Prozess gegen Mounir El Motassadeq in Hamburg

Suren vor Gericht

Die Bundesanwaltschaft wirft Mounir El Motassadeq vor, er habe die Attentäter des 11. September unterstützt. Seit dem Anfang der vorigen Woche muss er sich vor Gericht verantworten.

Als drei seiner Freunde tot und zwei weitere spurlos verschwunden waren, lebte Mounir El Motassadeq zunächst weiter wie bisher. Er ging regelmäßig zur Universität und erkundigte sich dort Ende September noch nach einem Praktikum, das er für sein Elektrotechnikstudium brauchen konnte. Antreten konnte er die Stelle dann nicht. Am 28. November wurde Motassadeq verhaftet.

Denn zu diesem Zeitpunkt war schon bekannt, dass die Anschläge vom 11. September maßgeblich von ein paar Technikstudenten aus Hamburg-Harburg verübt worden waren, von radikalen Muslimen, mit denen auch Motassadeq oft zusammengesessen, gebetet und diskutiert hatte. Die Bundesanwaltschaft (BAW) behauptet, er habe seine Freunde bei der Vorbereitung der Anschläge unterstützt. Seit dem Anfang der vorigen Woche muss er sich dafür vor dem Hamburger Oberlandesgericht verantworten. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« und Beihilfe zum Mord in 3 045 Fällen.

Dass Motassadeq nach dem 11. September nicht untertauchte, wird für oder gegen ihn ins Feld geführt, je nachdem, ob die Ankläger oder die Verteidiger vor Gericht das Wort ergreifen. Für die Anwälte des 28jährigen ist es ein Beweis seiner Unschuld. Schließlich war unmittelbar vor den Anschlägen Ramzi Binalshibh abgetaucht, der sich inzwischen in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Jazeera als Mitorganisator bekannte und der im September dieses Jahres in Pakistan verhaftet wurde. Ebenso verschwanden Said Bahaji, der mit Mohammed Atta die Wohnung teilte, und Zakariya Essabar, der zweimal vergeblich ein Visum für die USA beantragte, als die späteren Attentäter zum Flugunterricht dorthin aufbrachen. Motassadeq brauchte sich nicht zu verstecken, so die Verteidiger, weil er nichts zu verbergen habe.

Die BAW hingegen sieht durch sein Verhalten ihre These gestützt, er sei als »Statthalter« der »Terrorzelle« in Hamburg tätig gewesen. Während die übrigen zur militärischen Ausbildung in Afghanistan und später zum Erwerb eines Flugscheins in den USA weilten, habe er ihre Angelegenheiten in Hamburg geregelt und für die finanzielle Ausstattung gesorgt. Motassadeq bestreitet das.

Als bewiesen gilt, dass er alle bisher bekannten Attentäter aus Hamburg kannte und tatsächlich etliches für sie tat. Die entscheidende Frage ist, ob er seine Hilfsdienste in Kenntnis der Pläne der Attentäter verrichtete. Dann, so die BAW, sei er ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen und habe Beihilfe zum Mord geleistet. 3 045 Menschen starben bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington.

Die terroristische Vereinigung soll die so genannte Harburger Zelle um Mohammed Atta gewesen sein. Von der »Schläfertheorie«, die unmittelbar nach dem 11. September die Runde machte, spricht inzwischen niemand mehr. Die BAW geht davon aus, dass die Attentäter sich in Hamburg kennen gelernt und gemeinsam im Lauf der Jahre radikalisiert und in einen Hass auf den Westen hineingesteigert hätten, der sie schließlich dazu führte, den »Heiligen Krieg« mit Attentaten zu führen.

Wieso gerade der Gruppe aus Harburg eine so wesentliche Bedeutung bei den bislang schwersten Terroranschlägen zugeschrieben wurde, ist eine Frage, die noch nicht beantwortet ist. Denn die Anschläge werden dem al-Qaida-Netzwerk Ussama bin Ladens angelastet. Und von den 19 mutmaßlichen Attentätern, die in den gekaperten Flugzeugen saßen, kamen 17 aus Saudi-Arabien. Dort sei der Plan verfasst und finanziert worden, heißt es aus der Umgebung der Verteidigung.

