Neue Regierung

Untertanen an der Macht

Der neue pakistanische Premierminister will die Politik der Militärregierung weiterführen. Seine parlamentarische Mehrheit hat er allerdings schon verloren.

Noch kein Premierminister in der Geschichte des pakistanischen Parlaments musste sich mit einer so knappen Mehrheit begnügen. Als Mir Zafrullah Khan Jamali am 21. November gewählt wurde, erhielt er die Stimmen von 172 der 329 anwesenden Parlamentarier; 13 Abgeordnete fehlten. Das wochenlange Gerangel um die Macht ist damit vorläufig beendet, die Vereidigung der Zivilregierung markiert das formelle Ende der dreijährigen Militärherrschaft Pervez Musharrafs.

Der General sicherte sich zuvor jedoch durch einige Verfassungsänderungen genügend Macht, um gegebenenfalls die Regierung und das Parlament entlassen zu können. In einer Fernsehansprache am Tag vor der Wahl des Premiers ließ er noch einmal seine Herrschaft Revue passieren, gab sich selbst gute Noten und unterrichtete das Volk von der bevorstehenden »Machtübergabe«. Er empfahl der zukünftigen Regierung, seine »guten Maßnahmen« fortzuführen. Zweifellos wird Musharraf, der noch fünf Jahre als Präsident amtiert, nicht nur repräsentative Funktionen ausüben, wie es der ursprünglichen Verfassung entspräche.

Die Parlamentswahlen im Oktober brachten keine klaren Mehrheitsverhältnisse. Jede der drei etwa gleich starken Parteien spekulierte darauf, durch die Koalition mit einer der anderen an die Macht zu gelangen. Es deutete sich zwischenzeitlich sogar die Wahl Maulana Fazlur Rahmans zum Premierminister an. Er gab als Kandidat des islamistischen Parteienbündnisses Muttahida Majlis-e-Amal (MMA, Vereinigte Aktionsfront) in verschiedenen Bündnisgesprächen den Ton an und trat recht siegessicher auf. Schließlich erhielt der Islamist Rahman 86 Stimmen, Shah Mahmood Qureshi von der Pakistan People's Party (PPP) nur 70.

In wochenlangen Verhandlungen war es der regimefreundlichen Pakistan Muslim League Qaid-i-Azam (PML-Q) gelungen, die Unterstützung von Unabhängigen, Angehörigen der Regionalpartei MQM, die für Interessen der muslimischen Flüchtlinge aus Indien in der Provinz Sindh eintritt, und abtrünnigen Abgeordneten der PPP zu gewinnen.

Die etwa zehn Parlamentarier der PPP, die aus »persönlichen Gründen« nicht für den Kandidaten ihrer Partei stimmten, dürften zum Teil mit der Aussicht auf Ministerposten oder lukrative Aufträge für ihre Unternehmen geködert worden sein. Andere wurden wohl durch eine drohende Untersuchung des allmächtigen »Rechenschaftsbüros« gefügig gemacht, das Steuersünder verfolgt. Die Militärregierung setzte es schon als wirkungsvolles Repressionsinstrument während des Wahlkampfes ein.

Mit Mir Zafrullah Khan Jamali kommt nun in Islamabad jemand an die Macht, der Musharraf einiges zu verdanken hat. In den sechziger Jahren war er ein Sicherheitsbeamter Fatima Jinnahs, der Schwester des Staatsgründers, und bis heute ist er im Land weithin unbekannt. Der 58jährige ist der erste Premier aus Baluchistan, jener kargen südwestlichen Region mit der geringsten Bevölkerung aller Provinzen, in der er zweimal als höchster Minister amtierte. Der ehemalige Hockeyspieler wird politisch nicht sehr ernst genommen, da er weder als Volktribun noch als Visionär gilt. Jamali übernahm die Bildungsministerin Zubeida Jalal aus dem Kabinett Musharrafs, dessen Position auch durch die labilen Mehrheitsverhältnisse gestärkt wird.

Die PML-Q, die wegen der Unterstützung Musharrafs in Pakistan als Königspartei bezeichnet wird, kündigte an, dessen Politik weiterzuführen. Ihr Parlamentspräsident Chandhry Amir Hussain ließ durchblicken, dass die zahlreichen von Musharraf erlassenen Dekrete einen integralen Bestandteil der Verfassung bilden. Die oppositionelle PPP und die MMA lehnen die Kontrolle des Präsidenten und des vom Militär dominierten Nationalen Sicherheitsrates ab.

Der neue Regierungschef versprach auch eine außenpolitische Kontinuität. Die proamerikanische Politik soll fortgesetzt, die traditionell engen Beziehungen zum Nachbarland China sollen erhalten werden. So nannte Jamali die pakistanisch-chinesische Freundschaft »größer als den Himalaya«. In Bezug auf Indien meinte er: »Wir werden entsprechend antworten, falls uns jemand feindlich gesonnen ist.«

Das dürfte bedeuten, dass die Regierung auch in Zukunft die im indischen Teil Kaschmirs agierenden bewaffneten Separatisten weiterhin zumindest dulden wird. Ein Überfall auf einen Hindu-Tempel und eine Reihe weiterer Angriffe in den Tagen nach der Regierungsbildung kosteten innerhalb von drei Tagen insgesamt über 40 Menschenleben.

Indien machte die in Pakistan ansässige extremistische Organisation Lashkar-e-Toiba für das Attentat im Raghunath-Tempel in Jammu verantwortlich. Ihr ehemaliger Führer war nur wenige Tage zuvor aus einer mehrmonatigen Haft entlassen worden. Indiens hindunationalistischer Innenminister, Lal Krishna Advani, spekulierte sogar über einen Zusammenhang zwischen der Regierungsbildung im Nachbarland und dem Terrorakt. Jamalis Regierung hingegen bot Indien Friedensgespräche an. Der neue Außenminister, Khurshid Mahmood Kasuri, sagte, er sei bereit, Indien in der Kaschmirfrage entgegenzukommen, wolle aber einen »Frieden mit Ehre und Gerechtigkeit«.

Von Ehre sprachen auch die Vertreter der MMA, die mit ihren antiamerikanischen Parolen überraschend stark aus den Wahlen hervorgegangen sind. Sie verlangen ausdrücklich den Rückzug der USA aus Pakistan. Ihr höchster Minister in der nordwestlichen Grenzprovinz erklärte die Jagd der US-Truppen auf geflohene Taliban und Kämpfer von al-Qaida in den an Afghanistan grenzenden Gebieten für beendet.

Islamistische Provokationen sind jedoch nicht das einzige Problem für Musharraf und die neue Regierung. Die pakistanische Tageszeitung The News erinnerte daran, dass nicht zum ersten Mal in der 55jährigen Geschichte des Landes das Militär versuche, die Institutionen nach seinen Interessen »neu« zu formen, und es sich erst erweisen müsse, ob Musharrafs Bemühungen Bestand haben werden. Bereits eine Woche nach der Wahl Jamalis entzog die MQM seiner Muslim League die Unterstützung. Und binnen zwei Monaten muss sich der Premierminister im Parlament dem vorgeschriebenen Vertrauensvotum stellen.