Tage der Konfrontation

Der Widerstand gegen Schill und den Hamburger Senat macht die praktischen Folgen des Rechtspopulismus sichtbar.

Zunächst ging es nur um eine Handvoll Menschen, deren Wohnplatz geräumt werden sollte. Mit Plakaten in den einschlägigen Vierteln machten sie auf ihre Lage aufmerksam. Dann demonstrierten einige Hundert, später einige Tausend.

Ein aufgekratzter Innensenator Ronald Schill verkündete schon zu Beginn der Demonstrationen, der Protest sei ermattet und der Widerstandswille gebrochen. Doch die Hamburger Winterspiele scheinen mit jeder Aktion nicht nur facettenreicher, sondern auch wirksamer zu werden.

Obendrein rührt sich öffentlicher Beifall. In den Medien wird plötzlich kritisch nachgefragt. Selbst die übliche Hysterie wegen befürchteter Störungen beim Weihnachtseinkauf mag sich nicht in gewohnter Weise einstellen. An den dunklen Winternachmittagen werden die blauen Lichtblitze der Polizeifahrzeuge oft selbst als unangenehmer Kontrast zu den bunten Holzbuden und sonstigem Weihnachtstalmi empfunden.

Die Entwicklung kommt nicht nur für Schill überraschend. Denn was hatte nicht schon alles für Empörung über den Senat gesorgt: ein Todesfall bei einem Brechmitteleinsatz, Begünstigungen bei der Postenvergabe, Streichungen im Schulbereich, der Aufhebung mühsam erkämpfter Verkehrsberuhigungen an unfallträchtigen Stellen, Schills ausländerfeindlicher Eklat im Bundestag, die vermutete Bestechung und Steuerhinterziehung eines Staatsrats, die Kürzung der Mittel für soziale Projekte und dergleichen mehr. Weder die parlamentarische Opposition noch die Gewerkschaften oder die Bürgerinitiativen waren bisher in der Lage, mit diesen Themen über die alltägliche Auseinandersetzung hinaus einen anhaltenden Protest zu organisieren, wie es jetzt ausgerechnet einem guten Dutzend Bauwagenleuten gelungen ist.

Ein entscheidender Grund für ihren gegenwärtigen Erfolg liegt auf der Hand. Die vertriebenen Bauwagenleute fordern nicht einfach die Wiederherstellung bisher akzeptierter Verhältnisse, sondern sie zeigen, dass deren Aufhebung die praktische Konsequenz rechtspopulistischer Politik ist. Der Rechtspopulismus an der Macht wird damit in seinen konkreten Auswirkungen kenntlich gemacht, der Einzelfall in den Kontext des politischen Hauptkonflikts in Hamburg gestellt.

Nach den harten Kämpfen in den achtziger und neunziger Jahren um die Hafenstraße und die Rote Flora ist dieses Thema zudem nicht nur eines unter vielen. Vielmehr gilt es der einen Seite als wichtiger Test für die Verteidigung von Lebensbereichen jenseits des Mainstreams, der anderen als Beispiel für die »befriedende« Auflösung der Konfrontation.

Zwar sind es sicher nicht die Schill-Partei und die CDU allein, die an der Aufhebung dieses Konsenses interessiert sind, aber sie haben die Politik seiner Unterhöhlung, sei es aus Ungeschick oder mit Kalkül, erneut durch eine Konfrontation mit ungewissem Ausgang ersetzt. Der nun schon über Wochen andauernde Widerstand offenbart ein wachsendes Konfliktpotenzial, das an vergangene Zeiten erinnert. Die Räumung des Bauwagenplatzes ist zum Symbol für die Aufhebung eines wichtigen gesellschaftlichen Arrangements geworden.

Deshalb können sich alle, die ihrerseits Einwände gegen die Aufkündigung des bisher geltenden Konsenses haben, an der Auseinandersetzung in der ihnen passenden Form beteiligen. So entsteht ein Bündnis mit durchaus unterschiedlichen Interessen und Handlungsvorstellungen, aber einem gemeinsamen Ziel: den konservativ-rechtspopulistischen Senat zu stoppen.

