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Jungle World, 47/02: »Schuld und Erinnerung«

Wir Philozionisten

Die Jungle World entstand in Abgrenzung zu Nationalbolschewisten und Antisemiten bei der Tageszeitung junge Welt. Nun findet auch der Antizionismus, extra-light und als Diskurs verpackt, Gehör, Papier und Druckerschwärze bei seinen einstigen Gegnern.

Wir Philozionisten haben uns der Erinnerung verschrieben, wir meinen es zwar gut und simplifizieren doch. Ja, wir instrumentalisieren die Shoah. Wir sind unvernünftige Ignoranten und Feinde differenzierten, aufklärerischen Denkens. Wir hegen Allmachtsphantasien und spielen Sharons Regierungssprecher. Mal sind wir verständnislos, dann biedern wir uns wieder an einen Staat an, der Staatsterrorismus, nationalistische Politik und Apartheid betreibt. Denn wir sind verbohrte Trauerarbeiter, deutsche Vergangenheitsarbeiter, Demagogen, die brutale Gewalt und Unterdrückungspolitik banalisieren, die nur durch die Sichtblende der Shoah blicken und damit historisch verantwortungslos agieren und auf palästinensischer Seite Feindbilder imaginieren. Und wozu? Letztlich um die eigene Schuld abzuwehren, um den eliminatorischen Antisemitismus zu verharmlosen und zu relativieren. So sind wir. All diese Punkte finden sich in der Anklageschrift »Schuld und Erinnerung« von Holz, Müller und Traverso.

Die Entgegnungen »Projektion und Wahn« von Wolter und »Ein Opfer zu viel« von Frahm und Freunden sind ebenso sachlich im Ton wie zahnlos in der Kritik. Sie lassen sich tatsächlich auf einen anti-israelischen Text ein, entsolidarisieren sich mit den angegriffenen »Sharon-Linken«, getreu dem Motto: Man wird ja noch mal drüber reden dürfen. Da hat sie zugeschnappt, die Diskursfalle.

Sie erkennen nicht das Problem: In der Jungle World werden offen antiisraelische und propalästinensische Positionen gedruckt. Es hat seine guten Gründe, warum diese bisher nur in der jungen Welt und ähnlichen linksdeutschen Medien erschienen. Die Anklageschrift »Schuld und Erinnerung« ist für uns deshalb indiskutabel, weil wir über antizionistische Thesen mit deren Protagonisten weder diskutieren wollen noch können. Man kann darüber streiten, ob das Politikverständnis der Bahamas zu verengt oder zu identitär ist, ob manche antideutsche Kritik zu scharf oder zu weich ist und ob eine Solidarität mit Israel das Attribut »bedingungslos« nötig hat oder nicht. Es reicht uns, sich in einem einig zu sein: Es darf nicht noch weitere Foren für verklemmte Antizionisten und offene Antisemiten geben; schon gar nicht in einem Blatt wie der Jungle World.

Wir erwarten von der Redaktion eine unmissverständliche Positionierung: Haben antiisraelische Positionen einen Platz in dieser Zeitung oder gilt der alte Gründungskonsens: Zero Tolerance für jede Form von Israel-Feindschaft, Antizionismus und Antisemitismus?

Wir, als Autoren und Leser der Jungle World, wollen wissen, ob dies weiterhin »unsere« Zeitung ist oder ob sie sich »back to the roots« wieder in Pirkerwerners linksdeutschen Mainstream einzureihen versucht.