Film »8 Mile« mit Eminem

Niggers Like Us

Eminem will nicht Elvis sein.

Die Geschichte, wie schwarze Musik für die kommerziellen Interessen Weißer ausgebeutet wurde, hat man schon oft erzählen müssen. Der King of Rock'n'Roll wurde nicht Chuck Berry, sondern Elvis, der King of Jazz nicht Duke Ellington, sondern Benny Goodman, und natürlich verkaufte auch »Mr. Slowhand« Eric Clapton ein paar Millionen Platten mehr als Robert Johnson, obwohl der bekanntlich sogar seine Seele dem Teufel verkaufte, um so spielen zu können, wie er es konnte. Beim Soul verhält es sich etwas anders. Hier war sich auch die weiße Mittelschicht immer einig, dass Soul haben etwas mit einer »schwarzen Stimme« und anderen essenzialistischen Zuschreibungen zu tun haben muss, Weiße also lieber erst gar nicht versuchen sollten, wie Marvin Gaye zu klingen.

Für HipHop galt lange Zeit ähnliches, als Weißer konnte man sich dabei nur lächerlich machen. Sämtliche HipHop-Codes sowie die berühmten Säulen, auf denen die HipHop-Kultur aufbaut - Breakdance, Graffiti, DJ-ing und MC-ing - galten zumindest in Zeiten der seligen Oldschool als etwas, was nur in der Diaspora lebende Afroamerikaner glaubhaft vermitteln konnten, weil die Wurzeln von HipHop, wie es David Toop in »Rap Attack« darlegte, bis zu den Griots in Afrika reichten und HipHop gleichzeitig ein Ausdruck urbaner Ghetto-Realität in Amerika war.

Erst die Beastie Boys korrigierten Mitte der Achtziger diese Auffassung ein wenig. Sie waren die white negroes im Sinne Norman Mailers, also weiße Hipster, die ein vermeintlich cooles schwarzes Lebensgefühl über alles bewunderten und es wie die Beatniks in den Sechzigern nicht nur imitierten, sondern zu etwas Eigenem (Crossover-Partyrap) umformten. Die Beastie Boys waren dann auch diejenigen, die Weißen in aller Welt demonstrierten: Auch du kannst HipHopper werden und Adidas-Sneakers mit Würde tragen, und das, obwohl du nicht aus der Bronx kommst, sondern in einem Stuttgarter Vorort aufs Gymnasium gehst.

Seither wird in der ganzen Welt gebattlet, gebreakt und gescratcht. Selbst in einem Land wie Deutschland wurde ein universelles Wissen über die HipHop-Kultur übernommen. Das heißt, man rappt deutsch, hat eine eigene Szene, weiß aber um die Wurzeln, die man mit all den anderen Szenen auf dieser Welt teilt. Einig ist man sich darüber, wer die richtig Großen sind: Grandmaster Flash, Public Enemy, Boogie Down Productions, Wu Tang Clan.

Nun könnte man denken, wow, super, die HipHopper aus Hamburg City sind endlich mal welche, die kein Interesse an Geschichtsfälschung haben und die noch keinen Elvis für die nächste Krönung eines Königs ausgesucht haben. Doch da gibt es Eminem, einen in aller Welt extrem erfolgreichen Skandalrapper, den alle gut und cool finden und der zweifellos einer der begnadetsten storyteller des HipHop ist. Eminem ist also auf dem Weg, der HipHop-Elvis zu werden. Doch wie sieht es aus? Gilt er dann als der letzte in der Kette der weißen Ausbeuter schwarzer Kultur?

Nein. Denn dem Problem soll nun »8 Mile« vorbeugen, die Verfilmung eines Abschnitts aus Eminems Autobiografie, die bezeichnenderweise dort endet, wo es nicht mehr um die Demonstration von realness geht. Solche Dinge wie das Feilschen um Plattenverträge oder ein Duett mit Elton John spart der Film geflissentlich aus. Es geht ausschließlich darum, wie Jimmy Smith Jr. als Rapper Rabbit den Schwarzen in seiner Hood deutlich macht, dass er - auch wenn Spike Lee etwas gegen diese Formulierung hätte - nicht nur ein Nigger wie sie ist, sondern Ruhm und Ehre hart erarbeitet sind und er sie deshalb auch verdient hat.

