Streit um die Vermögenssteuer

Das Schweigen im Walde

Zwei von der SPD regierte Bundesländer wollen die Vermögenssteuer wieder einführen. Jetzt wird vor allem darüber gestritten, was gerecht ist und was nicht.

Wer hat, dem wird genommen«, heißt jenes ungeschriebene Gesetz, das Gutbetuchte ständig in Angst und Schrecken versetzt. Glaubt man den Leitartikeln der großen deutschen Tageszeitungen in der vorigen Woche, so scheint der ohnehin gebeutelte deutsche Bürger immer weiter geschröpft zu werden. Das Steuerfiasko hier, eine Verwässerung des Hartz-Konzepts dort, die Presse zeichnet das Bild einer Regierung, die unter der Fuchtel hinterwäldlerischer Gewerkschafter dem Klassenkampf anheimfällt.

Als in der vergangenen Woche die beiden sozialdemokratischen Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen für eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der vor fünf Jahren von der Regierung Kohl faktisch abgeschafften Vermögenssteuer warben, konnte die FAZ über die »modernen Robin Hoods« witzeln. Doch die hämische Ablehnung der in vielen anderen Ländern der EU und in den USA wenig umstrittenen »Neidsteuer aus der Mottenkiste« (Rainer Brüderle, FDP) kann kaum über die große Unsicherheit in den Reihen der Opposition hinwegtäuschen.

In den Ministerien der von der CDU oder von der CSU regierten Bundesländer weiß man nur zu gut, dass Ausgabensenkungen allein die Misere nicht beenden werden. Eine Vermögenssteuer, die 1996 beim damaligen Steuersatz immerhin 4,5 Milliarden Euro in die Länderkassen brachte, würde nach den Modellberechnungen der SPD bei einer Besteuerung von einem Prozent neun Milliarden an Mehreinnahmen bedeuten. Als berichtet wurde, einige der CDU-Landesregierungen würden sich einer entsprechenden Bundesratsinitiative anschließen, wenn die Länderregierungen per Bundestagsbeschluss zukünftig die Hoheit über die Ländersteuern erhielten, hieß es aus den Reihen der Union nur noch, man sei zwar für eine Autonomie der Länder in dieser Hinsicht, definitiv aber gegen jegliche Vermögenssteuer. Wirklich überzeugend wirkte das jedenfalls nicht.

Die Opposition kann langfristig die wachsenden Ressentiments der großen Masse gegen die Superreichen nicht einfach ignorieren. Sie muss stattdessen versuchen, sie für sich zu nutzen. Als ein Versuch in diese Richtung können die Äußerungen des niedersächsischen CDU-Landesvorsitzenden Christian Wulff und dessen Finanzexperten Helmut Diegel gewertet werden, die eine Vermögenssteuer als »Abzockerei« am »kleinen Mann« bezeichneten.

Zwar sind 300 000 Euro Vermögen pro Erwachsenem aus Sicht der vielen, die froh sein können, wenigstens keine Schulden zu haben, eine unvorstellbare Summe. Erst ab diesem Betrag, bei Betrieben ab 2,5 Millionen, soll im Jahr 2004 nach den Plänen der SPD die Vermögenssteuer wirksam werden. Stellt man jedoch in Rechnung, dass eine Gesellschaft wie die deutsche über eine nennenswerte Mittelschicht verfügt, die zwar unter sinkenden Reallöhnen, nicht aber unter fehlendem Vermögen leidet, ergibt sich ein riesiges Potenzial für populistische Agitation. Indem man die Masse der Eigenheimbesitzer und (Bau-)Sparer, ergänzt um die zukünftigen Erben des deutschen Wirtschaftswunders, zur neuen Unterschicht umdeutet, wird ein dumpfer Affekt dieser Klientel gegen die noch Reicheren bestätigt.

»Eure Armut kotzt uns an«, lautete das Motto, mit dem so mancher Yuppie in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seine Arroganz als Coolness ausgeben wollte. Diese Haltung scheint nach dem Scheitern so vieler Karrieren in der New Economy dem Kleinmut gewichen zu sein. Doch der Hass auf die Armen, der schon immer mit dem Argwohn gegenüber unredlich verdientem Reichtum einhergeht, hat sich damit keinesfalls verflüchtigt. Längst haben ihn die von der Abstiegsparanoia geplagten Mittelschichten wieder entdeckt. Und die Medien.

