Der Frust mit der Mode

Die Schönheit der Speckfalten

Das Frustrierende an der Mode ist: Im Nachhinein sieht man immer Scheiße aus.

Ein solches Foto findet sich garantiert in jedem Familienalbum: Ein Mann mit dunkler Hornbrille, angetan mit moosgrünem Hemd, dunkelbraunen Cordhosen und mittelbeiger Wildlederjacke, lächelt mitsamt seiner beispielsweise in ein orangefarbenes Polyester-Minikleid oder ein lilasamtiges Maxi-Ensemble gewandeten Frau in die Kamera. Beide stehen vor einem See oder einem Berg oder einem gelb-ockerfarbenen Ortseingangsschild oder den Geranienkübeln eines Hotels und sehen extrem Scheiße aus.

Vor ungefähr 30, 40 Jahren sei ein solcher Aufzug halt modern gewesen, müssen sich die beiden Personen, die auf dem schon leicht verwaschenen Bild verewigt sind, mittlerweile verteidigen, wann immer jemand ihr Foto im Album findet. Und sie haben damit wahrscheinlich Recht, denn so waren sie alle ausstaffiert, die damals lebenden Menschen. Daher ist auch die Chance ziemlich groß, dass exakt in diesem Moment irgendwo auf der Welt gerade jemand seinen sich vor Lachen kaum haltenkönnenden Kindern zu erklären versucht, dass man in den Swinging Sixties eben eher aufgefallen wäre, wenn man keinen Knautschlack-Trägerrock, keinen breiten Schlips und keine lila Hotpants getragen hätte.

Aber falls die so ausgelachten Abgebildeten auch nur ein kleines bisschen clever sind, beenden sie ihre Ausführungen mit dem einzigen Satz, gegen den es kein Argument gibt: »Wart nur ab, deine Kinder lachen später mal über deine Fotos.«

Und haben damit Recht. Aus irgendeinem Grund scheinen die überlieferte Mode und die Sachen, wie sie tatsächlich getragen wurden, in punkto Chic nie wirklich übereinzustimmen. Papa und Mama mögen zwar einst dieselben Kreationen getragen haben wie Twiggy und Hendrix, traurigerweise sehen sie für uns darin aber immer nur so aus wie Mama und Papa, die sich als Twiggy und Hendrix verkleidet haben.

Selbst die Großeltern und die anderen Vorfahren machen auf Fotos keinen sehr vorteilhaften Eindruck. Während in Geschichtsbüchern schlicht-elegante Fifties-Cocktailkleider dokumentiert sind, werden von den Frauen auf den Familienfotos Kittelschürzen, biedere Jacken in Kombination mit noch langweiligeren Faltenröcken oder unvorteilhafte Steghosen präsentiert. Und die dazugehörigen Männer müssen Hüte tragen, deren Farbgebung bestenfalls der der Erde im hoteleigenen Geranienkübel nachempfunden zu sein scheint.

Auch das Überspringen einiger Jahrzehnte verbessert den ungünstigen Eindruck nicht. Waren die zwanziger Jahre nicht geprägt vom weiblichen Garcon-Haarschnitt, von meterlangen Perlenketten, Charleston-Kostümen? Nicht im familiären Fotoalbum, dort präsentieren die Frauen äußerst unvorteilhafte Niedrigtaillen-Kleider, hässliche Schnallenschuhe und elfenbeinfarbene Rüschenblüschen. Während die Männer in Anzügen, die aus garantiert kratzigem Stoff bestehen, vor Geranien steif wie Ortsausgangsschilder in Anzügen herumstehen.

Und so müssen auch wir uns vielleicht schon bald Antworten ausdenken. Denn es dauert nicht mehr lange, bis wir unseren Kindern Fotos präsentieren müssen. Und dann werden wir genauso ausgelacht wie unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern. »Mann, sahst du Scheiße aus«, wird der Nachwuchs spotten, und das wird wehtun, denn natürlich haben wir ihm nicht die Bilder gezeigt, auf denen wir die wirklich schlimmen Sachen tragen, wie Leggings, Zottelfelljacken, T-Shirts mit Aufdrucken wie »Bitch«, »Zicke« oder »Miststück« oder Jeans, auf denen in der Lendengegend Speckfalten aufgemalt sind. Diese Speckfaltenjeans haben übrigens gute Chancen, dereinst als das schauderhafteste Kleidungsstück des Genres angesehen zu werden.