Rabbit schlicht als Filmfigur zu begreifen, ist leider unmöglich. Denn so viel Phantasie bringt man kaum auf, Eminem, der Rabbit spielt, nicht als Eminem wahrzunehmen, der sein eigenes Leben erzählt. Denn alles, das Setting in den Trailer-Parks von Detroit und die familiäre Konstellation - die eigene Mutter, die eine Schlampe ist, die kleine Tochter -, ist genauso, wie es in der offiziellen Autobiografie Eminems geschrieben steht.

»Es gab eine Zeit, da dachte ich: 'Verdammt, wenn ich als Schwarzer geboren worden wäre, hätte ich den ganzen Scheiß nicht durchmachen müssen'«, sagte Eminem einmal in einem Interview. Und davon handelt »8 Mile«. Es geht darum, dass Rabbit als Weißer zum Opfer der Diskriminierung seitens der schwarzen HipHopper wird. Der reale Rassismus, das wirkliche Problem in den USA, wird hier auf den Kopf gestellt. »8 Mile« schildert, wie Rabbit immer mehr auf seine Unterdrückung scheißt, weiter an sich glaubt, bis er weiß, dass er es schaffen kann. Am Ende ist Rabbit tatsächlich Eminem, er hat den Respekt aller gewonnen, doch zuvor mussten noch die bösen schwarzen Jungs beiseite geräumt werden.

»8 Mile« erzählt den Traum, der bis vor kurzem, bis zu den Erfolgen Eminems, ausschließlich von Schwarzen hätte geträumt werden dürfen. In einer Umgebung voller rassistischer Vorurteile kann sich einer in den HipHop-Clubs Detroits beim Rappen zum Ritter schlagen lassen und dann mit seinen Skills, seinem Können, ganz nach oben kommen. Doch hätte der Regisseur Curtis Hanson die Aufstiegsstory eines schwarzen Rappers, sagen wir mal die von Nas, erzählt, wären die Möglichkeiten, Rassismus im HipHop-Milieu darzustellen, ungleich beschränkter gewesen.

Rassismus hätte für den Plot nicht einmal eine Rolle spielen müssen. Nas wäre vielleicht in einer Bar voller Rednecks angeeckt, das Übliche halt, kennt man, hat man schon oft gesehen. Doch Rabbit schlägt der Hass seiner schwarzen Gegner überall entgegen, auf der Straße genauso wie im Club. Wahrscheinlich konnte nur anhand einer Figur wie der des weißen Rappers Rabbit überhaupt vermittelt werden, dass HipHop eine Art Kampfmusik ist. Dass dabei die wahren Kämpfe, die immer noch die Schwarzen in Amerika auszufechten haben, ausgeblendet werden, war offensichtlich egal.

Rassistische Stereotype werden einfach umgedreht. Rabbits Gegner, die besagte Horde übler Nachwuchsgangsta, die mit der Waffe weit weniger zögerlich umgehen als Rabbits weißer Kumpel, machen ihn permanent nieder. Nicht nur, weil sie denken, er kann es eh nicht, sondern auch aus einer diffusen Angst. Man merkt, irgendwie haben sie Respekt vor ihm, sonst würden sie sich gar nicht erst um ihn kümmern. Ähnlich wie Weiße Schwarze immer herabgewürdigt haben und zugleich Angst davor hatten, ihnen körperlich unterlegen zu sein.

Rabbit wird auch außerhalb der Contests verbal runtergeputzt. Er wird als Vanilla Ice und als Elvis beschimpft. Wobei letzteres als Beschimpfung gar nicht taugt. Zumindest nicht gegenüber einem Weißen. Wenn Rabbit, der Elvis, am Ende alle platt macht, soll das klar machen, dass er, stellvertretend für Eminem, eben nicht nur Elvis, sondern auch Chuck Berry ist, also erfolgreich, aber auch verdammt real.

»8 Mile«, USA 2002. Regie: Curtis Hanson. Start: 2. Januar 2003