Heil dich doch selbst!

Soziale Folgen der Reform von guido sprügel

Die Deutschen werden immer gesünder. Im Jahr 2002 gab es in den Betrieben so wenige Krankmeldungen wie seit elf Jahren nicht mehr, teilte die Bundesregierung mit. Könnten sich die Probleme im deutschen Gesundheitssystem nicht von selbst lösen?

Wohl nicht. Denn der Krankenstand ist deswegen so niedrig, weil sich viele Kranke aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes dennoch zur Arbeit schleppen. Und diese Angst kommt nicht von ungefähr. Die ersten, die entlassen werden, wenn ein Betrieb sparen will, sind unliebsame Arbeitnehmer, und das können auch jene sein, die durch häufiges Kranksein auffallen.

Mit der bevorstehenden Gesundheitsreform könnte im Gesundheitswesen eine ähnliche Entwicklung eintreten wie in der Arbeitswelt. Vor allem wenn die jüngsten Vorschläge, die eine höhere Beteiligung der Patienten an den Behandlungskosten vorsehen, verwirklicht werden. Wer wenig Geld hat und für den Arztbesuch zahlen muss, verzichtet schon mal auf ihn. Die Leute gehen vielleicht seltener zum Arzt, gesünder sind sie aber trotzdem nicht.

Zwar ist der Umbau des Gesundheitssystems tatsächlich unausweichlich. Ohne grundsätzliche Änderungen droht der finanzielle Kollaps. Jede dritte Krankenkasse erhöhte zu Beginn des Jahres ihre Beiträge, teilte das Bundesversicherungsamt mit. Und es ist kein Ende in Sicht.

Doch wie soll die Reform aussehen? Nicht nur die Rürup-Kommission diskutiert eine Abwälzung der Kosten auf die Patienten. Schon heute unterscheidet sich in Deutschland die Krankenversorgung von armen und reichen Menschen erheblich.

»Armut macht krank«, sagt der Medizinsoziologe Hans-Ulrich Deppe. Es sei erwiesen, »dass mit fallendem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung die Krankheiten ansteigen, dass in nahezu allen Gesellschaften die untersten Sozialschichten die häufigsten und die schwersten Erkrankungen haben und dass mit dem Abfall der Einkommen die Lebenserwartung deutlich sinkt«. Eine höhere Selbstbeteiligung oder die Stärkung der »Eigenverantwortung«, die allenthalben gefordert wird, würde diese Tendenz nur verstärken.

Bereits jetzt hat die gesetzliche Techniker-Krankenkasse ein Bonussystem eingeführt. Das ursprünglich von den privaten Krankenversicherungen erfundene Modell bietet den Patienten, die geringe oder keine Kosten verursacht haben, die Rückerstattung bereits gezahlter Beiträge an. Ein chronisch Kranker dagegen wird eine Rückzahlung von Beiträgen sein Leben lang nicht erhalten.

Es hat mit Eigenverantwortung nichts zu tun, wenn chronisch Kranke und sozial schwache Menschen, die meist auch über eine schlechtere Bildung und über weniger Wissen von ihrer Gesundheit verfügen, schwerer belastet werden sollen. Hinter dem beschönigenden Begriff verbirgt sich vor allem der Versuch, das Gesundheitssystem auf Kosten der Patienten zu sanieren.