Unser elfter September

Zur Debatte um die Zerstörung Dresdens. von jörg sundermeier

Man ist sich einig. Die Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten ist ein enormes Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges. Doch das, was man bislang bei jeder Gelegenheit über Dresden hörte, das, was man auch in nahezu jeder anderen Stadt durch Denkmäler suggerierte, das, was bereits in unzähligen, zum Teil sehr erfolgreichen Romanen und Zeitschriftenserien beschrieben ist, scheint, so jedenfalls legen es die Feuilletons nahe, bislang nicht allgemein anerkannt worden zu sein. Daher rollt seit gut zwei Monaten erneut eine Kampagne durch die deutschen Medien, die nun in einer umfangreichen Serie des Spiegel ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

Angefangen hat es diesmal damit, dass sich die britische Presse nicht so beglückt über Jörg Friedrichs Buch »Der Brand« zeigte, wie es die Deutschen erwartet haben. Dabei ist dieses Buch doch ungemein »sachkundig«, wie Hans Mommsen feststellte. Der Spiegel sieht in dem Buch »den einschlägigen Forschungsstand zusammengefasst«.

Martin Walser wiederum rühmte es als »Denkmal für den Bombenkrieg«. Offenbar auf die Debatte um das Holocaust-Mahnmal anspielend erklärte er im Focus, das Buch sei »ein geschriebenes Denkmal, und das ist immer noch jedem anderen Denkmalsversuch vorzuziehen«. Zudem habe Friedrich eine »Erzählkompetenz«, die »das gegenseitige Vernichtungswüten für unsere Teilnahme zugänglich« mache.

Die National-Zeitung nennt das Buch »eindrucksvoll« und meint, es sei ein »überfälliges Werk«. Friedrich schildere »wahrheitsgemäß«, »wie Hunderttausende deutscher Frauen und Kinder im Holocaust des alliierten Bombenterrors verglühten«.

Die Wortwahl kommt nicht von ungefähr, Hans-Ulrich Wehler stellte irritiert fest, dass Friedrich in seinem Bestseller die Bombenangriffe einen »Vernichtungskrieg« nennt, und dass er auch andernorts Worte benutzt, die eine »unverhohlene sprachliche Gleichstellung mit dem Horror des Holocaust« darstellten. »Die ›Bomber Group 5‹ mutiert zur ›Einsatzgruppe‹, Bombenopfer werden zu ›Ausgerotteten‹, ihre Keller zu ›Krematorien‹ erklärt.« Und dabei erhoffte Wehler sich eine »reinigende Debatte«, da »Völker mit diesen Kriegserfahrungen solche Phänomene wie Massenflucht, Vertreibung, Vergewaltigung, Bombenkrieg nicht beliebig verdrängen können«.

Jochen Bölsche hält derartige Bedenken offensichtlich für überflüssig. Auf 13 Seiten schildert er im Spiegel, was die Briten, allen voran Sir Arthur Harris, genannt »Bomber Harris«, den deutschen Städten und ihren Bewohnern angetan hätten. Die »fliegenden Terroristen« hätten wahre »Luftmassaker« veranstaltet, die in militärischer Hinsicht völlig sinnlos gewesen seien. Die Briten nämlich, so schreibt Bölsche, der der Argumentation Friedrichs ganz und gar folgt, hätten ausdrücklich Wohngebiete bombardieren wollen.

Wenn man die Ideen von Friedrich ernst nähme, hieße das, dass die Deutschen Churchill einen Kriegsverbrecher nennen, schrieb der Daily Telegraph. Bölsche widerspricht, um sieben Seiten später Rudolf Augstein zustimmend zu zitieren, der schon 1985 geschrieben hatte, dass man Churchill nach »den Maßgaben der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse« hätte hängen müssen, »zumindest als Oberbomber von Dresden, zu dem Zeitpunkt, als Deutschland schon erledigt war«.

Zwar weist der Spiegel darauf hin, dass Hitler – und wie immer, wenn Deutsche über die Verbrechen des Nazismus reden, war er es allein – den Bombenkrieg begonnen habe, allerdings längst nicht in diesem Ausmaß. Ganz unschuldig fragt der Spiegel: »Darf Terror mit Terror beantwortet werden?« Dass die Briten und später auch die USA Deutschland terrorisierten, scheint abgemachte Sache. Der Spiegel, der noch jede kriegsverbrecherische Handlung eines Wehrmachtssoldaten in einen größeren militärstrategischen, also entschuldigenden Kontext einbetten konnte, verzichtet weitgehend auf den militärischen Zusammenhang.

