Außer Kontrolle

Ermittlungen zum G 8-Gipfel in Genua von wibke bergemann

Beim blutigen G8-Gipfel in Genua erlebten tausende Globalisierungsgegner eine ungebändigte Polizei. Aber nicht erst seitdem kritisieren italienische Linke, dass der Polizeiapparat unter der rechtspopulistischen Regierung aus der Kontrolle geraten ist.

Nun steht die Staatsanwaltschaft kurz davor, ihre Ermittlungen über die Vorfälle abzuschließen. Gegen Hunderte von Polizeibeamten, darunter auch hochrangige, soll in den kommenden Wochen Anklage erhoben werden. Einige Ergebnisse sind schon bekannt geworden. Bei den Vernehmungen haben offenbar zwei hohe Polizeifunktionäre gestanden, Beweismittel gefälscht zu haben, wie die italienische Presse in der vergangenen Woche berichtete.

Bereits im Sommer hatte der Beamte Michele Burgio ausgesagt, dass die Polizei zwei Molotow-Cocktails in die Diaz-Schule in Genua geschmuggelt habe, um nachträglich die gewalttätigen Übergriffe zu rechtfertigen. In der Schule waren damals bei einer Razzia mehr als 60 Demonstranten misshandelt worden.

Den Vernehmungsprotokollen zufolge gestand nun der stellvertretende Polizeichef von Genua, Pasquale Troiani, aus »Leichtsinn« die Molotow-Cocktails in die Schule gebracht zu haben. Und auch Frascesco Gratteri, der Leiter einer in Genua eingesetzten Sondereinheit, bestätigte bei seiner Vernehmung, dass Beweise gefälscht wurden, um die Gefährlichkeit der Globalisierungskritiker zu beweisen.

Doch trotz dieser Geständnisse bleiben weiterhin viele Fragen im Zusammenhang mit den Ereignissen in Genua offen. Schon die große Zahl der hohen Polizeifunktionäre, die in die Vorfälle in der Diaz-Schule verstrickt sind, gibt Rätsel auf.

Fest steht, dass sich die in Genua eingesetzten Carabinieri der politischen Protektion der Regierung Silvio Berlusconis sicher sein konnten. So hielt sich der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini von der postfaschistischen Alleanza nazionale während des Gipfels in der Kommandozentrale der Polizei auf. Nur wenige Stunden, nachdem der Demonstrant Carlo Giuliani auf der Straße erschossen worden war, erklärte Fini im Fernsehen, die Demonstranten hätten die Auseinandersetzungen selbst provoziert.

Fraglich bleibt, ob die polizeilichen Übergriffe zentral koordiniert wurden. Eine Spur der Ermittlungen scheint ins Innenministerium zu führen. Der damalige Innenminister Claudio Scajola hatte Valerio Donnini, einen leitenden Polizeibeamten, mit der Koordination der mobilen Einsatzkommandos in Genua betraut. Nach der Zeugenaussage seines Fahrers beauftragte Donnini einen Untergebenen, die beiden Brandflaschen verschwinden zu lassen, die dann am Abend in der Diaz-Schule wieder auftauchten.

Zu den nun bekannt gewordenen Zeugenaussagen gibt es bisher keine Stellungnahme aus dem Innenministerium. Innenminister Beppe Pisanu, der im vergangenen Jahr die Nachfolge Scajolas antrat, fühlt sich offenbar nicht zuständig. Auch der italienische Polizeipräsident Gianni De Gennaro ist weit davon entfernt, öffentlich die Verantwortung zu übernehmen.

Leitende Beamte, die die Aussage verweigern, ein lokaler Vizechef der Polizei, der die Fälschung von Beweisen »Leichtsinn« nennt – die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu den Gewaltexzessen der Polizei in Genua offenbaren vor allem eins: Der italienische Sicherheitsapparat hat sich der öffentlichen Kontrolle entzogen.