Australische Flüchtlingspolitik

Weite Meere

Ob es sich um einen folgenschweren Fehler oder ein Verbrechen handelte, mochte der Untersuchungsausschuss des australischen Senats nicht beurteilen. Stattdessen bezeichneten seine Mitglieder es als »außerordentlich«, dass »ein so großes menschliches Unglück sich in der Nähe von intensiven australischen Operationen ereignen konnte und dann noch drei Tage nach dem Ereignis unentdeckt geblieben sein soll«.

Der Ende Oktober veröffentlichte Bericht sollte klären, ob die konservative Koalitionsregierung unter John Howard über den Untergang eines Flüchtlingsschiffs im Meer zwischen Indonesien und Australien am 19. Oktober des vergangenen Jahres informiert war und es versäumte, Rettungsmaßnahmen anzuordnen. Nicht weniger als 353 Asylsuchende starben, nur 44 Überlebende konnten nach drei Tagen aus dem Meer gefischt werden.

Das Boot, das im Marinejargon als SIEV X (Verdächtiges Illegales Eingangsschiff Nummer 10) firmierte, war völlig überfüllt von Indonesien aus in See gestochen. Flüchtlinge, die nicht bereit waren, ihr Leben auf dem offensichtlich seeuntüchtigen Kahn zu riskieren, wurden damals von indonesischen Polizisten mit Waffengewalt daran gehindert, das Schiff zu verlassen.

Der Vorfall war zu dieser Zeit nur der traurige Höhepunkt einer Unglücksserie in diesem Seegebiet. Spätestens seit der Tampa-Affäre (Jungle World, 37/01) war es für Bootsflüchtlinge fast unmöglich, australischen Boden zu erreichen. Im Rahmen der so genannten Operation Clever beschäftigte sich die halbe Flotte, unterstützt von Seeüberwachungsflugzeugen, mit der Sicherung der Küste. Warum entging ausgerechnet SIEV X den wachsamen Augen?

Beweise für Versäumnisse der Marine gebe es zur Zeit nicht, erklärte John Faulkner, Senatsführer der oppositionellen Labor-Partei und Mitglied des Untersuchungssauschusses. Viele Fragen über die Hintergründe seien aber weiter unbeantwortet, deshalb forderte Faulkner die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Wie sich eine solche Kommission gegen die Blockade der Regierung durchsetzen könnte, erläuterte er nicht. Denn selbst dem Untersuchungsausschuss des Senates wurden Hunderte von Dokumenten aus Gründen der »Staatssicherheit« vorenthalten oder nur zensiert zugänglich gemacht; Mitarbeitern der entsprechenden Ministerien wurde die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss verboten.

Die Geheimhaltung dürfte gute Gründe haben. Zur Zeit des Untergangs von SIEV X war die indonesische Regierung nur halbherzig bereit, den Transit von Flüchtlingen nach Australien zu unterbinden. Nach dem Untergang des Schiffs erklärte sich Indonesien mit allen Kooperationswünschen der australischen Regierung einverstanden, um derartige Unglücke in Zukunft zu verhindern.

Eine Aufklärung über »Versäumnisse« der Marine ist in diesem Zusammenhang ebenso unerwünscht wie eine Untersuchung des so genannten »Menschenschmugglerzerrüttungsprogramms« der Regierung. Dessen Absicht war es, mit diversen Methoden die Migration schon in den Transitländern zu unterbinden.

So wurden Undercover-Agenten und Polizeioffiziere im letzten Jahr in Indonesien eingesetzt, um die australischen Behörden rechtzeitig über die Abfahrt von Booten in Kenntnis zu setzen. Nach Aussagen eines Beteiligten waren sie aber auch damit beschäftigt, die Boote von Flüchtlingen zu sabotieren.