Brasilien: Finale der Fußballmeisterschaft

Ein Pelé reicht nicht

Beim diesjährigen Finale der brasilianischen Fußballmeisterschaft ging es hauptsächlich um zwei junge Nachwuchstalente.

Unterschiedlicher hätten die Voraussetzungen für das Finale der diesjährigen brasilianischen Fußballmeisterschaft kaum sein können. Auf der einen Seite stand mit Corinthians eine Mannschaft, die - ganz dem Naturell ihres Trainers Carlos Alberto Parreira entsprechend - einen schnörkellos sachlichen Fußball spielt.

Der kann zwar wenig begeistern, erwies sich aber bisher meist als sehr effizient. Zwei Titel hat der Club aus São Paulo in diesem Jahr schon gewonnen; auch auf dem Weg ins Finale wirkte er äußerst souverän. Zusätzlich geben die Erfolge der Vergangenheit allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Der eigene Anhang - man verfügt immerhin über sehr viele Supporter im ganzen Land - wurde in den vergangenen zehn Jahren mit dem Gewinn etlicher Trophäen verwöhnt.

Auf der anderen Seite stand Santos, die Legende, die Mannschaft Pelés, die in den sechziger Jahren zwar Titel um Titel erspielt hatte, in den letzten 18 Jahren aber keinen Erfolg von Bedeutung feiern konnte. Neuerdings hinterließen die Spieler von Santos regelmäßig den Eindruck, unter der Last dieser glorreichen Vergangenheit förmlich zusammenzubrechen.

Eine junge Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 22 Jahren hat es nun geschafft, sich mit attraktivem Kombinationsfußball bis ins Endspiel zu dribbeln. Trainiert wird dieses Ensemble der bislang Namenlosen von Emerson Leão. Er war Ende des Jahres 2000 als Nationaltrainer mit dem Vorsatz angetreten, dem brasilianischen Fußball seine berühmte Leichtigkeit zurückzugeben.

Eine Reihe von mitunter recht peinlichen Misserfolgen führte dann aber doch nur dazu, dass der Coach unter dem Spott der Medien nach nur wenigen Monaten aus dem Amt gejagt wurde. Bei Santos sieht es nun so aus, als ob er mit seiner Auffassung vom Fußball endlich Erfolg habe.

Das Finale Corinthians gegen Santos versprach also der krönende Abschluss einer Meisterschaft zu werden, die zwischenzeitlich von Teams dominiert schien, die eher defensiv agieren, letztlich aber als torreichste überhaupt in die Annalen des brasilianischen Fußballs eingehen wird. Und um es vorwegzunehmen, dieses Versprechen wurde voll und ganz erfüllt.

Hatte man die Finalteilnahme der Corinthians nach den in diesem Jahr gezeigten Leistungen fast erwarten können, war die von Santos doch eine große Überraschung. Zwar hatte man die Befürchtungen, dass eine so unerfahrene Mannschaft große Probleme mit dem Klassenerhalt bekommen dürfte, schnell beseitigen können, aber in den 25 Spielen der Qualifikationsrunde zeigte sich die Mannschaft recht launisch.

Herausragenden Partien folgten oft vermeidbare Niederlagen, und die Fans mussten bis zum letzten Spieltag zittern, bis ihr Team als achter und letzter Teilnehmer für die Play-offs qualifiziert war, und dies auch nur dank der Schützenhilfe anderer Vereine und der guten eigenen Tordifferenz.

Mit dem Beginn der Play-offs stabilisierte sich die Leistung des Teams. Nun, das ist stark untertrieben. Von da an begeisterten die Spieler mit jedem neuen Auftritt das ganze Land. Allen voran sorgten die beiden jüngsten Kicker, Diego (17) und Robinho (18), für kollektive Verzückung.

