Beginn einer Serie über die Vorschläge der Hartz-Kommission

Wir werden billiger

Die Realisierung der Hartz-Vorschläge könnte die Behauptung widerlegen, Niedriglöhne schafften keine Arbeitsplätze. Erster Teil einer Serie über dieses Konzept. Hartzschrittmacher I.

Orientierungslosigkeit in der Steuer- und Finanzpolitik hier, ernüchternde Wachstums- und Haushaltsprognosen dort; schlimmer könnte die Bilanz der Regierungspolitik einen Monat nach der Bundestagswahl kaum ausfallen. Um so mehr beeindruckt die Entschlossenheit, die bei der »Eins zu Eins-Umsetzung« der Vorschläge der Hartz-Kommission demonstriert wird.

Bereits am 11. September legten die Fraktionen der SPD und der Grünen dem Bundestag einen Antrag zur »unverzüglichen Umsetzung« der »Reformvorschläge« vor. Da die nötigen Gesetzesänderungen auch mit Stimmen der Opposition rechnen können und zugleich einige Vorschläge direkt verordnet werden können, ist mit handfesten Veränderungen im Alltag der Arbeitslosen schon in den nächsten Wochen zu rechnen. Die ersten Personal-Service-Agenturen (PSA) wurden bereits eingerichtet.

Das Tempo der Regierung ist einigermaßen verblüffend. Schließlich gab es heftige Kritik, als im Frühjahr die ersten Ergebnisse der Kommissionsarbeit bekannt wurden. Das Konzept sei ein Armutszeugnis, weil es keinen einzigen neuen Arbeitsplatz schaffe, lautete die einhellige Kritik sowohl der Befürworter staatlicher Beschäftigungsprogramme als auch der Experten des liberalkonservativen Marktradikalismus.

Die vorgesehene neue Definition der Bedingungen, unter denen Arbeitslose zur Arbeitsaufnahme gezwungen werden können, verschaffte der Kommission jedoch von Beginn an das nötige Maß an Respekt. Als die Regierung in den Koalitionsvereinbarungen dann doch eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe beschloss und damit die Gewerkschaften düpierte, die ihr noch vor der Wahl eine Bestandsgarantie des bestehenden Regelwerkes abgetrotzt hatten, war selbst der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt voll des Lobes.

Wer aber glaubt, die der Wahl geschuldete Zurückhaltung der Gewerkschaften könnte jetzt einer grundlegenden Kritik weichen, dürfte schnell enttäuscht werden. Die allmähliche Formierung der Gewerkschaftslinken in Bündnissen gegen das Hartz-Konzept kann schwerlich darüber hinwegtäuschen, dass es im gewerkschaftlichen Milieu große Zustimmung findet.

»Wie sehr die deutschen Gewerkschaften in der Lage sind, eine gemeinwohlorientierte Politik auch dann zu unterstützen, wenn sie an Details Kritik haben, das verdient Respekt«, freute sich denn auch Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag in der vorigen Woche in Berlin.

Was aber könnte der tiefer liegende Grund für die Akzeptanz jenes Konzeptes sein, das das neokorporatistische Hartz-Gremium am 16. August vorlegte und das die »größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte« einzuleiten verspricht? Das sind starke Worte für einen Entwurf, der ohne eine wirtschaftspolitische Fundierung auszukommen scheint und in erster Linie nur die effektivere Vermittlung und Verwaltung der Arbeitslosen anstrebt. Schlimm genug, was da auf die Arbeitslosen zukommt, mag manch einer sich denken. Doch interessant sind nicht die Details, sondern die noch schwer abzuschätzende Gesamtwirkung, die tatsächlich ein Zuwachs an Beschäftigung sein könnte.

Bekanntlich halten manche Ökonomen die Lohnerwartungen von Beschäftigten im Dienstleistungssektor, aber auch in vielen arbeitsintensiven Sparten der industriellen Produktion für übertrieben. Weil die erwarteten Löhne für viele Tätigkeiten nicht dem Preis entsprächen, den sie auf dem Markt erzielen könnten, käme eine nennenswerte Nachfrage etwa nach Dienstleistungen in privaten Haushalten nicht zustande. »Deshalb wird infolge des intensiveren Strukturwandels eine stärkere Lohnspreizung erforderlich, und zwar zwischen Humankapital, dessen Wert erhalten bleibt, und Humankapital, dessen Wert durch strukturelle Verschiebungen verändert wird«, meint Horst Siebert vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Glücklich kann also sein, wessen Arbeitskraftprofil ihm zu einem Job verhilft, dessen »Wertschöpfungspotenzial« je nach dem Stand des kapitalistischen Krisenprozesses gerade groß genug zu sein scheint. Putzen für 'nen Euro, das wäre die Praxis einer Theorie, die man als die Lehre der »reinen Löhne« bezeichnen könnte.

Konsequenterweise lehnen orthodox-liberale Ökonomen staatliche Lohn- und Steuerzuschüsse für niedrig entlohnte Arbeit ab, wie sie etwa im Rahmen des so genannten Mainzer Modells, im Grunde aber auch des gesamten ABM-Programms gewährt werden. Die realpolitische Fraktion dieser Ökonomen indes betrachtet schon lange den Kombilohn als ein Mittel, das eine Politik der niedrigen Löhne akzeptabel machen soll.

Der politische Erfolg des Hartz-Konzepts deutet darauf hin, dass die Ausweitung der bereits existierenden, aber kaum wahrgenommenen Niedriglohnzone vielleicht gar keine Vorwände mehr braucht. So soll beispielsweise die untertarifliche Bezahlung von LeiharbeiterInnen nicht mit Lohnzuschüssen ausgeglichen werden.

Das Arbeitsamt gewähre lediglich minimale Rechte wie den Kündigungsschutz, auf den Arbeitgeber, die Leiharbeiter anfordern, nicht mehr verpflichtet werden sollen. Wer sich die Ausführungen zu diesem »Modul« des Berichtes genauer ansieht, ahnt, welche arbeits- und tarifrechtlichen Auswirkungen die Niedriglohnpolitik auf die Gesamtheit der Arbeitsverhältnisse haben könnte.

Das Hartz-Konzept ist vor allem deshalb ernst zu nehmen, weil es in sich schlüssig ist. Mit den »Modulen« zur Zumutbarkeit und zur tendenziellen Angleichung der Arbeitslosenhilfe an die ebenfalls zu entwertende Sozialhilfe löst es ein Problem, an dem eine nachfrageorientierte, in diesem Falle also unternehmerfreundliche Niedriglohnpolitik bisher scheiterte. Miese Jobs nimmt in der Regel nur an, wem nicht anderes übrig bleibt.

Die gut gemeinte Kritik, Niedriglöhne schafften keine Jobs, könnte somit schnell widerlegt werden. Ohne dass die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise oder die Krise der Arbeit thematisiert worden wären, könnte am Ende die Mehrwertschöpfung auch in den früh industrialisierten Gesellschaften wieder verstärkt auf der quantitativen Ausbeutung der Arbeitskraft beruhen. Zumal die aktuelle Börsenkrise es weniger risikofreudigen Unternehmern nahe zu legen scheint, ihr Kapital doch besser wieder in die als anachronistisch bezeichnete Anlageform Arbeit zu investieren.