Der Gegner steht im eigenen Land
Beginnen wir mit einer kleinen Geschichte. Ein junger Mann besuchte jahrelang seine reiche Erbtante, bis er erfuhr, dass sie ihr gesamtes Vermögen anderen vermachte. Seit diesem Tag erhielt die geschätzte Dame keinen Anruf mehr, am Ende starb sie einsam und verlassen. Hat sich das Verhältnis zwischen den beiden verändert? Die Antwort liegt auf der Hand: Nicht das Verhalten des jungen Mannes, nur die äußeren Umstände haben sich verändert.
Die Geschichte erinnert an das Verhalten eines anderen, mittlerweile ergrauten Mannes. Als er dem heute wohl prominentesten Diktator der Welt zum letzten Mal begegnete, schüttelte er ihm noch freundlich die Hand. Die Szene ereignete sich im Dezember 1983 und Donald Rumsfield war damals als Sonderbeauftrager des US-Präsidenten Ronald Reagan im Mittleren Osten unterwegs. In jener Zeit halfen die USA dem Irak bei der bakteriologischen und chemischen Bewaffnung. Darüber berichteten die New York Times, der Fernsehsender NBC und das Magazin Newsweek im August und September dieses Jahres detailliert.
Heute will Rumsfeld möglicherweise das Land bombardieren lassen, dass er vor 20 Jahren zum letzen Mal besuchte. Das befahl bereits Präsident Bush sen. im Januar und Februar des Jahres 1991, wobei 150 000 Iraker ihr Leben lassen mussten. Die US-Regierung kam kurz danach zu dem Schluss, dass das Regime Saddam Husseins ein Stabilitätsfaktor in der Region und deswegen aufrechtzuerhalten sei.
Die irakische Bevölkerung erhob sich im März des Jahres 1991 ohne die nötige Vorbereitung und Bewaffnung, im Vertrauen darauf, dass die alliierte Militärmacht sie unterstütze. Stattdessen wurde die Bevölkerung allein gelassen, die irakischen Streitkräfte schlugen den Aufstand blutig nieder.
Hat sich die Politik der westlichen Führungsmächte innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte gravierend verändert? Keineswegs. Allein die eingesetzten Mittel variierten. Mal setzte man auf die Aufrüstung einer Diktatur, welche die Niederschlagung von Kommunisten und aufständischen Kurden trefflich besorgte, mal setzte man auf eigene Waffengewalt.
Heute hat eines dieser beiden Mittel wohl vorerst ausgedient. Die US-Regierung scheint tatsächlich entschlossen zu sein, sich des heutigen irakischen Regimes zu entledigen. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 definierte die führende Militärmacht ihre Interessen neu. Um mehr Handlungsspielraum gegenüber ihren eigenen Verbündeten, vor allem Saudi-Arabien, zu gewinnen, wollen die USA jetzt Saddam Hussein durch einen ihnen freundlich gesonnenen General ersetzen.
Kann man daraus folgern, dass die US-Politik nun von ihren vorangegangenen »Fehlern« abrückte, wie es etwa Thomas von der Osten-Sacken in einem Mitte Oktober erschienenen Interview in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz vermutet? Von Fehlern kann zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. Die politische Elite der USA wusste sowohl 1983 als auch 1991 sehr genau, welch großartiger Demokrat und Humanist Saddam Hussein war. Sie irrte sich nicht, sondern sie definiert ihre Interessen heute einfach nur anders.
Angesichts der unterschiedlichen Mittel, deren sich die Politik der westlichen Führungsmächte im Mittleren Osten in den letzten Jahrzehnten bediente, kann es für eine kritische Linke nicht darum gehen, eine dieser Strategien gegen die andere auszuspielen. So ist es natürlich ein schwerer Fehler, wenn Linke zwar den Krieg denunzieren, aber über die irakische Diktatur - und über jene, die sie bewaffnet haben - kein Wort verlieren.
Umgekehrt kann auch nicht der frühere Export von technischen Mitteln zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen als Argument für einen Angriff dienen. Damit würden die Verbrechen von gestern jene von morgen, begangen von denselben Protagonisten, rechtfertigen. Hingegen sind sich alle Kriegsbefürworter von links bis rechts darüber einig, dass die Bomben jedenfalls nicht auf die Hersteller und Lieferanten der Waffen, sondern auf die ohnehin geschundenen irakischen Untertanen fallen sollen.
Linke müssen in ihrer Kritik beide Aspekte zusammenfassen. Die notwendige Kritik der Rüstungsexporte an den Irak steht nicht im Widerspruch, sondern bildet eine notwendige Ergänzung zur Ablehnung des Krieges. Gerade in Deutschland könnten so verschiedene Anliegen verbunden werden, die beim Golfkrieg im Jahr 1991 fälschlicherweise gegeneinander ausgespielt wurden.
