Berliner Bündnis gegen das Hartz-Konzept

Bund der Miesmacher

In Berlin hat sich ein Bündnis gegen das Hartz-Konzept gebildet. Über seine Ziele ist es sich jedoch noch nicht einig.

Es herrschte fast so etwas wie Aufbruchstimmung auf den Gründungstreffen des »Berliner Bündnisses für soziale Grundrechte - Stoppt die Hartz-Pläne« im Haus der Demokratie und Menschenrechte. Auch wenn sich einmal mehr das ungeschriebene Gesetz zu bestätigen schien, wonach sozialpolitisch Engagierte bereits an ihrem Auftreten, ihrem Alter oder schlicht an ihrer Kleidung zu erkennen sind, ganz so, als ob sich Jahrzehnte des Sozialabbaus darin eingezeichnet hätten. Über 30 verschiedene Gruppen, darunter Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschafter und Autonome treffen sich seit dem 20. Oktober in regelmäßigen Abständen, um etwas gegen das Hartz-Konzept zu unternehmen.

Kündigen die Eliten epochale Veränderungen an, dann kommt den Kritikern allzu leicht der Überblick abhanden. Immerhin hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seiner jüngsten Kritik des Sozialstaates sogar auf Bismarcks Politik Bezug genommen. Die Zeiten dieser Art des Sozialstaats seien endgültig vorbei. Die ersten Treffen des Berliner Bündnisses gerieten denn auch zu einer Mischung aus solider Recherche und wilder Spekulation über die möglichen Folgen der Hartz-Reform.

Renate Hürtgen, die Betriebsratsvorsitzende an der Universität Potsdam, erkannte das Problem als Erste und sprach von einer Informationsflut, die die kritische Öffentlichkeit zu bewältigen habe. Täglich würden neue, zum Teil widersprüchliche Details über die Umsetzung des Konzeptes bekannt. Kein Wunder also, dass seine kritische Analyse enorme Schwierigkeiten bereitet.

Auf Unverständnis stoßen im Bündnis die Vorstellungen des autonomen Gegeninformationsbüros, aus dessen intensiver Vorarbeit bereits die Broschüre »Tatort Arbeitsmarkt« entstanden ist. Der bevorstehende »Angriff auf die Löhne und Rechte von LohnarbeiterInnen und Erwerbslosen« zeige einen »innenpolitischen Systemwechsel an, in dessen Zuge das alte System der sozialpartnerschaftlichen Regulation der Klassenverhältnisse zugunsten einer autoritär neoliberalen Arbeitsverwaltung« abgeschafft werde, hieß es im Referat eines Vertreters des Büros auf dem zweiten Bündnistreffen am 3. November. Die meisten Anwesenden zeigten sich angesichts dieser Analysen sichtlich irritiert.

Dankenswerterweise erinnerte ein Vertreter der Initiative »Berlin von unten« daran, dass doch gerade die »sozialpartnerschaftliche Einbindung der Gewerkschaften stets die größten Schweinereien durchsetzen hilft«. Die im Hartz-Bericht angekündigte »größte Arbeitsmarktreform seit 1945« stehe deshalb nicht für einen Systemwechsel, sondern für Kontinuität.

Somit war endlich das Thema angesprochen, auf das die meisten wohl mit Spannung gewartet hatten. Die Rolle der Gewerkschaften in der Diskussion um die Reform schien einigen der Anwesenden schon länger Bauchschmerzen bereitet zu haben. Schließlich konnte man den fleißig ausgefüllten Teilnehmerlisten des ersten Treffens am 20. Oktober entnehmen, dass sich nicht nur viele passive Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch viele lokale Funktionsträger eingefunden hatten.

Wie zu erwarten war, warf die Mehrheit des Bündnisses den Gewerkschaften schlicht Versagen vor. Doch versagen kann nur, wem auch ein guter Wille unterstellt wird. Gerne wurde das Bild von einer aufmüpfigen Basis gezeichnet, die die Führung der Gewerkschaft in die Pflicht nehme. Und tatsächlich hört man im Moment täglich von neuen Anti-Hartz-Initiativen lokaler Gewerkschaftsgremien.

