Der Schweif des Kometen

Die rechtspopulistische Liste Pim Fortuyn hat bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden keine Chance. Mit Parolen gegen Migranten werben die übrigen Parteien um ihre früheren Wähler. von udo van lengen

Es muss mehr als eine politische Einheitswurst in zwei Geschmacksrichtungen zur Wahl stehen«, forderte Tiny Kox von der Sozialistischen Partei (SP) im November des vergangenen Jahres. Am 22. Januar wird über die neue Zusammensetzung des Parlaments in Den Haag entschieden, und inzwischen hat die heiße Wahlkampfphase begonnen. Die Parteien bemühen sich redlich, für jeden Wählergeschmack das Passende zu servieren und die Vorschläge der Konkurrenz öffentlich madig zu machen.

Dabei sind die letzten vorgezogenen Neuwahlen gar nicht so lange her. Im Mai des vergangenen Jahres mussten die Niederländer wählen, weil die damalige Regierung aus Sozialdemokraten (PvdA), Rechtsliberalen (VVD) und Linksliberalen (D’66) zurückgetreten war. Als überraschende Siegerin ging aus den Wahlen die kurz zuvor gegründete Liste Pim Fortuyn (LPF) hervor.

Der Parteigründer Pim Fortuyn forderte, dass sich Ausländer, vor allem Muslime, den niederländischen Normen und Werten unterordnen müssten. Andernfalls sollten sie umgehend aus dem Land gewiesen werden. Als Fortuyn wenige Tage vor der Wahl erschossen wurde, war der Wahlkampf entschieden. Mit ihren rechtspopulistischen Parolen errang die LPF 26 der 150 Sitze und bildete mit den Christdemokraten (CDA), die die meisten Stimmen erhalten hatten, und den Rechtsliberalen eine neue Koalition.

Nach nur 87 Tagen machten jedoch die ständigen Streitereien und Machtkämpfe innerhalb der LPF die Regierung arbeitsunfähig. Mitte Oktober reichte Ministerpräsident Jan Peter Balkenende (CDA) beim Staatsoberhaupt, Königin Beatrix, den Rücktritt seines Kabinetts ein und bat darum, einen Termin für Neuwahlen anzuberaumen.

Jetzt aber ist die LPF chancenlos. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass von ihren 26 Mandaten nicht mehr als sechs übrig bleiben werden. Ähnlich wie die Freiheitliche Partei in Österreich (FPÖ) hat die Liste Pim Fortuyn durch die inneren Querelen ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Als sicher gilt, dass die Zeit der LPF als Koalitionspartnerin im Kabinett vorerst vorbei ist. Zeitweilig schien sogar ihr Fortbestand gefährdet, als mehrere prominente Mitglieder austraten und eigene Parteien mit ähnlichen Zielen gründeten. Die Wahlplakate der LPF zeugen davon, dass sich auch die Rechtspopulisten keine Illusionen über ihre Aussichten machen: »Habe Mut, wähle LPF!«

Dafür ist der Kampf um die Stimmen der ehemaligen LPF-Wähler voll entbrannt. Noch ist nicht abzusehen, welche Partei das Potenzial abräumen wird. Die rechtsliberale VVD will die von der LPF enttäuschten Wähler mit den Themen gewinnen, die auch schon Fortuyn Erfolg bescherten: Entbürokratisierung, Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme und natürlich das Thema Migration sowie die angeblich mangelnde Integration der Einwanderer.

Das sei das größte Problem in den Niederlanden überhaupt, meint ein prominenter Vertreter der VVD. Ihr Spitzenkandidat Gerrit Zalm erklärt, dass die 30jährige Integrationspolitik gescheitert sei, was man am überdurchschnittlichen hohen Anteil von Migranten unter den Sozialhilfeempfängern und in den Gefängnissen erkennen könne.

