Österreich im Wahlkampf

Haupt ohne Rumpf

Kurz vor den Neuwahlen in Österreich ist Jörg Haiders FPÖ vor allem mit internen Machtkämpfen beschäftigt.

Das österreichische Fernsehen sollte seinen aktuellen Quotenhit, bei dem sich zu mitternächtlicher Stunde vor einem Millionenpublikum die Spitzenkandidaten duellieren, »Szenen einer Koalition« nennen. Der konservative Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sitzt seinem Frauenminister Herbert Haupt, dem Spitzenkandidaten von Jörg Haiders Freiheitlicher Partei (FPÖ), gegenüber und lässt sich vorwerfen, er habe mutwillig das gemeinsame »Projekt« zerstört. So nennen beide ihre ehemalige Koalition. Der »Schweigekanzler« beruhigt ihn daraufhin und bietet ihm ein neues Verhältnis nach der Wahl an.

Dann folgt Schmeichelei auf Schmeichelei, bis kurz vor dem Ende der Show die Koalition wieder platzt. Bei der Ost-Erweiterung der EU folgt Haupt der Wahlkampflinie Haiders, die FPÖ werde dem Beitritt des nördlichen Nachbarlandes nicht zustimmen: Ja zum Leben, nein zu Tschechien! »So nicht!«, fährt Schüssel plötzlich aus der Haut und entzieht seinem Gesprächspartner unvermittelt die Koalitionsfähigkeit. Haupt stochert eingeschüchtert mit seinen Blicken im Nichts des Studioraums und nimmt verschämt alles wieder zurück.

Schüssel, der Bezwinger Haiders, lässt sich feiern. Mittlerweile ist sogar selbst dieser davon überzeugt, dass es nie das Ziel des Projekts war, »Österreich neu zu regieren«, wie stets behauptet wurde, sondern »die FPÖ zu zerstören. Schüssel ist eiskalt und kennt keine Skrupel. Seine Kälte ist so brutal, dass er bereit ist, über Leichen zu gehen.«

Tatsächlich steuert Schüssel in Umfragen mit der ÖVP zielsicher auf Platz eins zu und lässt die Freiheitlichen zerstört hinter sich zurück. Nach dem Rücktritt sämtlicher Spitzenpolitiker der FPÖ können die Rechtspopulisten nur noch auf ein Drittel ihrer einstigen Wählerschaft zählen.

Schüssel hat wohl auf seinen ehemaligen tschechischen Amtskollegen gehört. Milos Zeman warnte ihn Anfang des Jahres im Streit um das Atomkraftwerk Temelin vor einem »politischen Tschernobyl«. Gemeint waren Schüssels Koalitionspartner.

Als der größte anzunehmende Unfall geschah, war Schüssel tatsächlich vorbereitet. Nachdem sich Haider mit seinen wichtigsten Parteikollegen zerstritten hatte, kündigte Schüssel umgehend seinem Koalitionspartner, über den er in den letzten drei Jahren kein kritisches Wort verloren hatte.

Die zahlreichen Skandale des Kärtner Landeshauptmanns erinnern mittlerweile an eine Daily Soap. Gestern bezeichnete er die ehemaligen FPÖ-Minister als »Schwächlinge«, heute trifft er Saddam Hussein, um die »Diktatur von innen aufzubrechen«, und morgen bezichtigt er seine ehemalige Parteivorsitzende Susanne Riess-Passer der Bestechlichkeit.

Das alles macht er mit einem Minimum an Personalaufwand und folgt einer gewissen Notwendigkeit. Denn von jenen aus seiner Partei, die es zu einiger Popularität gebracht haben, ist niemand mehr übrig. Die Vizekanzlerin Riess-Passer wandte sich von der Partei ab, ihr wird von Haider mittlerweile der Austritt nahe gelegt. Den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der es auf der Beliebtheitsskala auf den ersten Platz brachte, denunziert er als »Verräter« und spricht über dessen Verbindungen zur »amerikanischen Ostküste«. Riess-Passer und Grasser erwägen nun sogar das bisher Undenkbare, eine Klage gegen ihren einstigen Förderer.

