»Schalten Sie den Fernseher aus!«

In militärischen Konflikten werden die Bilder der Massenmedien selbst zum Teil der Kriegführung, sagt Mira Beham. Sie ist Mitglied der Komisija za istinu i pomirenje (Kommission für Wahrheit und Versöhnung) in Serbien. Zuvor arbeitete sie als Lehrbeauftragte an der Deutschen Journalistenschule in München.

Konflikte und Kriege seien der »Super-Gau der Medien«, haben Sie während der Kriege in Juogoslawien geschrieben. Was dürfen wir heute glauben, wenn wir über den »Krieg gegen den Terrorismus« informiert werden?

Nicht viel. Wir sollten uns viel eher an die Story über den Brutkasten erinnern, mit der im Herbst 1990 zum Krieg gegen den Irak mobilisiert wurde. Während einer Anhörung vor dem amerikanischen Kongress brach damals das 15jährige Mädchen »Nayriah« in Tränen aus und schilderte, wie irakische Soldaten Babys brutal aus Brutkästen in einem Krankenhaus in Kuwait gerissen hätten, um sie zu töten. Ein Schrei der Empörung ging um die Welt.

Später stellte sich heraus, dass »Nayriah« die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war und niemals in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Diese Story war von der PR-Agentur Hill & Knowlton erfunden worden, um die Öffentlichkeit zu emotionalisieren. Erst nach dem Krieg wurde der Plot aufgedeckt, doch da hatte die Geschichte ihre Schuldigkeit schon getan.

Wir können davon ausgehen, dass die Manipulationen, die von Politikern und Militärs eingesetzt und über die Massenmedien verbreitet werden, seit dem Golfkrieg verfeinert wurden. Es gibt meiner Ansicht nach noch weniger Transparenz, selbst im Vergleich zum Krieg in Jugoslawien.

Worin zeigt sich diese Entwicklung?

Die technischen Möglichkeiten sind gewachsen. So kann beispielsweise das Internet dazu dienen, alternative Informationen zu verbreiten, es kann aber ebenso zur Manipulation eingesetzt werden, um bestimmte Sichtweisen und Feindkonstruktionen zu erzeugen.

Auch der Einfluss von PR-Agenturen, die im Auftrag von Kriegsparteien arbeiten, hat zugenommen. Im Golfkrieg spielten sie zum ersten Mal eine bedeutende Rolle. In den Kriegen in Jugoslawien wurde diese Art der privatisierten Kriegspropaganda fortgesetzt. Mittlerweile stellt die PR einen integralen Bestandteil der Kriegführung dar. Ein Beispiel dafür ist die Rendon Group, die von der US-Regierung beauftragt wurde, im »Krieg gegen den Terror« das Image der USA aufzupolieren. Die Mittel sind dabei oft subtil. Man kann eigentlich nicht erkennen, was Manipulation und Suggestion ist und was nicht.

Militärs haben differenzierte Konzepte des Infowar entwickelt. Was ist darunter zu verstehen?

Im Kosovokrieg wurde erstmals gezielt die Informationsinfrastruktur eines Landes angegriffen. Die Kommunikationsmöglichkeiten des Gegners sollten zerstört werden, um die Darstellung der Ereignisse von dieser Seite auszuschalten. So wurden beispielsweise Sendeanlagen und das Gebäude des serbischen Fernseh- und Radioprogramms RTS bombardiert. Gleichzeitig wurden Flugblätter mit Aufforderungen an die Bevölkerung abgeworfen. Aus Flugzeugen wurden Radioprogramme in die lokalen Sender eingespeist. Ähnliches passierte auch im Afghanistankrieg.

Bilder vermitteln einen scheinbar direkten Zugang zu den Ereignissen. Wer verfügt über die Produktion von Kriegsbildern?