Denn auch wenn Deutschland nicht am kommenden Krieg gegen den Irak teilnehmen sollte, so wäre es doch auf beiden Seiten involviert. In den achtziger Jahren nahmen deutsche Unternehmen und die damalige Bundesregierung, gemeinsam mit anderen westlichen Großmächten, an der Aufrüstung des Irak teil. Daran ist zu erinnern.
Zugleich ist Deutschland seit 1982 der Vertragspartner des Abkommens War Time Host Nation Support, das es den Nato-Staaten erlaubt, Flughäfen und andere Teile der Infrastruktur der Bündnispartner zu nutzen, um im Nahen Osten Krieg zu führen. Linke Gruppen haben zu Recht lange Zeit die Aufkündigung dieses Abkommens gefordert, was heute wieder vergessen scheint.
Die berechtige Kritik an diesen Punkten ist um einen dritten Aspekt zu ergänzen, um die Kritik an der Asyl- und Abschottungspolitik, an der Behandlung, denen kurdische und andere irakische Flüchtlinge in Deutschland und Europa ausgesetzt sind.
Die kritische Linke könnte so innerhalb einer heterogenen Protestbewegung verschiedene Ansätze zusammenführen und die Rolle, die das jeweilige eigene Land dabei spielt, kritisieren. Damit entfällt auch die Befürchtung, sich in Gemeinschaft mit der Regierung oder mit Nationalisten wiederzufinden. Denn geht es um die Kritik des eigenen Imperialismus, hört die vermeintliche Gemeinsamkeit schnell auf.
Falsch ist es, die ersten beiden Aspekte in einen Gegensatz zueinander zu bringen. So stellen Autoren wie Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken schematisch die USA als Gegner des Baath-Regimes auf der einen Seite und Deutschland sowie Frankreich als Waffenlieferanten des Irak auf der anderen Seite gegeneinander (Jungle World, 30/31/02).
Während des Golfkrieges von 1991, der nur drei Monate nach der deutschen Wiedervereinigung stattfand, assoziierte ein Teil der Linken die deutschen Giftgaslieferungen mit dem irakischen Angriff auf Israel und mit einem vermeintlichen nationalen Anliegen der Deutschen. Eine Assoziationskette ist aber keine Analyse.
Dabei waren die irakischen Scud-Angriffe auf Tel Aviv durch nichts zu rechtfertigen, aber weit davon entfernt, eine dem Holocaust vergleichbare Vernichtungshandlung darzustellen. Sie forderten zwei Menschenleben, was zu verurteilen ist, hatten aber nur eine geringe militärische Bedeutung. Sie dienten vor allem propagandistischen Zwecken gegenüber den arabischen Ländern. Genau so ist es Irrsinn, das Baath- und das NS-Regime (jenseits einiger ideologischer Anleihen) gleichzusetzen. Während die Nationalsozialisten ein führendes Industrieland kontrollierten und sich auf die deutsche Volksgemeinschaft verlassen konnten, herrscht Hussein über ein Land der Dritten Welt, seine Macht baut vor allem auf blanke Unterdrückung.
Vulgärpsychologische Erklärungen, die Husseins Rolle aus der deutschen Vorliebe für »schnauzbärtige Diktatoren« (Jungle World, 40/02) ableiten, machen die Versuche, die Konstellationen des Zweiten Weltkriegs und des Irak-Konflikts zu vergleichen, auch nicht gerade glaubwürdiger.
Die USA, Frankreich und Deutschland waren in den achtziger Jahren an der damaligen Aufrüstung des Irak beteiligt. Diese Staaten, aber auch Saudi-Arabien und Israel, rüsteten gleichzeitig den gegnerischen Iran auf. Die USA ergriffen, unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges, die Gelegenheit der Kuwait-Krise im Sommer 1990, um eine neue militärische Feindbestimmung vorzunehmen, die sich gegen die Staaten des Südens richtete.
Frankreich zögerte, weil es viel im Irak zu verlieren hatte, vollzog aber eine scharfe Kehrtwende und beteiligte sich dann doch am Krieg. Auch heute leitet Paris wieder einen ähnlichen Kurswechsel ein, verhandelt aber hart mit den USA um den künftigen Einfluss in der Region. Derzeit hält sich Deutschland aus taktischen Gründen zurück, wenn die USA ihren Angriff auf den Irak planen. Denn es geht darum, das machtpolitische Gewicht Deutschlands, an der Seite und in Konkurrenz zu den USA, auszuhandeln.
Schon deswegen sind die Assoziationen zum Zweiten Weltkrieg falsch, wonach die USA, Großbritannien und Israel auf der einen Seite, Deutschland und tendenziell auch Frankreich auf der anderern Seite stünden. Thomas von der Osten-Sacken folgert daraus in Ha'aretz: »Im Moment denke ich, dass man den Westen im Kampf gegen seine eigenen Geschöpfe unterstützen muss. Danach kann man wieder daran denken, wie man eine bessere Welt schafft.« Also ungefähr in 100 Jahren. Dann aber ganz bestimmt.