Die 36. Art Cologne

Butter in der Ecke? Das ist doch Kunst!

Soeben fand mal wieder die Art Cologne statt. Ein guter Anlass, sich auf die Suche nach dem verlorenen Kunstwerk zu begeben.

Kunst zu kriegen, kann eigentlich nicht so schwer sein. Warum also sollte ein gesunder junger Mensch sich für eine wichtigtuerische Veranstaltung wie die Art Cologne interessieren? Für »The Artpole of the World. 36. Internationale Messe für Moderne Kunst. 30. Oktober bis 3. November 2002«?

Zwei Dutzend Kunstakademien lassen jährlich ein Heer von Künstlern auf die Menschheit los, und alle haben irgendwo ihre Vitrine. Sie haben längst die Gesellschaft unterwandert. Jeder zweite Taxifahrer drückt mir den Flyer für seine nächste Ausstellung in die Hand. Die Abfüllstationen, in denen die Diplommaler zapfen, hängen voller Kunst. Die Welt ist ein einziger Kunstmarkt. Auf Akademierundgängen und Debütantenausstellungen kann man die kommenden Werke bewundern. Jedes mittelmäßige Kaff feiert regelmäßig eine lange Nacht der Galerien und Museen, Shuttle-Bus und Single-Börse im Preis einbegriffen. Keine Volksschule, keine Behindertenanstalt ohne Weihnachtsbasar mit Kunstecke. Kleine Frage an die Westberliner: Gibt es eigentlich noch die juryfreie Kunstausstellung am Funkturm und den Kreuzberger Bildermarkt?

Seit der Entdeckung des privaten und öffentlichen Sponsoring ist die moderne Kunst ein Umweltproblem. Deutschland, Land der Künstler. Die Deutsche Bank preist, als wären Events ihr Geschäft, in ganzseitigen Anzeigen die flachbrüstige Aktion einer Künstlerin, die zwar nahezu unbekannt ist, dafür jedoch mit Ateliers in Berlin, New York und Klein-Kleckerdorf angibt. Köln steht, hängt und liegt voller entsetzlicher Artefakte eines gewissen Herrn Schult, der zwar ein miserabler Künstler, jedoch ein bienenfleißiger Marketingstratege ist. Wo bleibt der Atlas der durch Kunst verschandelten Bauwerke und Städte? Wer bremst den Eifer der Sponsoren? Banken und Versicherungen, Ämter und Regierungsbehörden, ja selbst der Bundestag und das Bundeskanzleramt schaden dem deutschen Ansehen durch massive Ankäufe von Kunst. Kunst ist zur Exkulpationsfigur degeneriert. Wie soll man angesichts dessen, was da rumsteht und rumhängt, noch anständig verwalten und regieren?

Dennoch: Kunst, wohin das Auge schaut. Man bräuchte sich eigentlich gar keine mehr zu kaufen. Ein Spaziergang genügt. Ist das Thema Art Cologne damit abgehakt? Mitnichten. Eine alte Lebenserfahrung zeigt: Man mag sich nicht alles erwandern. Wo die Welt voller ästhetischer Elaborate ist, will der Mensch auf sein privates Stück Kunst nicht verzichten. Dieser Wunsch ist klassenlos und kein Privileg des künstlerisch gebildeten Bourgeois. Bei ihm kommt lediglich der Distinktionsgewinn hinzu, der durch Besitz eines Kunstwerks im fünfstelligen Preisbereich erworben wird, während der Proll sich nicht durch übertriebenes Deficit-Spending zu distinguieren braucht und sich mit dem Kunstgenuss pur begnügen muss, wenn er ein seiner Einkommensklasse entsprechendes Machwerk überm Bett hängen hat.

Ein Segment der ästhetischen Moderne hat dem Hang zum Privatbesitz von Kunstwerken vergeblich entgegengesteuert. Kleines Beispiel für ein Werk in dieser Richtung:

Vor etwa 25 Jahren ließ ein Bildhauer im Rahmen einer international besetzten Ausstellung einen stinknormalen Campinganhänger auf einen öffentlichen Parkplatz stellen. Jeden Morgen schaute ein städtischer Angestellter mit seinem Trailer vorbei und verschob den Caravan auf einen anderen Parkplatz irgendwo im Stadtgebiet. Kein Künstler dirigierte den Kunsttransport, kein Einsatzplan bestimmte, wann das Gefährt an welchem Ort zu sein habe.

