Auf zu neuen Ufern!

Schon wieder Hochwasser von stefan wirner

Viele Linke verfolgten das Hochwasser der Elbe im vergangenen Jahr mit Häme, habe

es doch vorübergehend die rechtsextremen Aktivitäten in den betroffenen ostdeutschen Städten zum Stillstand gebracht. So betrachtet, könnten für den Antifaschismus in ganz Deutschland bald bessere Zeiten anbrechen.

Das jüngste Hochwasser nach der Jahreswende betraf nicht nur Sachsen und Thüringen, sondern auch Niedersachsen, das Saarland, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Ausgelöst wurde es durch das Orkantief »Calvann«, das über Europa hinwegzog und zu Hochwasser auch in Großbritannien, Frankreich, Belgien und Tschechien führte. Die Bilanz in Deutschland lautet: Es gab fünf Tote, Schäden im Wert von mehreren Millionen Euro, zur Sicherung von Deichen und zur Evakuierung von betroffenen Menschen waren 45 000 Feuerwehrleute im Einsatz. Das Fazit zog die Deutsche Presseagentur: »Erste Hochwasserwelle 2003 läuft glimpflich ab.«

Auch die ARD sprach vom »ersten Winterhochwasser«. So soll die Bevölkerung offenbar darauf vorbereitet werden, dass nun öfter mit derartigen Unwettern zu rechnen ist. Dem ersten Winterhochwasser folgt vielleicht ein zweites oder ein Frühlings- oder Sommerhochwasser. Die gute Nachricht lautet: Es gab diesmal keine Jahrhundertflut. Zwischen den Zeilen steht aber, sie sei jederzeit wieder möglich.

Nur noch wenige Klimaforscher bezweifeln, dass sich in Europa die Unwetter häufen und dass diese auch mit dem globalen Klimawandel zu tun haben. Ein Professor für Geographie in Bonn, Jürgen Pohl, sagt, dass die Fälle von Hochwasser »eindeutig zugenommen« hätten, wobei er sie vor allem auf die Flussbegradigungen und die Oberflächenversiegelung zurückführt.

Mojib Latif vom Kieler Institut für Meeresforschung sieht den Hauptgrund für die jüngsten Unwetter aber in der globalen Erwärmung. Die starken Regenfälle um die Jahreswende seien das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung: »Heute können wir nichts mehr dagegen tun, dass die Erde sich in den nächsten 100 Jahren um weitere ein bis 1,5 Grad erwärmt.«

Hans Joachim Schellnhuber, der Leiter des Potsdamer Instituts für Klimaforschung, zieht daraus in der Welt den Schluss: »Wir müssen über eine Anpassung der Zivilisation an die Klimaänderung nachdenken, denn wir werden sie nicht völlig stoppen können.« Zur Anpassung gehörten höhere Deiche und eine besser ausgebaute Kanalisation.

Bei der so genannten Flusskonferenz der Bundesregierung im September des vergangenen Jahres wurde u.a. beschlossen, den Ausbau von Flüssen zu überdenken und den Schutz vor Hochwasser zwischen dem Bund, den Ländern und der Europäischen Union besser zu koordinieren. Die Verwirklichung dieser Maßnahmen aber könnte Jahre dauern. Doch während in den Fernsehgalas noch einmal zu Spenden für die Stadt Dresden aufgerufen wurde, erreichte das nächste Hochwasser schon Wertheim.

Deshalb wird auch in Zukunft von Entwarnung die Rede sein, obwohl die Häuser noch unter Wasser stehen, und das ZDF wird wieder ausrufen, wenn die Armee anrückt, weil ein Deich zu brechen droht: »Endlich! Die Bundeswehr!« Es wird weiter versichert werden, die Menschen trügen das Hochwasser »gelassen«, denn sie seien schon daran gewöhnt, obwohl die Bilder zeigen, dass die Betroffenen die Angst um die eigene Existenz plagt.