Gemessen an dieser Forderung, scheint die augenblickliche Konfrontation sich noch in ihrem Anfangsstadium zu befinden. Erst recht, wenn man sie mit größeren Aktionen in Frankreich oder Italien vergleicht. Doch abgesehen davon, dass Schill kein Silvio Berlusconi ist, sondern ein norddeutscher Regionalpolitiker mit sinkendem Stern, sei auch daran erinnert, dass es selbst in Mailand zunächst lediglich 300 Personen waren, die sich zum Protest gegen Berlusconis Eingriffe in die Justiz vor dem Justizpalast versammelten.

Die Bedeutung der Proteste liegt nicht in ihrer Größe, sondern darin, dass sie nach den Zeiten der Ratlosigkeit und der Apathie zum Kristallisationspunkt einer Gegenbewegung wurden. Das muss Schill nicht unbedingt schrecken. Schon deshalb nicht, weil seine Politik auf der Zuspitzung und der Konfrontation beruht. Vermutlich kann er seine geschrumpfte Anhängerschaft auf diesem Weg sogar wieder begeistern.

Doch es ergibt sich für ihn ein Problem aus dem Umstand, dass er Mitglied einer Landesregierung ist, die sich trotz aller Zwischenfälle um das Bild der hanseatischen Normalität bemüht. Den von ihm geschaffenen Belagerungszustand mit Prügelattacken auf jedermann wird er nicht auf Dauer aufrechterhalten können, er wird sich früher oder später unter bestmöglicher Wahrung seines Images arrangieren müssen.

Das scheint ihm auch selbst klar zu sein. Denn in der Öffentlichkeit lässt er in der Regel seinen Staatsrat von der SPD, Walter Wellinghausen, zur Sache sprechen. Sollte Schill aber auf seinem Kurs beharren, würde das politische Kräfteverhältnis von Konservativen und Rechtspopulisten im Senat verschoben. Hieran kann der CDU, die ohnehin wegen des Wahlergebnisses gegenüber ihren Koalitionspartnern eine schwache Rolle spielt, nicht gelegen sein. Sie wird eher die Domestizierung des angeschlagenen Schill betreiben, um ihn dann um so leichter politisch beerben zu können.

So kann ein möglicher Kompromiss nur diejenigen seiner Gegner zufrieden stellen, die eng gesteckte Ziele haben. Ein neues Plätzchen für die Bauwagen ist also durchaus denkbar, den Rechtspopulisten ist damit aber keineswegs geschadet. Denn in diesem Konflikt werden nicht die ideologisch-politischen Grundlagen in Frage gestellt. Die Vorstellungen Schills bleiben auch in diesen Tagen allerorten präsent.

So forderte Schill bei der Konferenz der Innenminister in der vorigen Woche die Anschaffung jenes Giftgases, dem vor kurzem bei der Beendigung einer Geiselnahme in einem Musical-Theater in Moskau über 100 Geiseln zum Opfer fielen. Solche »Diskussionsbeiträge« zur »Inneren Sicherheit« werden im Gegensatz zur »Entglasung« der einen oder anderen Institution immer noch als Petitesse behandelt.

Die Bambule-Demonstrationen sind deshalb zunächst nicht mehr als ein Zeichen, das Hoffnung auf einen weiter reichenden politischen Widerstand weckt. Dabei ist zu vermuten, dass über die Verteidigung von Einzelinteressen und den Kampf gegen den Rechtspopulismus hinaus auch eine Verständigung über die politischen Tendenzen der demokratischen Gesellschaften nötig sein wird, um weiter führende Handlungsperspektiven zu eröffnen.

Eile ist dabei aber nicht geboten. Denn es ist allemal besser, aus guten Gründen zu demonstrieren, als sich über schlechte Theorien zu streiten.