Die einzigen, die nicht in die Jubelgesänge über die Ballkunststücke der beiden einstimmten, waren deren Gegenspieler. Die fühlten sich durch die Finten und Dribblings oftmals der Lächerlichkeit preisgegeben, und einer prophezeite gar, wenn sie ihre Gegenspieler »weiter so respektlos« vorführten, sei es nur eine Frage der Zeit, dass »Diego oder Robinho sich mal ein Bein brechen«.

Im Viertelfinale wurde die nach der Vorrunde beste Mannschaft, São Paulo, zweimal geschlagen, und danach spielte man die Defensivspezialisten von Grêmio Porto Alegre schwindlig.

Der Weg von Corinthians ins Finale war dagegen vergleichsweise unspektakulär. Die Spieler erkannten zwar die Stärken des Gegners an, vertrauten aber auf das eigene gut organisierte Spiel und sahen sich zudem im Vorteil, da der Verband entschieden hatte, beide Spiele des Finales in São Paulo auszutragen. Das Stadion von Santos sei zu klein, um den Ansprüchen zu genügen, lautete die offizielle Begründung.

Im ersten der beiden Spiele zeigte sich die Mannschaft der Corinthians merkwürdig gehemmt, und Santos genügten gelegentliche Geniestreiche ihrer beiden Stars und eine solide Abwehr, um das Spiel mit 2:0 für sich zu entscheiden. In der Woche zwischen beiden Spielen intensivierten sich dann die Versuche, den Gegner psychologisch unter Druck zu setzen.

So behaupteten mehrere Spieler der Corinthians, dass Diego bereits zum wiederholten Male Gegenspieler mit rassistischen Sprüchen provoziert habe. Der so Angegriffene bestritt die meisten der Vorwürfe. Und über ein »Affe«, das ihm im Eifer des Gefechts herausgerutscht sei, habe er sich bereits mit dem betroffenen Gegenspieler ausgesprochen.

Im Übrigen verlegten sich die Spieler von Santos darauf, ihre Muskeln zu schonen und Verletzungen in den Trainingsspielen zu vermeiden. Im Training verletzte sich dann in der Tat auch niemand.

Nachdem das zweite Spiel am vorletzten Sonntag aber angepfiffen war, dauerte es nur bis zu seiner ersten Ballberührung, bis Diego wegen muskulärer Probleme ausgewechselt werden musste. Corinthians vermochte vom Ausfall des gegnerischen Regisseurs aber in keiner Weise zu profitieren. Im Gegenteil, es war Robinho, der zu großer Form auflief.

Erst umtanzte er den Ball und dann mit ihm den Gegner, der ihn dann einfach foulte. Den fälligen Elfmeter verwandelte er gleich selbst. Da die Corinthians nun noch drei Tore gebraucht hätten, um Meister zu werden, schien das Spiel vorzeitig entschieden, zumal es ihnen auch um keinen Preis gelingen wollte, ins gegnerische Tor zu treffen.

Eine Viertelstunde vor Schluss drehte sich das Spiel dann aber doch noch. Die Corinthians machten erst ein und dann noch ein zweites Tor, und plötzlich deutete alles darauf hin, dass nun alles so komme, wie es kommen musste. Der ganze Zauber umsonst, kurz vor Schluss holt sich das kühl rechnende Team doch noch den Titel. So kam es aber nicht. Vielmehr legte Santos noch mal zu und entschied das Spiel zur Freude aller, die nicht auf Seiten der Corinthians standen, mit zwei weiteren Toren für sich.

Das Gute hatte gesiegt. Und dieser Sieg wurde in den Medien als die Wiederauferstehung der brasilianischen Fußballkunst mit Robinho als Reinkarnation von Pelé gedeutet.

Angesichts solcher Perspektiven hielt sich selbst auf Seiten der Corinthians die Trauer in Grenzen. Auch der neu gewählte Präsident Lula zeigte sich wegen der Niederlage seines Herzensteams wenig verstimmt. Denn wenn sich Diego und Robinho nicht die Beine brechen, dann muss einem um die Zukunft des brasilianischen Fußballs wahrlich nicht bange sein.