Für die BAW aber bedarf es der Annahme einer Gruppe in Harburg, um Motassadeq anklagen zu können. Zwar ist es inzwischen wegen des Sicherheitspakets des Innenministers Otto Schily (SPD) möglich, auch Sympathisanten ausländischer Vereinigungen vor Gericht zu bringen. Der zur Tatzeit gültige Paragraf 129a stellt aber nur die Mitgliedschaft in einer inländischen Terrorgruppe unter Strafe. Um dennoch Unterstützer ausländischer Gruppen hierzulande vor Gericht stellen zu können, muss ein Ableger, eine so genannte inländische Organisationseinheit, der ausländischen Gruppe in der BRD existieren.

Motassadeq hingegen sagt, er sei kein Mitglied der Harburger Zelle gewesen. Er habe mit Atta gebetet und diskutiert, seine Pläne aber nicht gekannt. Er habe ihm und den anderen späteren Attentätern kleine Gefallen getan, aber nicht um mehr als 3 000 Menschen zu töten, sondern weil das unter Glaubensbrüdern und Kommilitonen so üblich sei.

Im Gerichtssaal stoßen Welten aufeinander. Es gibt unterschiedliche Interpretationen des Islam, unterschiedliche Ansichten über einen normalen oder verdächtigen Lebensstil und auch darüber, wer nur ein Bekannter oder schon ein enger Freund genannt werden kann. Vieles, was für die BAW und das Gericht ein belastendes Indiz ist, gilt in einem anderen Kontext als Selbstverständlichkeit.

So wird Motassadeq beispielsweise vorgeworfen, Zakariya Essabar eine Zeit lang seine Adresse als Postanschrift zur Verfügung gestellt zu haben, wie es auch in Studentenkreisen durchaus üblich ist. Und er verriet Binalshibh sein Codewort, unter dem dieser sich im Unicomputer einloggen und kostenlos im Internet surfen konnte. »Wenn er angeblich nur ein Bekannter war«, hält die BAW Motassadeq vor, »warum haben sie das getan? Ein Codewort ist eine sehr persönliche Sache.« Die Gegenfrage Motassadeqs lautete: »Eine persönliche Sache? Surfen im Internet?«

Da für die BAW die Attentate aus religiösem Fanatismus begangen wurden, dreht sich vor Gericht vieles um die Interpretation des Koran. Die BAW versucht nachzuweisen, dass sich Motassadeq wegen seines radikalen Islamismus an den Attentaten beteiligt habe. Er hingegen bemüht die Regeln des Koran für das Gegenteil. Ein wichtiges Indiz der BAW ist, dass Motassadeq 1996 das Testament Attas als Zeuge unterschrieb. Der Anklage dient das als Beleg für die Nähe der beiden und dafür, dass sie schon 1996 wussten, dass Atta in absehbarer Zeit sterben würde. Motassadeq aber sagt, es sei kein Testament im christlich-westlichen Verständnis gewesen, sondern nur eine Liste der Regeln, wie Muslime zu bestatten seien. Im Hinblick auf die Anschläge habe Atta das Testament ohnehin nicht verfassen können. Denn für »Märtyrer« würden im Koran andere Bestattungsregeln genannt.

Ebenso hält die BAW dem Angeklagten vor, dass in der von der Harburger Gruppe besuchten »al-Kuds-Moschee« und bei den Treffen in Attas Wohnung nach Zeugenangaben zum »Jihad« aufgerufen worden sei, zum heiligen Krieg. Motassadeq hält dagegen, dass das Wort auch mit »Anstrengung für das Heimatland« übersetzt werden könne. Wenn er nach dem Abschluss seines Studiums nach Marokko zurückkehre und ein kleines Dorf an die Stromversorgung anschließe, so der Angeklagte, »dann ist das auch Jihad«.

Und in der Tat habe er sich, wie die Attentäter des 11. September, in einem Camp in Afghanistan ausbilden lassen. Aber nicht, weil er sich auf Attentate vorbereiten wollte, sondern »weil der Koran verlangt, dass ein Moslem Schwimmen, Reiten und Schießen lernt«.

Die Verteidigung hat beantragt, einen Islamwissenschaftler als Sachverständigen zu laden. Denn die entscheidende Frage im Prozess wird es letztlich nicht nur sein, ob die BAW Motassadeq nachweisen kann, von den Attentatsplänen gewusst zu haben. Sondern auch, ob sie ein anderes Weltbild und einen anderen Lebensstil als unverdächtig akzeptiert, wenn ihr das nicht gelingt.