Alles neu ohne Moi

Nach fast 40 Jahren an der Macht muss die autoritäre Staatspartei Kenias in die Opposition. Neben konservativen Modernisierern sitzen in der neuen Regierung auch viele Vertreter der alten Oligarchie. von ruben eberlein

Es war kein glorreicher Abgang für Kenias scheidenden Präsidenten. Während Hunderttausende in Nairobis Uhuru-Park Mwai Kibaki, den Sieger der Präsidentschaftswahlen, frenetisch feierten, wurde Daniel arap Mois Wagenkolonne bei der Einfahrt mit Dreck beworfen. »Der Geruch von Schweiß und Schlamm, gemischt mit Marihuana und Schnaps, lag in der Luft«, berichtete der Korrespondent der Tageszeitung Nation von der Amtsübergabe am 30. Dezember. Immer wieder unterbrach höhnisches Gelächter die Abschiedsrede des Autokraten. »Alles ist möglich ohne Moi«, skandierte die Menge den Wahlkampfslogan der siegreichen National Rainbow Coalition (Narc).

Das Votum gegen die ehemalige Staatspartei Kanu, die Kenia seit der Unabhängigkeit von 1963 regierte, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Kibaki erhielt 62 Prozent der Stimmen und ließ den Kandidaten der Kanu, Uhuru Kenyatta, mit 31 Prozent abgeschlagen auf Platz zwei landen. Auch in den gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahlen triumphierte die Oppositionsallianz Narc und verfügt nun mit 125 von 210 direkt gewählten Abgeordneten über eine absolute Mehrheit.

Mit der Narc übernimmt ein ebenso heterogenes wie fragiles Bündnis aus konservativen Modernisierern und alten Eliten der Kanu-Oligarchie die Macht in dem ostafrikanischen Land. 13 Parteien hatten sich im Frühjahr des vergangenen Jahres erstmals seit der Abschaffung des Einparteiensystems im Dezember 1991 auf eine gemeinsame Kandidatenliste einigen können. Zu ihnen stießen wenige Wochen vor der Wahl einige hohe Politiker der Kanu, die nach der von Moi durchgedrückten Kandidatur Kenyattas ihre Karriere gefährdet sahen.

Entsprechend bunt sieht das Kabinett der Regierung Kibaki aus. Der größte Teil der Ministerposten ging an Vertreter der wichtigsten Oppositionsparteien. Mit George Saitoti, Raila Odinga und Kalonzo Musyoka wurden zudem diejenigen Kanu-Dissidenten mit Regierungsämtern belohnt, die der Narc letztlich zum Sieg verhalfen. Der kenianischen Tageszeitung East African Standard zufolge hatte Odinga freie Hand bei der Wahl seines Postens, er entschied sich für das potenziell einträgliche Ministerium für öffentliche Arbeiten.

Novizen in Kenias politischem Geschäft sind die wenigsten Regierungsmitglieder. Der Ökonom und neue Präsident Kibaki sitzt zum Beispiel seit der Unabhängigkeit im Parlament. Er diente unter anderem zwischen 1969 und 1978 als Finanzminister und stand Moi anschließend für zehn Jahre als Vizepräsident zur Seite. Hatte sich Kibaki noch Ende der achtziger Jahre gegen die Zulassung anderer Parteien ausgesprochen, gründete er 1991 die Democratic Party, mit der er sich zweimal vergeblich um die Präsidentschaft bewarb.

In der Bevölkerung dürften die Erwartungen an die neue Regierung hoch sein, zumal im Wahlprogramm der Narc viel versprochen wird. Ihre Ziele lesen sich eher wie eine Wunschliste denn als ernst zu nehmender Plan. So will die Partei jährlich eine halbe Million Arbeitsplätze schaffen, die Landlosigkeit wird nach ihren Ankündigungen innerhalb von fünf Jahren der Vergangenheit angehören. Die Wirtschaft soll jährlich um acht Prozent wachsen, im Jahr 2001 erzielte die krisengeschüttelte Ökonomie Kenias allerdings nur einen Zuwachs von einem Zehntel dieser Rate.

Die notwendigen Geldmittel sollen neben Investitionen aus dem Ausland und der Privatisierung von staatlichen Monopolunternehmen Kredite der internationalen Finanzorganisationen liefern. Um die Wiederaufnahme der vor zwei Jahren abgebrochenen Verhandlungen mit dem IWF und der Weltbank zu ermöglichen, ist bereits für die nächsten Wochen die Verabschiedung von zwei Antikorruptionsgesetzen geplant. Die Bekämpfung der grassierenden Bestechlichkeit, eine gute Regierungsführung und die Abschaffung der Machtballung im Präsidialamt standen im Mittelpunkt des Wahlkampfes der Narc.

Korruption wird oft als das entscheidende Problem der kenianischen Wirtschaft missverstanden. Sie ist jedoch systemischer Bestandteil einer klientelistischen Bindung zwischen Regierten und Machthabern, die in Kenia besonders stark ausgeprägt ist. Ihre ernsthafte Bekämpfung würde die Renovierung eines politischen Systems erfordern, in dem sich Mandatsträger auf allen Ebenen zuerst durch die direkte Verteilung von Pfründen an eine lokale Basis legitimieren.

John Githongo, der Leiter der Kenia-Sektion der NGO Transparency International, rät angesichts der vollmundigen Ankündigungen zur Unaufgeregtheit: »Es spielt keine Rolle, wer gewinnt. Sie sind alle gegen Korruption. Ich kann fast ihre Reden schreiben.«

Ein weiterer Test für die neue Regierung wird die angekündigte Verfolgung von politischen Gewalttaten sein. Zwischen 1991 und 2001 kamen nach Informationen der Kenya Human Rights Commission durch die Angriffe staatlich geförderter Milizen ungefähr 4 000 Menschen ums Leben, 600 000 wurden vertrieben. Nach zwölf Jahren informal repression haben sich die meist aus mittellosen Jugendlichen bestehenden Banden fest etabliert und mischen kräftig im kriminellen Milieu mit.

Die Mungiki-Sekte machte erst in der letzten Woche wieder auf sich aufmerksam, als 22 Menschen bei einem Angriff ihrer Schläger auf den Busbahnhof von Nakuru ums Leben kamen. Diese religiös-politische und äußerst militante Bewegung der sozialen Verlierer soll mindestens 1,5 Millionen Mitglieder haben und allein dank der monatlichen Beiträge eine der finanziell stabilsten Organisationen Kenias sein.

Vor den jüngsten Wahlen zählte die Central Depository Unit, ein Verband kenianischer NGO, allein zwischen Januar und August des vergangenen Jahres mehr als 200 Todesopfer politischer Gewalt. Internationale Wahlbeobachter ließen sich davon jedoch nicht irritieren und zeigten sich zufrieden. »Der friedliche Verlauf der Wahlen ist ein hoffnungsvolles Zeichen für den demokratischen Aufbruch Ihres Landes«, ließ Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Glückwunschtelegramm wissen.

Der wind of change, der jetzt vielerorts ausgemacht wird, könnte der Narc allerdings bald ins Gesicht wehen, wenn sie nicht wenigstens ein Minimum ihrer Versprechen in die Tat umsetzen kann.