Vor den Neuwahlen wird dem heimlichen Vorsitzenden der FPÖ in ungewohnter Einigkeit ein »Psycho-Knall«, so das Nachrichtenmagazin News, nachgesagt. Der Kolumnist Hans Dichand, der in der rechtspopulistischen Kronenzeitung täglich ein Millionenpublikum erreicht, empfiehlt sogar in großen Lettern: »Haider nicht mehr ernst nehmen!«

Die gesamte Führungsschicht ist in der Versenkung verschwunden, auch das kreative Personal. Auffällig am Wahlkampfauftritt der Partei ist, dass sämtliche Showeffekte misslingen, die bislang ihre Politik kennzeichneten. Nicht einmal blaue Teddybären bekommt man mehr in der Einkaufszone in die Hand gedrückt.

Geblieben ist Haider nach den zahlreichen Rücktritten nur noch Haupt. Eigentlich war der junge Verkehrsminister Mathias Reichhold als Spitzenkandidat vorgesehen. Ein Fehlgriff, wie es sich zumindest für Haider herausstellen sollte. In seiner ersten Amthandlung strich ihn der neue Vorsitzende einfach aus der Wahlliste der Partei. Haider reagierte, indem er in seiner Provinz lieber Plakate mit Haupts Hund Emily als Motiv kleben ließ als solche des Spitzenkandidaten. Nach 40 Tagen lag Reichhold mit Herzbeschwerden im Krankenhaus. Haider setzte sich anschließend wieder auf die Wahlliste und platzierte Reichhold auf einen aussichtslosen Listenplatz.

Nun muss es Emilys Herrchen richten. Der Sozialminister besitzt allerdings außer seiner Loyalität keine weiteren Vorzüge. Er ist alt, leidet an einer Hepatitis-C-Infektion, einer stramm deutschnationalen Gesinnung und an katastrophalen Umfragewerten. Als Sozialminister war er für die meisten Grausamkeiten der blau-schwarzen Regierung verantwortlich, und in sämtlichen Skandalen, die die FPÖ im Laufe des Sommers produzierte, hatte er seine Finger im Spiel.

So ist es für Schüssel leicht, sich sämtliche Erfolge anzueignen, die der Regierung zugeschrieben werden, vor allem die populäre Entscheidung für das so genannte »Nulldefizit« im Bundeshaushalt, indem er den freiheitlichen Finanzminister Grasser in sein Team aufnimmt. Der FPÖ bleibt da nur noch die Enttäuschung ihrer Wählerschaft über die negativen Effekte dieser Politik. Die Arbeitslosigkeit und die Steuern sind so hoch wie nie zuvor seit dem Bestehen der Republik. Dass er die Verantwortung dafür nicht mehr mittragen will, machte Haider mit seinem »Putsch«, der durch seine Forderung nach Steuersenkungen hervorgerufen wurde, deutlich.

Seit dem Rücktritt der Regierung kann sich auch die Opposition wieder Hoffnungen machen. Umfragen künden erstmals seit Bruno Kreiskys Zeiten von einer möglichen linksliberalen Mehrheit. Tatsächlich waren sich die Sozialdemokraten und die Grünen nie so nahe wie heute, was sich an dem TV-Geplänkel der beiden Spitzenkandidaten am vergangenen Donnerstag zeigte. Die »Konfrontation« war beseelt von der Atmosphäre eines Koalitionsgesprächs im Kaffeehaus. Die Botschaft war klar, wir sind die lässigere Regierung.

Alfred Gusenbauers SPÖ verspricht gemeinsam mit den Grünen, einen großen Teil der Belastungen wieder zurückzunehmen, für Kleinverdiener die Steuern zu senken und ein Grundeinkommen einzuführen, natürlich unter Wahrung des »Nulldefizits«.

Als Garant für eine seriöse Politik steht der Vorsitzende der Grünen, Alexander van der Bellen, der sich wegen seines professoralen Habitus großer Beliebtheit erfreut. Mit seinen langatmigen Vorträgen kann er mittlerweile sogar die Marktplätze in der Provinz füllen.