Die Kritik an der Integrationspolitik weist Femke Halsema, die Spitzenkandidatin der Grünen, zurück. In den vergangenen zwei Jahrzehnten seien stets Minister der VVD für die Integrationspolitik zuständig gewesen. »Wenn Zalm sagt, die Integrationspolitik taugt nichts, dann sage ich: Die VVD taugt nichts.«

Die VVD ist jedoch nicht die einzige Partei, die nach dem bekannten Muster die Themen Migration und Kriminalität miteinander verbindet. So fordern auch die Christdemokraten und die Linksliberalen die sofortige Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Die sozialdemokratische PvdA denkt über eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr nach. Sie unterstützt obendrein den jüngsten Vorschlag der Christdemokraten, in Bussen und Bahnen oder auf der Straße auch unverdächtige Personen zu kontrollieren und zu durchsuchen.

Wahlforscher schätzen, dass ein bis zwei Millionen Stimmberechtigte noch unentschlossen sind. Das ist eine Zahl, die die niederländischen Politiker in ständige Aktivität verfallen lässt. So organisierten allein die Christdemokraten in den vergangenen zwei Wochen 200 Veranstaltungen in allen Regionen des Landes.

Die Kandidaten geben sich für niederländische Verhältnisse ungewohnt streitlustig. Das ist aus der Sicht eines Kommentators des Volkskrant ein positives Signal, denn »früher sahen wir uns die Debatten im Deutschen Bundestag an, die niederländische Politik war dagegen zum Einschlafen«. Die neue »Debattierfreude« und »die Lust am Dissens« seien auch ein Verdienst des »Kometen Fortuyn«, meint die Tageszeitung NRC Handelsblad. Für Migranten, insbesondere für solche aus muslimischen Ländern, ist diese neue Diskussionslust aber ein schlechtes Zeichen. Denn gestritten wird vor allem darüber, wie ihr Anteil an der Bevölkerung reduziert werden kann.

Den Umfragen zufolge scheint derzeit eine Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten wahrscheinlich. Zwar wollte die CDA lieber mit ihrem bisherigen Koalitionspartner VVD weiterarbeiten, mittlerweile aber wollen sich die Funktionäre der CDA alle Möglichkeiten offen halten. »Wenn die PvdA mehr Stimmen erhält als die VVD, müssen wir sehen, wie wir mit den Sozialdemokraten auskommen«, heißt es nun. Die Sozialdemokarten zeigen sich abwartend, auch wenn ihre Umfragewerte von Tag zu Tag steigen.

Allerdings erteilte ihr Spitzenkandidat, Wouter Bos, einer denkbaren Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Sozialisten bereits eine Absage, sehr zum Ärger der beiden übrigen potenziellen Partner. Man sei »enttäuscht, dass Bos schon vorzeitig die Möglichkeit eines linken Blocks ausschließt«, heißt es aus den Reihen der Grünen. Und Jan Marijnissen von der Sozialistischen Partei fauchte: »Bos hat sich entschieden. Aber er sollte nicht davon ausgehen, dass er mit der SP um jeden Preis befreundet bleibt.«

Gerade der SP werden gute Chancen eingeräumt, gestärkt aus den Wahlen hervorzugehen. Noch vor zwei Jahren saßen nur drei Abgeordnete der Partei im Parlament, nun könnten es 14 werden. Die Partei wurde bereits 1972 gegründet, blieb jedoch lange Zeit ohne Einfluss.

Den prognostizierten großen Wählerzuspruch dürfte sie ihrem Spitzenkandidaten zu verdanken haben. Ähnlich wie Fortuyn prägt Marijnissen das Image der Partei. Politische Gegner bezeichnen ihn als »extrem links« oder als »naiven Maoisten«. Die meisten sozialistischen Kandidaten haben Erfahrungen in außerparlamentarischer politischer Arbeit.

Schon das Programm der SP ist für die anderen Parteien Grund genug, jede Koalition mit ihr kategorisch abzulehnen. Bis vor kurzem hieß es auf den Plakaten: »Stimme dagegen, wähle die SP!« Das bedeutete: gegen eine neoliberale Europäische Union, gegen die Nato und gegen den Euro. Mittlerweile heißt die Losung: »Stimme dafür, wähle die SP!« Wofür? Zum Beispiel auch dafür, Einwanderer über das gesamte Land zu verteilen und unerwünschte Personen mit finanziellen Anreizen zur Ausreise zu bewegen. Das ist eine Idee der SP aus dem Jahr 1982, die Marijnissen heute gerne wieder aufgegriffen hat.