Der Kanal ist dicht

In Großbritannien ist trotz zahlreicher Proteste ein neues Asylgesetz in Kraft getreten. von benjamin dierks

Mende Nazer hat Glück gehabt. Mitte der vergangenen Woche teilte das britische Innenministerium der 23jährigen Sudanesin mit, dass ihr Antrag auf Asyl in Großbritannien akzeptiert worden sei. Nazer wurde als Kind von Sklavenhändlern entführt und musste zunächst für eine Familie in Karthoum und später in London als unbezahlte Haushaltskraft eines sudanesischen Regierungsangestellten arbeiten, bis ihr schließlich die Flucht gelang. Ihre Geschichte hat sie in ihrem Buch »Sklavin« beschrieben, das zwar in Deutschland, bislang jedoch noch nicht in Großbritannien erschienen ist. Die Aufmerksamkeit, die sie damit erregte, dürfte dazu beigetragen haben, die Behörden umzustimmen, die ihren Antrag zunächst abgelehnt hatten.

Fast scheint es, als habe die Regierung in London versucht, mit dem populären Fall Mende Nazer endlich eine positive Nachricht über die britische Aufnahmepraxis zu lancieren. Denn in der vergangenen Woche trat auch das höchst umstrittene neue britische Asylrecht in Kraft.

Es sieht die Übernahme der im EU-Vertrag von Maastricht festgelegten Drittstaatenregelung vor und benennt eine Reihe angeblich sicherer Herkunftsländer. Für Proteste sorgt aber vor allem die Beschränkung von Hilfeleistungen für Asylsuchende. Demnach soll Flüchtlingen, die nicht »so bald wie möglich« nach ihrer Einreise einen Antrag auf Asyl stellen, jegliche Hilfe verweigert werden. Sie sollen künftig weder eine Unterkunft noch Verpflegung oder finanzielle Leistungen erhalten. Innerhalb welcher Frist der Antrag eingereicht werden muss, lässt das Gesetz offen.

Ferner kann jeder Person die Unterstützung verweigert werden, die während ihrer Bewerbung »unvollständige oder falsche Angaben« macht oder während der Untersuchung ihres Antrags »nicht mit den Behörden kooperiert«.

Die Regelung ist ein Teil des »Nationality, Immigration and Asylum Act«, mit dem die Regierung gegen die illegale Einreise nach Großbritannien vorgehen will und der sich gegen alle richtet, die seit einiger Zeit illegal auf der Insel leben und arbeiten.

»Es ist nicht akzeptabel, dass einige Leute Asyl beanspruchen, nachdem sie illegal gearbeitet haben, nur damit sie weiterhin auf Kosten der Steuerzahler hier bleiben und ihre Rückführung verzögern können«, sagt die Immigrationsministerin, Beverly Hughes. Zudem seien Familien mit Kindern ebenso von der Regelung ausgenommen wie Menschen, die beweisen können, dass sie in ihrem Herkunftsland menschenrechtswidrig behandelt wurden oder dass sich die Lage dort nach ihrer Ankunft auf den britischen Inseln dramatisch verändert hat.

Kritiker halten dem entgegen, dass selbst schwangere Frauen vom neuen Gesetz betroffen seien. Der britische Refugee Council, Amnesty International, Oxfam sowie eine Reihe weiterer Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung vor, die massenhafte Verelendung und Obdachlosigkeit von Flüchtlingen in Kauf zu nehmen. Flüchtlinge sollten regelrecht »ausgehungert« werden. »Wir erwarten das Schlimmste«, sagte eine Sprecherin der Organisation Refugee Action. »Die Menschen werden mitten im Winter auf die Straße gesetzt. Hier geht es um eine Asylpolitik, die auf Abschreckung beruht.«

Die Hilfsorganisationen wollen zwar versuchen, eine anfängliche Grundversorgung zu gewährleisten. Doch nach dem neuen Gesetz dürfen sie dabei nicht mehr mit finanzieller Unterstützung des Innenministeriums rechnen.

Sowohl die offizielle Statistik wie auch die Erfahrungen zeigten, dass Flüchtlinge häufig nicht in der Lage seien, an ihrem Ankunftsort Asyl zu beantragen, erklärten die Organisationen in einem gemeinsamen Schreiben. Das liege ebenso an der Unkenntnis des britischen Asylverfahrens und an fehlenden Sprachkenntnissen wie an der Tatsache, dass viele Flüchtlinge wegen ihrer Erlebnisse im Herkunftsland Angst vor staatlichen Behörden hätten.

»Die Regierung erkennt nicht, warum die meisten Menschen nicht an ihrem Ankunftsort Asyl beantragen«, so Mona Arshi, eine Anwältin der Bürgerrechtsorganisation Liberty. »Sie haben Angst, wissen nicht, was sie erwartet und sind durch ihre Flucht oft traumatisiert.«

Ob die Regierung nur aus Unkenntnis handelt, ist allerdings fraglich. Ihren eigenen Angaben zufolge hätten nach der neuen Regelung etwa zwei Drittel der rund 71 000 Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr in Großbritannien Zuflucht suchten, keinerlei Unterstützung mehr erhalten.

Liberty will nun vor dem Obersten Gerichtshof gegen das Gesetz klagen. Ein Urteil dieses Gerichts hat schon Mitte der neunziger Jahre einen ähnlichen Versuch der damaligen Tory-Regierung vereitelt, das Asylrecht zu verschärfen.

Einen Rückgang der so genannten illegalen Immigration verspricht sich die britische Regierung auch von der Schließung des Flüchtlingslagers im nordfranzösischen Sangatte, das Ende Dezember, vier Monate früher als geplant, aufgelöst wurde. In den vergangenen drei Jahren versuchten zehntausende Flüchtlinge dort, durch den Eurotunnel nach Südengland zu gelangen.

Als Gegenleistung musste der britische Innenminister David Blunkett seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy in einem Abkommen versprechen, 1 200 irakische und afghanische Flüchtlinge aus Sangatte aufzunehmen. Sie sollen eine vierjährige Arbeitserlaubnis in Großbritannien erhalten. Um die in der Region von Calais bleibenden 4 800 Flüchtlinge will sich das französische Innenministerium kümmern. Gleichzeitig sagte die britische Regierung mehrere Millionen Pfund für den Ausbau der nordfranzösischen Grenzsicherungsanlagen zu.

Blunkett zeigte sich zufrieden. Mit dem Camp habe man einen mittlerweile weltweit bekannten Anziehungspunkt für Flüchtlinge geschlossen, die dort nur Station auf ihrer Reise nach Großbritannien machen wollten, sagte er.

Nicht alle sind dieser Meinung. Das französische Rote Kreuz, der ehemalige Betreiber des Camps, widersprach der Ansicht, das Flüchtlingsproblem in Nordfrankreich sei nun gelöst. Sangatte sei eine Folge, nicht die Ursache dieses Problems gewesen.