöfe, Prof. Sloterdijk und Dr. Willemsen ein Ende des Spaßes, gehen aber keineswegs mit gutem Beispiel voran. »In der derzeit herrschenden Konsum- und Spaßgesellschaft ist die Völlerei zu einer sozial-ökonomischen Tugend mutiert«, legt Weihbischof Dr. Helmuth Krätzl, vermutlich an einem Fetten Donnerstag, vor. Aufgabe der Kirche sei es, in der »Spaßgesellschaft die Sinnfrage« zu stellen, setzt die Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann einen Käse drauf. Aber den Spaßvogel schießt Patroklos Sloterdijk ab: »Das Grundproblem des 20. Jahrhunderts ist, dass der römische Amüsierfaschismus - Brot und Spiele - über das Sportlerideal des griechischen Helden gesiegt hat.« Hier sitzt jede Pointe, wenigstens vier in einem Satz.

An einem diesigen 29. November sind nicht nur Giacomo Puccini (»Wie eiskalt ist dies Händchen / wenn Sie es mir lassen, will ich's wärmen«) und Cary Grant (»Arsen und Spitzenhäubchen«) gestorben, auch die »Spaß-Generation« hat laut Löffler an diesem Tag den Löffel abgegeben. Freilich war es eine wenn nicht schöne, so doch lustige Leiche, und ihre Totengräber tun bis heute ihr Bestes, das Andenken wach zu halten. So scherzte Willemsen, der Terror des 11. September habe seinen Zweck erfüllt, den »Terror des Amüsements« zu unterbrechen. Wusste Ussama bin Laden, dass der schärfste Kritiker der Spaßgesellschaft, Theodor W. Adorno, an einem 11. September geboren wurde? Vielleicht sollten die Attacken eine Wiederaufnahme von »Willemsens Woche« erzwingen?

Wenn es wirklich eine Spaßgesellschaft gäbe oder gegeben hätte, wären ihre angeblichen Gegner ihre hervorragenden Mitglieder (und unter uns gesagt, habe ich auch über die »Minima Moralia« schallend gelacht). Um die Unterhaltung müssen wir also nicht bangen, die Kulturkritik sorgt schon für sie. Etwas öde wird es nur, wenn die Kulturkritik selbst in die Kritik gerät. Vielleicht tut ihr zu viel Ehre an, wer das unternimmt, oder es liegt einfach daran, dass es selten witzig ist, wenn einer versucht, einen Witz zu erklären. Auf diese Idee verfallen stets ganz unwitzige Leute.

Hätte man mich vor vier Wochen gefragt, wen ich für überhaupt nicht spaßig halte, hätte ich wohl ohne Zögern geantwortet: Karl Heinz Bohrer, Gustav Seibt und Jörg Lau. Doch fühlten nach der Polonaise der funny Fundamentalisten diese sonst mit so tristen Themen wie der Erhabenheit, dem Triumphbogen und dem Schuldstolz befassten Männer sich berufen, den Antifundamentalismus, nämlich die Werte des westlichen Witzelns, zu retten; natürlich im Merkur, dem deutschen Kabarett für europäisches Denken.

Vergleichsweise unbeholfen geht es der Herausgeber Bohrer an. Im Verein mit seinem stand-up comedian Kurt Scheel, der einst fast vor Lachen barst, als er die Bundesrepublik in Kohlscher Manier »Bunzreplik« nannte, und über seinem eigenen dröhnenden Gelächter nicht mehr hörte, dass seinem Späßchen nur Schweigen antwortete, räsoniert Bohrer, da in der Bibel nicht gelacht werde, sei möglicherweise in der Kritik an der Spaßgesellschaft ein »Nachklang der biblischen Propheten und ihrer Verachtung des Lachens zu hören«. Löffler, Sloterdijk und Willemsen als Jesaja, Jeremia und Ezechiel des deutschen Feuilletons, wahrlich, ich sage euch, das reicht noch nicht für den Narhallamarsch.

Auch nicht gerade einen Brüller bringt Seibt, wenn er in seinem Fleißaufsatz über die Philosophie des Lachens Hannah Arendt eine »bauernschlaue New Yorkerin« nennt. Wieder ein paar dumpfe Seiten weiter befragt Dirk Schümer, Korrespondent der FAZ, das I-Ging der Antiimperialisten: »Das Problem, man könnte auch sagen: die ungemeine Stärke der Spaßgesellschaft, liegt eindeutig in der von Negri/Hardt beschriebenen zunehmenden Undurchschaubarkeit von Hierarchien und Ausbeutungszusammenhängen, gegen welche alle Groteske richtungslos verhallt.« Auch diese Groteske verhallt eindeutig richtungslos.

Richtig komisch wird es erst bei Lau: »Sich weder die kurzen Röcke noch das Küssen in der Öffentlichkeit, das Herumlungern am Strand von Djerba oder die unbehelligte Besichtigung einer Synagoge nehmen zu lassen, ist eine Frage der Selbstbehauptung. Es ist mehr als eine polemische Pointe, wenn Rushdie etwas Ephemeres wie das Sandwich mit Speck zur Nagelprobe unserer Auseinandersetzung mit dem Terrorismus macht, und nicht die hehren politischen Glaubensartikel, auf die wir alle gerne schwören, solange es nichts kostet.«

Das Sandwich als Nagelprobe, das Herumlungern als Selbstbehauptung; wenigstens Willemsen dürfte gestutzt, Heidegger sich im Grab gewälzt haben, wenn auch vielleicht bin Laden von diesen frechen Herausforderungen der westlichen Zivilisation noch gar nichts vernommen hat. Man sollte ihm das Sonderheft des Merkur zustellen.

Erwiesen ist aber nun, dass die Feinde der Spaßgesellschaft, die in der Regel nicht nur das Amüsement, sondern auch gleich dessen Ursache, den Amerikanismus, bekämpfen, jedoch Martin Walsers letzten Roman »amüsant« finden, recht komische Vögel sind, während wir die Freunde der Spaßgesellschaft erst dann mit wahrer Munterkeit tirilieren hören, wenn sie es todernst meinen. Und ist das nicht eine Wahrheit, die dieser etwas flach geratenen Debatte abzugewinnen ist? Worüber wir nicht lachen sollen, ist lustig, was lustig sein soll, darüber können wir nicht lachen. Na gut, was mich betrifft jedenfalls.

Karl Heinz Bohrer / Kurt Scheel (Hg.): Lachen. Über westliche Zivilisation. Sonderheft des Merkur. September / Oktober 2002, 224 S., 18 Euro