Das Militär versucht, den Zugriff unter Kontrolle zu halten. Aus dem Krieg in Afghanistan hat man ja praktisch keine Bilder von der Front gesehen, man sah nicht, wie Menschen bombardiert wurden und starben. Den Journalisten war der Zugang ins unmittelbare Kriegsgebiet verwehrt. Die Bilder, die von der Front zu sehen waren, wurden vorher von den Militärs zensiert. Interessanterweise wurde das Büro des kritischen Fernsehsenders al-Jazeera in Kabul von einer amerikanischen Bombe getroffen. Die Bilder, die wir aus Afghanistan kennen, sind die Bilder, die uns das US-Militär gerne vermitteln möchte. Es gibt kaum Aufzeichnungen von toten Zivilisten. Nach seriösen Schätzungen sind durch US-Bomben in Afghanistan etwa 5 000 Zivilisten ums Leben gekommen. Für uns existieren diese Toten nicht, weil wir sie nie zu Gesicht bekommen haben.

Können Sie Beispiele nennen, wie eine tendenziöse Berichterstattung Einfluss auf das Kriegsgeschehen genommen hat?

Die Suggestivkraft von Bildern ist tatsächlich sehr groß. Das Massenmedium Fernsehen kann zur wichtigsten Waffe in einem Konflikt werden. Aus den Balkankriegen kennen wir beispielsweise eine sehr einseitige Opferberichterstattung, die große Auswirkungen hatte. Es wurden lediglich die Opfer einer Seite dargestellt. Die anderen wurden verschwiegen.

So ist zwar ungeheuer viel über Sarajevo berichtet worden. Aber die westliche Öffentlichkeit weiß bis heute nicht, dass Sarajevo nicht nur unter dem Beschuss serbischer Truppen lag. Vielmehr haben die Gefechte in einer geteilten Stadt stattgefunden. Es ist weitgehend unbekannt, dass in Sarajevo auch Tausende serbische Zivilisten durch Granatenbeschuss und andere Angriffe von muslimischer Seite ermordet wurden. So gab es im Oktober 1992 zahlreiche Tote, als eine Granate in eine Bushaltestelle im serbischen Stadtviertel Ilidza einschlug. Das Blutbad war durchaus mit dem Massaker zu vergleichen, das unter den muslimischen Einwohnern stattfand, als die serbische Artillerie den Marktplatz von Sarajevo unter Beschuss nahm. Aber über die serbischen Opfer wurde damals nicht berichtet.

In der Berichterstattung über den Nahostkonflikt sieht man häufig israelische Panzer, denen Steine werfende Jugendliche gegenüberstehen. Entspricht diese Darstellung dem tatsächlichen Konfliktverlauf?

Auch im Nahostkonflikt sind sich beide Parteien der suggestiven Macht der Bilder sehr bewusst. Sehr deutlich wurde das beispielsweise bei den Bildern des palästinensischen Jungen Mohamed al Dura, der zu Beginn der so genannten al-Aqsa-Intifada vor laufenden Kameras erschossen wurde. Dieses Bild hat weltweit für Empörung wegen des angeblich schonungslosen Vorgehens der israelischen Armee gesorgt.

In Palästina wird ein Märtyrerkult um den Jungen gepflegt, zeigen doch die Bilder, wie brutal die israelische Armee selbst unschuldige Kinder behandelt. Tatsächlich gibt es erhebliche Zweifel, ob der Junge tatsächlich von israelischen Soldaten erschossen wurde. Nach Recherchen der Journalistin Esther Schapira deutet vieles darauf hin, dass die tödlichen Kugeln aus einem palästinensischen Gewehr abgefeuert wurden.

Wie kann sich eine kritische Öffentlichkeit während eines Krieges überhaupt verhalten, wenn eine unabhängige Recherche häufig nicht möglich ist?

Eine kritische Öffentlichkeit stellt sich ja nicht nur über die Recherche von Fakten im Kriegsgeschehen her. Sie kann auch einfach analytisch sein. Sowohl im Fall von Jugoslawien als auch angesichts des »Krieges gegen den Terror« sollte nach den Interessen der jeweiligen Konfliktparteien gefragt werden. Emotionalisierende Bilder helfen da wenig weiter.

Lord Carington hat ganz am Anfang seiner Tätigkeit als EU-Vermittler im Jugoslawienkonflikt einmal gesagt: »Schalten Sie den Fernseher aus und den Verstand ein!« Wir sollten uns bemühen zu verstehen, wie es zu einem Krieg kommt und warum er stattfindet.