Helden wie wir

Die konservativen Eliten sind dumm und gefallen sich in einer Widerstandsattitüde.

Von der taz gab's hehre Worte. »Wir versprechen: Wenn Arnulf Baring mit 70 doch noch zum Steineschmeißer wird, sind wir dabei.« Der wanna-be-with-us-streetfighter ist emeritierter Professor für Geschichte in Berlin und hat gerade zum »Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem« in Deutschland aufgerufen. Die Bürger sollten »auf die Barrikaden« gehen, er fordert »massenhaften Steuerboykott, passiven und aktiven Widerstand, empörte Revolten«. Er verlangt nicht weniger, als dass die Bundesrepublik, wie kurz vor ihrem Ende die Weimarer Republik, diktatorisch regiert werde; es seien nämlich »Notverordnungen erforderlich«, um »schmerzliche Reformen ohne das Parlament in die Wege zu leiten«.

Das hört sich spaßig an, und folglich will auch die FDP nicht fehlen. Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Gerhardt, verkündet: »Die Lahmlegung eines Finanzamtes ist der schönste zivile Protest, den ich mir vorstellen kann.« Am besten sollten Sachbearbeiter durch häufige Anrufe daran gehindert werden, Bescheide zu verschicken, hieß es.

Das ist natürlich grober Unfug und bestenfalls dazu geeignet, die Liste der vorbestraften FDP-Funktionsträger zu verlängern. Aber es ist, ähnlich wie die Bereitschaft der taz, den Strand vom Pflaster zu befreien, eine politische Reaktion auf geballten Unmut im Land.

So viel Reaktion war selten.

Die Welt vermerkt einen »Hauch von Weimar«, Oskar Lafontaine meint, »es ist so, als wäre Heinrich Brüning wieder auferstanden, jener Reichskanzler, der mit seiner Sparpolitik Massenarbeitslosigkeit verursachte und Hitler den Weg bereitete«, der Tagesspiegel nennt den »Druck der Straße« »hilfreich«, denn: »Demonstrationen machen die Politiker mutiger«. RTL unterstützt mit Erfolg den Stimmenimitator Elmar Brandt, der dem Kanzler die etwas wirre These in den Mund legt, das Geile an einer Demokratie sei, dass Regierungspersonal nicht entlassen werden könne, woraufhin die Bild-Zeitung den Künstler Brandt gleich als deutschen Beitrag zum Schlager-Grand-Prix nominiert, um die ganze Kritik von der deutschen auf die europäische Ebene zu hieven.

Das FAZ-Feuilleton, das sich mit dem »Jungen mit der Gitarre« am Grand-Prix beteiligt, hatte schon wenige Tage vor Barings Flugschrift einen Versuch unternommen, das Adenauersche »Die Lage war noch nie so ernst« für das 21. Jahrhundert zu modernisieren. Kanzler Schröder, schrieb der Redakteur Christian Geyer, profitiere von »Kohorten seiner Hofnarren, die einfach weitermachen, weitermachen, weitermachen, als sei das Land noch immer das alte, als würde Deutschland nicht soeben kaputtregiert«.

Ausländische Beobachter, denen der Konservativismus nicht fremd ist, wundern sich über die deutschen Zustände. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt verwirrt: »Nun darf in der FAZ mit Autoritarismen dieser Art geliebäugelt werden.« Und der französische Politologe Alfred Grosser spricht von der deutschen »Neigung zu Selbstzerfleischung und zum Selbstmitleid«.

Da jedoch fühlt sich der deutsche Reaktionär, erprobt in den Zeiten der Elbe- und der Donauflut, missverstanden und formuliert seinen urdeutschen Befund markiger; der nationale Notstand ist es, der ausgebrochen ist.

Keine zwei Monate nach der Bundestagswahl gilt die Regierung als nicht mehr legitimiert, ja, es wird so getan, als sei sie wohl nie legitimiert worden.

Bei konservativen Eliten in der Bundesrepublik macht sich derzeit beinahe eine 20.-Juli-Stimmung breit. Mit einer Bereitschaft, die ans Heldische erinnern soll, melden sich von der FAZ bis zur Bild-Zeitung alle zu Wort, die in der nächsten Steuererhöhung das endgültige Ende des Abendlands sehen.

