Die neuen Beförderungsgesetze der BVG

Ordentlich aktiv

Der Aktivbürger ist das Schlimmste, was es in diesem Land gibt. Zwar sieht man ihn nicht im Fernsehen, weil er nicht prominent ist. Und zu Hause ist man vor ihm sicher, weil man ihn nicht zum Freund hat. Bei Freunden ist man vor ihm sicher, weil auch die ihn nicht zum Freund haben. Selbst in der Kneipe kann man ihm kaum begegnen, weil der Aktivbürger nur selten eine Gastwirtschaft aufsucht. Aber verlässt man solch vertraute Orte, kann er an jeder Ecke zuschlagen.

Der Aktivbürger ist in der Regel männlich. Er kleidet sich schlicht und ordentlich. Er ist optisch unauffällig. Fällt überraschend Regen, so hat er einen Regenschirm dabei. Er ist freundlich und tolerant gegenüber anderen Aktivbürgern. Er ist zumindest so alt, dass er sich an bessere Zeiten erinnern kann, als noch Ordnung herrschte. Als »Graffito« noch ein Fremdwort war, die Bürgersteige noch nicht voller Hundekot waren und nur US-Amerikaner Kaugummi kauten. Als man für sein Geld noch hart arbeiten musste und sonst nichts hatte.

Man trifft ihn vor allem in (klein-) städtischen, (klein-) bürgerlichen Gegenden. Da, wo es weder mondän noch proletarisch zugeht, sondern nur ordentlich. Der Aktivbürger fährt nicht Auto. Er geht zu Fuß oder fährt Bus und Bahn. Er gehört zum öffentlichen Nahverkehr wie der Fahrplan. Die Lebensaufgabe des Aktivbürgers ist es, die öffentliche Ordnung zu wahren.

Er glaubt, im Dienste der Allgemeinheit zu handeln, und weiß das Recht auf seiner Seite. Deshalb ist er ein Freund aller Menschen in Uniform. Er plaudert gern mit Schaffnern, Polizisten und anderen berufsmäßigen Aufpassern. Denn er hat ein reines Gewissen. Insgeheim möchte er auch gern eine Uniform tragen, den ganzen Tag im Dienst sein und aufpassen, dass niemand gegen die Ordnung verstößt.

Da er aber nur außerdienstlich, zum Beispiel auf dem Weg zum Einkaufen, die Ordnung hüten kann, bekommen diejenigen, die er bei einem Ordnungsverstoß ertappt, seine ganze Empörung zu spüren. Wehe dem, der auf dem Bürgersteig Fahrrad fährt! Wehe dem, der ein Bonbonpapier auf die Straße schnippt, im Bus in ein Butterbrot beißt oder den Fuß für einen Moment auf einer Sitzgelegenheit abstellt. Wehe dem, der anders aussieht oder spricht als der Aktivbürger oder ihn nicht auf Anhieb versteht!

Das Jahr 2003 wird ein großartiges Jahr für den Aktivbürger, wie möglicherweise auch alle folgenden Jahre. Denn ab dem 1. Januar 2003 ist das Rauchen auf Bahnhöfen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht nur verboten, nein, es wird bei einem Verstoß sogar eine Strafe von 15 Euro verhängt.

Der Aktivbürger hat dann ein neues Gesetz, auf dessen Einhaltung er peinlichst genau Acht geben kann. Weil er schon immer darunter gelitten hat, andere Menschen nur des Schwarzfahrens verdächtigen, aber nicht selbst überführen zu können, wird er umso entschiedener gegen die Raucher vorgehen. Er wird mit dem BVG-Personal und den Kontrolleuren gemeinsame Sache machen, die Verstöße melden und die Raucher ausliefern. Und er wird wie immer das Recht auf seiner Seite haben.