Um nichts anderes geht es, wenn sich hier die selbst ernannten Tabubrecher Gedanken darüber machen, wie nun endlich der Konsens für die allseits geforderte radikale Reform der Sozialsysteme zu erzielen sei. Ihre Methode ist die Dekonstruktion des Begriffes der sozialen Gerechtigkeit. So schreibt etwa Alexander Schuller am 24. November in der FAZ: »'Soziale Gerechtigkeit' ist der Firnis auf jener uralten Maske, hinter der sich das Interesse verbirgt. Wenn von sozialer Gerechtigkeit die Rede ist, dann, wissen wir, ist von Klientelpolitik, von irgendeiner Benachteiligung die Rede, von dem Gegenteil also, was Gerechtigkeit ist.« Die kluge Ideologiekritik erweist sich selbst als ideologisch; es geht um das, was auch dem Credo des sozialdemokratischen »dritten Wegs« zugrunde liegt: um Gleichheit am Start und nicht im Ergebnis.

Was dem Liberalen von Grund auf als pervers gilt, das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, widerstrebt dem Sozialdemokraten nur in seiner pervertierten Form, der herbeifantasierten Einladung in die soziale Hängematte. »Jeder bekommt dabei, was er nicht verdient«, spricht Schuller aus, was Schröder meint. Beiden stellt sich jedoch das Problem, die Behauptung gegen die Wirklichkeit zu retten, im Kapitalismus bekomme jeder, was er verdient.

Denn inzwischen hat sich herumgesprochen, dass der Arme seine Armut in der Regel genauso wenig selbst verschuldet hat, wie der Reiche seinen Reichtum selbst verdient, es sei denn, er ist Bankräuber. Doch solche Allgemeinplätze müssen in einer Arbeits- und Moralgesellschaft wie der deutschen geleugnet werden, will man die Mittel- und Oberschichten davor bewahren, die sozial Schwächeren in Form der Vermögenssteuer durchfüttern zu müssen.

Es gibt auch eine andere Variante. Man behauptet einfach, das zu schützende Vermögen diene dem Gemeinwohl, ohne dabei zu betonen, es sei in harter, ehrlicher Arbeit entstanden. Man muss einfach in neoliberaler Manier unterstellen, Vermögen und Kapital flössen - eine vollständige Deregulierung vorausgesetzt - quasi von selbst über Investitionen in die Arbeit und kämen damit dem Volkswohlstand zugute. Wie jede andere Kapitalsteuer auch, stellt eine Vermögenssteuer nach dieser Logik einen »Anschlag auf das Wachstum« (Jürgen Rüttgers, CDU) dar.

Verfechter des Neokeynesianismus weisen hingegen zu Recht darauf hin, dass die Vermögen in den letzten beiden Jahrzehnten gewachsen seien und allen Deregulierungsmaßnahmen zum Trotz, wie etwa dem Aussetzen der Vermögenssteuer, eben nicht in Arbeit reinvestiert würden. Ökonomen wie Rudolf Hickel fordern deshalb schon lange eine Reform des Steuersystems. Er will die Arbeit billiger machen, ohne die Löhne und Sozialleistungen zu kürzen, wie es die Neoliberalen fordern. Eine Vermögenssteuer wäre seiner Meinung nach ein sinnvoller Bestandteil einer Verlagerung von lohn- auf wertschöpfungsbezogene Sozialabgaben.

Im Streit um die Vermögenssteuer zeigt sich jedoch auch die Hilflosigkeit der Befürworter eines sozial gerechten Kapitalismus, ihrerseits plausibel Gerechtigkeit zu begründen. »Sie ist keine Neid-, sondern eine Verantwortungs- und Solidaritätssteuer«, nimmt man die Vermögenssteuer in Schutz. Das klingt nicht nur fahl, es ist weit entfernt davon, was ein wahrlich moderner Robin Hood zu sagen hätte.