Ideologie statt Wahn

Eine Abgrenzung nach rechts macht die Globalisierungskritik von Attac auch nicht emanzipatorischer. von felix kurz

Die globalisierungskritische Bewegung hat nie mit Anlässen gegeizt, ihre offenen Flanken nach rechts nachzuweisen. Über die Jahre ist aus entsprechender Kritik ein regelrechtes Mantra geworden, das jeder herunterbeten, aber niemand mehr hören kann. Schuld daran sind selbstverständlich nicht die Kritiker, sondern die Adressaten der Kritik, die sie immer wieder provozieren.

Nun hat der Attac-Koordinierungskreis ein Diskussionspapier vorgelegt, in dem er sich auf eine vage »Tradition emanzipatorischer Strömungen und sozialer Bewegungen« beruft, die »mit reaktionären Ideologien jeglicher Spielart unvereinbar« sei. Die dann folgenden bitter nötigen Abgrenzungen gegen Antisemitismus, Antiamerikanismus und Nationalismus erweisen die Rede von der Unvereinbarkeit als Autosuggestion. Vom offenen Antisemitismus abgesehen, kennt man das meiste aus der Praxis von Attac zur Genüge. Wie schizophren muss ein Verein sein, der gegen den US-Präsidenten George W. Bush mit Plakaten mobilisiert, auf denen Uncle Sam mit der Welt Jojo spielt, und der dann ein Diskussionspapier gegen Personalisierung und antiamerikanische Ressentiments vorlegt?

Einen Sinn ergibt das Papier nur, wenn man es als Selbstkritik und guten Vorsatz fürs neue Jahr liest. Dabei ist viel vom Antisemitismus die Rede, der globalisierungsbewegte Schulterschluss mit dem palästinensischen Selbstmordterror hingegen wird beschwiegen. Attac-Deutschland hat sich dabei zwar zurückgehalten. Soweit die interne Nahostdebatte öffentlich nachvollziehbar ist, besteht sie aus einem Resolutionsentwurf, der eine Zwei-Staaten-Lösung fordert, sowie aus Ergänzungen, die sich gegen die verständnisvolle Rationalisierung des palästinensischen Terrors als Verzweiflungstat wenden.

Doch die »Grenzen der Offenheit« scheinen in Sachen Israel gelinde gesagt äußerst durchlässig. Bekanntlich tummeln sich bei Attac die notorischen Israelfresser vom trotzkistischen Linksruck, denen erklärtermaßen jeder Islamist ein willkommener Bündnispartner ist, wenn er nur wie die Hamas und der Islamische Jihad wacker kämpft, anstatt wie die Saudis ihren Frieden mit Amerika zu machen.

Und dass Attac die vor dem Weltsozialforum in Porto Alegre von palästinensischen Delegierten initiierte Kampagne für einen Boykott Israels mit der gebotenen Schärfe angreifen wird, ist nicht zu erwarten, wenn man bedenkt, dass die propalästinensischen Manifestationen beim Europäischen Sozialforum in Florenz im Herbst des vergangenen Jahres keinerlei Einspruch hervorriefen.

Allen Halbheiten zum Trotz blamiert das Diskussionspapier dennoch die Auffassung, bei Attac & Co. handele es sich um eine »neue Internationale«, deren Versprechen im »Pogrom gegen Luxus, individuelles Glück und ausgelebte Lust« bestünde. Das Zitat könnte vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch stammen, der sich kürzlich bei den populistischen Anwandlungen eines deutschen Gewerkschaftsvorsitzenden spontan an die Judenvernichtung erinnert fühlte, doch es ist einem Thesenpapier antideutscher Linker entnommen (Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig). Aus der im globalisierungskritischen Milieu gängigen kulturrelativistischen Verniedlichung des Islamismus als verständliche Reaktion auf »westliche Arroganz« wird kurzerhand gefolgert, dessen im Märtyrerkult gipfelnde Verzichtslogik bilde das gemeinsame Band mit der Antiglobalisierungsbewegung. Der Ruf nach dem Staat gegen den »entfesselten Markt« entspringe einem autoritären Bedürfnis und repressivem Gemeinschaftsgeist.

Solche Kritik ist scheinradikal und geht ins Leere. Die Berührungspunkte der globalisierungskritischen Bewegung mit reaktionären Tendenzen werden für das Wesen der Sache genommen, anstatt sie in ihrer Widersprüchlichkeit zu bestimmen. Selbstverständlich ist es widerwärtig und mit der NPD kompatibel, wenn gegen die Weltordnung im Namen des »Selbstbestimmungsrechts der Völker« opponiert wird. Eine Wesensgleichheit von Faschisten und Globalisierungskritikern lässt sich daraus jedoch nur folgern, wenn man deren Ablehnung der herrschenden Flüchtlingspolitik ignoriert.

Vollends in die Irre geht der Vorwurf der Verzichtslogik. Verzichtsleistungen zum Wohle des Ganzen fordert das staatliche Krisenmanagement, gegen das sich die Globalisierungsgegner wenden. Die Verteidigung etwa des öffentlichen Rentensystems entspringt dem vernünftigen Selbsterhaltungsinteresse, dessen Missachtung den Faschismus und den Islamismus auszeichnet. Das alles in eins fallen zu lassen, jede sozialstaatliche Forderung als Sehnsucht nach der Volksgemeinschaft zu deuten, mündet in Paranoia und Unfähigkeit zur adäquaten Kritik.