Selbstredend ist ein Bombenkrieg etwas Grässliches, und nicht nur Jörg Friedrich, der mit Beschreibungen der Opfer kaum mehr an sich halten kann, hat darauf hingewiesen, dass viele der in Hamburg, Berlin oder Halberstadt getöteten Kinder, Kranken und Sklavenarbeiter nicht einmal der Mitschuld am Krieg geziehen werden können. Doch nahezu alle Rezensenten unterschlagen ebenso wie Bölsche und Friedrich das Kriegsgeschehen, innerhalb dessen diese Angriffe stattfanden.

Zur Logik des Krieges, mit der sich das deutsche Feuilleton ja sonst bestens auskennt, gehört nicht nur der unbedingte Gehorsam und die empfindliche Ahndung von Befehlsverweigerung (von der bei Gelegenheit der Wehrmachtsausstellung ja viel schwadroniert wurde), sondern auch ein simplifizierendes Freund-Feind-Verständnis sowie die Pflicht der Befehlshaber, die von ihnen befehligte Truppe und das von ihnen regierte Land vor allen anderen zu schützen.

Wenn also die Briten und Amerikaner ihre so genannten fliegenden Festungen zum Angriff gegen Deutschland schickten, ging es ihnen zunächst um die Vernichtung von militärisch bedeutsamen Industrieanlagen, zugleich aber auch darum, die von den Nazis stets beschworene »Heimatfront« anzugreifen. Eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg war es, dass, allem Befehlszwang zum Trotz, die Soldaten gegen ihre Befehlshaber rebellierten und infolge dessen die Front zusammenbrach.

Beim Vorrücken der alliierten Truppen im Zweiten Weltkrieg zeigte sich jedoch an allen Fronten eine hohe Widerständigkeit seitens der Zivilbevölkerung, der »Volkssturm« und der »totale Krieg« waren nun wirklich alles andere als eine alliierte Erfindung. Schließlich fielen allein bei der Befreiung Berlins über 13 000 sowjetische Soldaten, zu einem Zeitpunkt also, an dem »Deutschland schon erledigt war«, wie es Augstein behauptete. Diese Sowjetsoldaten waren zuvor durch ein Gebiet marschiert, in dem die deutsche Strategie des »totalen Krieges« nichts als »verbrannte Erde«, wie es die Deutschen nannten, und rund 27 Millionen Tote zurückgelassen hatte.

Bei Friedrich aber wird das alles auf einen Krieg gegen Deutsche reduziert: »Die Angriffswellen der Lancaster und Boeing 17, ohne Zahl und ohne Schranken, sollten so lange Städte in den Grund versenken, bis keine mehr übrig war. Darum endeten auf den letzten Metern zum Waffenstillstand Freiburg, Heilbronn, Nürnberg, Hildesheim, Würzburg, Mainz, Paderborn, Magdeburg, Halberstadt, Worms, Pforzheim, Trier, Chemnitz, Potsdam, Dresden, Danzig und andere.« Das heißt nichts anderes, als dass die Alliierten zuletzt wahllos bombardiert hätten.

Wenn man die diversen Kriegsberichte alliierter Soldaten liest, so entsteht ein anderes Bild. Durchgehend konnten es die Soldaten und Kriegsberichterstatter nicht fassen, welcher Widerstand ihnen entgegengesetzt wurde. Vor allem aber waren sie irritiert, dass sich die Deutschen für Opfer hielten. Diesen Leuten, die zu einer Revolte nicht fähig waren und sie nicht wollten, sollten die alliierten Truppen, so schlagen es Friedrich, ein Großteil seiner Rezensenten und Bölsche vor, im fairen Bodenkampf begegnen. Sie sollten ihr Leben jenen opfern, die die Befreiung nicht wollten.

Wie die so genannten Debatten um die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges, die doch stets nur Einigkeit demonstrieren, zeigen, ist es den Deutschen bis heute nicht gelungen, sich von ihrem Opferressentiment zu lösen. Sie werden erst Ruhe geben, wenn sie den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben.

Jörg Friedrich: Der Brand – Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945. Propyläen Verlag, Berlin 2002, 592 S., 25 Euro