Der alte Traum der Happeningkünstler war in dieser Arbeit Realität geworden. »Kunst gleich Leben, Leben gleich Kunst.« Denn natürlich standen in jener westdeutschen Großstadt zur selben Zeit einige Hundert Campinganhänger herum und wurden gelegentlich bewegt. Der Einfall, so alt wie das 20. Jahrhundert, hat längst Karriere gemacht. Wer heute in Kunstausstellungen herumsteht, die gerne auch in alten Bahnhöfen, Molkereien und Großmarkthallen eingerichtet werden, wird seine Bananenschale und die leere Bierflasche nur ungern im nächsten Mülleimer entsorgen. Er könnte ein Teil einer Installation sein.

Wie ein Fußpilz hat eine Mimikrykunst sich in die öffentlichen und privaten Räume gefressen. Niemand kann mehr sicher sein, dass der Poller am Rand der Fußgängerzone, der Kabelsalat neben der Telefonzelle nicht Teile einer Kunstaktion sind.

Aus der Trostlosigkeit unserer Ansiedlungen ist dem Kunstfreund dank solcher Arbeiten die tröstliche Gewissheit erwachsen, dass alles Kunst sein könnte, alles, was er sieht und hört und riecht und ertastet, erfühlt und erleidet. Ist dies nun wenigstens ein Zustand, der die Art Cologne überflüssig macht? Auch das kann man so nicht sagen. Die Situation der Kunst ist ja durch ihre gesellschaftliche und begriffliche Enthemmung nicht einfacher geworden. Der gänzliche Verzicht auf Unterscheidungsmerkmale wie Produktionstechniken, Genres, ästhetische Kriterien, Umrahmungen etc. stellt den Kunstmenschen schon seit geraumer Zeit vor schwere Interpretationskonflikte.

Während früher, in der Kindheit der Moderne quasi, die Art der Präsentation einer Fahrradklingel oder eines ausgepusteten Hühnereis zum Beispiel - in einer Galerie oder einem Museum auf einem Sockel, dramaturgisch ausgeleuchtet, mit Preisschild versehen, im Katalog abgebildet - den Kunstcharakter bestätigte, werden derlei Eselsbrücken inzwischen gerne weggelassen. Man verzichtet heute zumeist auf die ironische Brechung, die dem Betrachter signalisiert: »Ich weiß, das Bild ist Scheiße, aber ich bin mal so frech« (Methode Kippenberger). Der Kunstbetrieb der letzten zwei Jahrzehnte könnte deshalb einen Titel von Proust übernehmen: Auf der Suche nach dem verlorenen Kunstwerk.

In dieser Situation braucht man Agenturen und Instanzen, die den Ist-Zustand der aktuellen Kunstproduktion absegnen und die oberen Preislimits festlegen. Eine solche Agentur sind die Art Cologne und das erlesene Grüppchen der dort zugelassenen Kunsthändler, die sich folgerichtig Kritiker und Symposien leisten, die ihre Enzykliken scheinbar diskutieren und verkünden.

Natürlich wird so nur das Vokabular der auf soziale Distinktion und kulturelle Hegemonie bedachten Gesellschaftsgruppen bestätigt. Dies färbt aber auf die nachgeordneten Märkte ab. Was auf der Art Cologne ein Vermögen kostet, wird in der Provinz mit einem anderen Label (Künstlernamen) gleich schlecht, aber erheblich preisgünstiger gehandelt. Sodass sogar eine Art verbindlicher Ästhetik der Kunstproduktion entsteht. Denn, wie wir die Menschen kennen, wird auch der Kunsterzieher in Wanne-Eickel nur solche Werke schaffen, die, zumindest theoretisch, auch in Köln bestehen könnten, wenn er nicht den falschen Namen und den falschen Galeristen hätte.

Mehr beim nächsten Mal.