Stattdessen hätten radikale Linke sich damit auseinanderzusetzen, wie es Attac gelingt, Einwände von links zu instrumentalisieren, um gewissermaßen politisch korrekt geläutert mit der Forderung nach »demokratischer Kontrolle der Finanzmärkte« aufzuwarten. Unzählige Male und völlig zu Recht wurde dargelegt, wie sehr das moralische Anprangern des frei flottierenden internationalen Kapitals und erst recht dessen Personifizierung im Spekulanten dem faschistischen Affekt gegen das »raffende jüdische Kapital« ähnelt. Dass der moderne Antisemitismus davon lebt, die Totalität des Kapitalverhältnisses zu zerreißen und seine abstrakte Erscheinung dem (Schein-) Konkreten entgegenzusetzen, hat sich nach Moishe Postones viel zitiertem Essay über die »Logik des Antisemitismus« allgemein herumgesprochen.

Dergestalt rückt der Humus des antisemitischen Weltbildes ins Zentrum der Aufmerksamkeit, jedoch auf die Gefahr hin, den Unterschied einzuebnen zwischen der Ideologie, die die Voraussetzung, und dem Wahn, der die Wirklichkeit des Antisemitismus ausmacht. Die Personifizierung der »negativen Seiten« des Kapitalverhältnisses in einer jüdischen Weltverschwörung ist ein Akt, der die materialistische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus (Sartre nicht weniger als Adorno und Horkheimer) zum Rückgriff auf die Psychoanalyse zwang.

Attac zieht eine Grenze zu derlei Wahn, verzichtet auf die Personifizierung der Finanzmärkte, um sich mit reinem Gewissen der Ideologieproduktion zu widmen. Geld regiert die Welt, diese Überzeugung muss nicht antisemitisch gewendet werden. Man kann sie wie Attac als Aufforderung verstehen, den von der heutigen Sozialdemokratie zu den Akten gelegten Keynesianismus wieder hervorzukramen und dem linken Publikum als Initiative im Geiste Rosa Luxemburgs zu verkaufen, als hätten die Spartakisten für eine Erhöhung der Vermögenssteuer zu den Waffen gegriffen.

Geld gilt hier als neutrales Tauschmittel, das lediglich vom Staat gelenkt und umverteilt werden muss. Zinssenkungen, Stützung der Massenkaufkraft und staatliche Nachfrage sollen die Produktion auf Trab halten und jedem seinen gerechten Lohn zuteil werden lassen. Attac verdoppelt propagandistisch den Augenschein, dass der Reichtum der Welt nur ungerecht verteilt sei und diese Verteilung mit seiner Produktion nicht das Geringste zu tun habe, dass Geld genug da ist, wie der Blick auf blühende Steueroasen doch zeige, dass alles eine Frage der richtigen Politik ist.

Die enorme Popularität, der sich Attac und die Globalisierungskritiker erfreuen, verdankt sich der Erinnerung an die Jahrzehnte nach 1945, in denen diese Ideologie in Gestalt des keynesianischen Sozialstaates verwirklicht schien. An die Stelle des Laissez-Faire-Kapitalismus war eine scheinbar krisensichere Ordnung getreten, in der Akkumulation und Massenwohlfahrt versöhnt schienen. Wenn der Attac-Chefideologe Ignacio Ramonet das zu hohe Zinsniveau bejammert, »das die Kaufkraft der Privathaushalte sowie die Investitionsfreudigkeit der Unternehmen dämpft«, wenn sein deutscher Kollege Peter Wahl angesichts der Situation in Argentinien wieder an »Sozialismus« denkt, die »demokratische Kontrolle der Finanzmärkte« zur Verhinderung von »Kapitalflucht« nämlich, dann ist das die ideologische Renaissance des »antimarxistischen Sozialismus«, von dem Keynes träumte. Die Liquidation des Liberalismus, die Versöhnung von Kapital und Arbeit im Staat, die Parteinahme für die Produktion und gegen die Spekulation bezeichnen Schnittstellen zum Nationalsozialismus. Das macht keynesianische Nostalgiker jedoch nicht zu Nazis.

Es reicht aus, die Verklärung dieses »goldenen Zeitalters« (Eric Hobsbawm) zurückzuweisen und die Verdrängungsleistungen offen zu legen, die sie zur Voraussetzung hat. Man könnte zum Beispiel daran erinnern, dass die Depression nach 1929 nicht durch pfiffige sozialdemokratische Staatseingriffe, sondern mit dem größten Krieg der Geschichte beendet wurde und auch der demokratische Keynesianismus des amerikanischen »New Deal« erst mit Rüstungsproduktion, Kriegseintritt und Kapitalvernichtung zum Boom führte. Der Hinweis, dass die »neoliberale Globalisierung« nicht ohne Krieg auskommt, wird zur Lüge, wenn er von Attac ausgesprochen wird.

Doch nicht nur der Beginn, auch das Ende der verklärten Nachkriegsordnung wird mystifiziert, wenn der Anschein erweckt wird, aus heiterem Himmel sei der Neoliberalismus über die Menschheit hereingebrochen und habe aus Jux und Dollerei den Sozialstaat abgerissen.

Der Keynesianismus scheiterte an seinen eigenen Widersprüchen und den sozialen Kämpfen, die nach 1968 folgten. Die vermeintliche Krisenlösung geriet ihrerseits in die Krise, als die Lohnkämpfe zunahmen, der Aufruhr an den Fließbändern die Arbeitsproduktivität schmälerte und die ausufernden Sozialleistungen zur Finanzkrise des Staates führten. Diese sozialen Kämpfe sollten als Erinnerung daran dienen, dass der Sozialstaat immer die Despotie der Fabrik flankierte. Nicht erst durch ihre mögliche völkische, antisemitische oder antiamerikanische Aufladung ist Globalisierungskritik jedem Gedanken an Emanzipation entgegengesetzt, sondern indem sie diese Verhältnisse wieder herbeisehnt.