Professor Baring wird von der Bild-Zeitung zu »unserem bedeutendsten Historiker« ausgerufen. Den Ruf hat er sich in den vergangenen Jahren wohl unter anderem durch solche Sätze erworben: »Die Reformunfähigkeit des Landes, das Mimosenhafte der Deutschen und die öffentliche Larmoyanz sind auch ein Ergebnis dieser ständigen Beschäftigung mit Auschwitz« (in der taz im Mai dieses Jahres) und: »Nur ein Stück von jenem Enthusiasmus, den der Hitler vor und vor allem nach 1933 erweckte, würde reichen, alle unsere Probleme sofort zu lösen« (auf einem Spiegel-Forum im Mai 2001).

Barrikaden-Baring ist also ein Wiederholungstäter, den man vor Jahren, als weite Teile der hiesigen Gesellschaft noch als zivilisiert erschienen, im rechtsextremen Milieu verortet hätte, wenn man ihm zugehört hätte. Aber man tröstete sich mit der nicht falschen Erkenntnis, dass Baring ja mehr noch als reaktionäre vollkommen idiotische Thesen vertritt, in denen er es etwa fertig bringt, einen autoritären Staat zu fordern, damit es nicht zugehe wie in der DDR.

Die auf Ökonomiekompetenz vertrauende Financial Times Deutschland stutzt Baring und seine vermummten Streetfighter aufs rechte Maß zusammen: »Wer derart dummes Zeug redet, beweist lediglich, dass er das, was eine konservative Revolution ausmacht, intellektuell nicht einmal im Ansatz durchdrungen hat.«

Dumme deutsche Reaktionäre also, so etwas ist an sich nichts Neues, aber dennoch steckt in der aktuellen Erregung eine bedrohliche Komponente. Derart kurz nach einer Bundestagswahl der gerade bestätigten Regierung eine komplette Delegitimation zu attestieren, ist sogar für den tumbesten Staatstheoretiker ungewöhnlich (man könnte auch sagen: selbst eines Baring unwürdig).

Der Mist muss also, damit er leidlich vermittelbar ist, in Theorien ungewöhnlicher Zeiten eingeordnet werden. »Nicht das Volk ist souverän«, kommentiert Christian Semler in der taz die Denkungsart der Baringschen Deppen, »sondern der, der über den Ausnahmezustand gebietet. Wir bewegen uns im Dunstkreis des autoritären Staatstheoretikers Carl Schmitt.«

Ein Staat der Eliten, die, nachdem die Bevölkerung durch falsche Wahl bewiesen hat, dass sie von der Politik nichts versteht, besser die Sache selbst in die Hand nehmen, soll ausgerufen werden. Sie erweisen sich als Möchtegern-Putschisten, denen der Staat gedanklich schon gehört. Dabei sind sie so aufgeregt und unsouverän, dass ihnen in der gegenwärtigen Situation nicht nur schlechte Wirtschafts- und Haushaltsdaten aufstoßen, sondern im gleichen Maße auch der Umstand, dass im Volke noch gelacht wird.

»Schluss mit lustig!« ist ihr erstes revolutionäres Dekret, das sie dem Volke vom Reichstagsbalkon entgegenschleudern wollen. Getrieben und getragen wird die Bereitschaft zu dieser ach so ernsthaften und gerade darin lächerlichen konservativen Revolution von einer in der Wirtschaftskrise beschleunigten Radikalisierung kleinbürgerlicher Schichten, die vom Parteiensystem nicht mehr integriert werden.

Frühere Anzeichen waren die Statt- und die Bürger-, neuerdings ist es die Schill-Partei, die allesamt von Baring noch mit Distanz beäugt wurden: »Am interessantesten erschien mir zeitweilig Pim Fortuyn.« Auch immer wiederkehrende Einzüge rechtsextremer Parteien in die Parlamente, mal war es die DVU, mal die NPD, mal die Republikaner, erregten Aufmerksamkeit. Ein aktuelles Anzeichen ist der Erosionsprozess der FDP.

»Schröder hauen ist Kult«, beschreibt die Frankfurter Rundschau die Lage, was ja nicht schlecht und nicht falsch wäre, wenn sich die Abwatscher nicht alle für einen anderen Führer einsetzten, die moderatesten von ihnen nur für einen Wirtschaftsführer.

Das Beunruhigendste am Aufstand der alten Deppen ist aber vielleicht der Umstand, dass sich die Verteidiger der Bundesregierung bereitwillig das dümmlich-völkische Niveau ihrer Angreifer zu Eigen machen.

Doris Schröder-Köpf etwa, der Gattin des Kanzlers, fiel zu dem lustigen Stimmenimitator ein, dass er »einer ist, der parasitär Geld verdient«. Oder dass es da welche gibt, die sich auf den Steinewerfer freuen.