So soll nach einer Aussage von Markus Dahms, einem Betriebsrat bei Siemens Berlin, eine Stadtteilgruppe der IG Metall in Spandau den Antrag an die Berliner Delegiertenversammlung gestellt haben, sie möge die Vorstände der Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) auffordern, »die Vorschläge der Hartz-Kommission grundsätzlich zurückzuweisen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen«.

Auch wenn die vielen anwesenden Gewerkschafter nicht so richtig erklären konnten, warum solche Initiativen nicht schon viel früher ergriffen wurden, erhielt man doch einen Eindruck, welche Mechanismen innerhalb des Gewerkschaftsapparates das Schweigen der Mehrheit erzwungen haben könnten.

Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Diskurses, der jede grundlegende Kritik an einer Reform des Arbeitsmarktes der Miesmacherei bezichtigt, sehen gerade die als Modernisierungsblockierer bezeichneten Gewerkschaften sich zum Mitmachen genötigt. Die spürbare Verunsicherung vieler Gewerkschaftsangestellter zeigt, dass dieser Zwang zum Konsens offenbar auch intern fortwirkt.

Im Berliner Bündnis für soziale Grundrechte hegt man keinerlei Illusion darüber, dass der gewerkschaftliche Opportunismus nicht nur Mechanismen der Anpassung, sondern auch einem gerade in Gewerkschaftskreisen weit verbreiteten Arbeitsethos geschuldet ist.

Aber auch vom Bündnis selbst darf man keine allzu deutliche Kritik an der vorherrschenden Arbeitsideologie erwarten. Jürgen Petersen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin formulierte das Dilemma treffend, als er eine taktische Konzentration der Kritik auf die geplante Ausweitung der Leiharbeit vorschlug: »Besser, die Gegenseite lehnt die Forderung ab, als dass wir hingestellt werden, als ob wir nicht arbeiten wollten.«

So deutlich wollten die übrigen Anwesenden ihre Furcht vor der öffentlichen Meinung nicht zugeben. Dennoch herrscht im Bündnis eine große Einigkeit darüber, was sich überhaupt noch zu fordern geziemt. Das zeigte sich nicht zuletzt am Willen, die Hartz-Pläne auch deshalb zu kritisieren, weil sie nachweislich keine Arbeitsplätze schaffen. Von einem Recht auf Faulheit war hingegen keine Rede.

Es sprang auch niemand so richtig auf den Vorschlag von Elisabeth Voß von der Initiative »Anders Arbeiten« an, grundsätzlich das Motto »Arbeit um jeden Preis« zu kritisieren. »Müsste es anstatt um die Kritik der Arbeitsgesellschaft nicht um die Kritik des Kapitalismus gehen?« fragte Bernd Gehrke von Attac ganz traditionsmarxistisch und brachte die Debatte damit zum Verstummen.

All dieser Begriffsverwirrung zum Trotz liegt inzwischen eine Gründungserklärung des Bündnisses sowie eine Liste von Aktionsvorschlägen vor, die beispielsweise auch eine symbolische Blockade der DGB-Zentrale vorsieht. Vorgenommen hat man sich also eine Menge.

Doch in Berlin, wo bekanntlich der Rotstift die Politik des Senats bestimmt, verschwinden gegen Kürzungen im Sozialbereich gerichtete Bündnisse meistens so schnell, wie sie entstehen. Ob die von manch einem vorgeschlagene Zusammenarbeit mit anderen Bündnissen, etwa dem Sozialpolitischen Ratschlag, einem Scheitern entgegenwirken könnte, ist ebenso fraglich wie die Hoffnung, ein Anti-Hartz-Bündnis könne mehr sein als ein Verein zur Rettung des bismarckschen Erbes.

Informationen unter: www.anti-hartz.de