Bisher hält diesen Rekord noch die wohl scheußlichste Hose der ausgehenden siebziger Jahre, die zweifarbige Jingler-Jeans. Niemand mit auch nur einem kleinen Rest Selbstachtung hätte es jemals gewagt, sich in einem dieser zu allem Überfluss noch mit einem kleinen Glöckchen versehenen C&A-Teil irgendwo in den bewohnten Teilen der Erde blicken zu lassen. Sollte man denken. Tatsächlich wurden die Jinglers gekauft, wahrscheinlich größtenteils von sparsamen Müttern oder Omas, die glaubten, mit den von ihnen penetrant als »Jeanshosen« bezeichneten Kleidungsstücken genau im Trend zu liegen.

Die zweifarbige Jeans bestand aus einem hellen und einem dunklen Teil. An der Innenseite der Schenkel war sie hell gefärbt, was nicht nur bei Übelwollenden den Eindruck erweckte, eine zweifellos stinkende Flüssigkeit sei aus dem Hosenbesitzer ausgelaufen. Manchmal sieht man diese Kreation noch heute, wenn man im familiären Fotoalbum blättert. Denn natürlich musste der dankbare Besitzer als Andenken für den großzügigen Schenker mindestens einmal geknipst werden, und selbstverständlich geht so ein Bild niemals verloren.

Angesichts des verkniffen Dreinschauenden in der Zweifarbenhose, der damals sicherlich sofort ins Hotel zurückrannte, nachdem die Aufnahme im Kasten war, weil sich die örtlichen Halbwüchsigen schon grinsend am Ort des Shootings versammelten - Gottseidank gab es damals noch keine Handys, sonst wären es noch viel mehr gewesen -, nun einfach laut loszulachen, ist aber eigentlich ebenso taktlos wie ignorant.

Steht man selbst wirklich so viel besser da in der lila Latzhose, die manchmal sogar mit einem kratzigen Norweger-Pullover kombiniert wurde? In der geranienroten Hotpants-Kombi mit aufgenähten Schmetterlingen? Und was ist mit den während der achtziger Jahre so angesagten Blockstreifen-Hosen, zu denen gepunktete T-Shirts mit U-Boot-Ausschnitt und Schulterpolstern en vogue waren, die einem, mit etwas Abstand betrachtet, das Aussehen eines Clowns verleihen, der selbst durch einen strikt auf Erfolgsbasis arbeitenden, sehr engagierten Jobvermittler nicht einmal in einem drittklassigen Wanderzirkus untergebracht werden kann? War man wirklich schön in Schlaghosen? Oder in der beige-beigen Kombination, die spätere Generationen unweigerlich zu dem beglückten Ausruf verleiten wird: »Schau mal, da war Mama Karneval als Kamel verkleidet!«

Ist das Foto, auf dem man die orangefarbene Straßenarbeiterweste trägt, wirklich dazu geeignet, die Jahrhunderte zu überdauern, oder läuft man damit nicht eher Gefahr, dass es im Jahr 2050 ein junger Mensch im Album findet, sich schier ausschütten möchte vor Lachen und sofort anfängt, Bilder von seit vielen Jahren toten Leuten in hässlichen orangenen Jacken zu sammeln?

Und damit den Grundstein für eine Ausstellung legt, die unter dem Titel »Kaum zu glauben, aber von sowas stammen wir ab« zu einem großen Erfolg im In- und Ausland werden wird?

Es sieht so aus, als ob sich nicht nur die Mode beständig wiederholt - Plateausohlen, Schlaghosen, Minis, strenge Jacketts, Plisseeröcke, alles schon einmal dagewesen. Auch das Urteil der folgenden Generationen über unsere bevorzugten Kleidungsstücke scheint jetzt schon festzustehen. Bis jemand endlich eine Möglichkeit erfindet, ganze Fotoalben nachträglich zu manipulieren. Das kann erfahrungsgemäß dauern. Bis dahin sollte man zumindest darauf achten, beim Fotografieren Abstand von den Geranienkübeln zu halten.