Wotans Kapellen

Für den Verlag ist »Lords of Chaos« ein Sachbuch. Auch in vielen Rezensionen spielt der rechtsextreme Hintergrund eines der Autoren kaum eine Rolle. von andreas speit

Ist’s Blendwerk bloß, was ich erblicke? Oder ist’s die Heimkehr der Helden?« Nicht ohne ironischen Unterton zitiert Michael Moynihan aus der Edda. Das Zitat findet sich in dem von ihm und Didrik Søderlind geschriebenen Buch: »Lords of Chaos – Satanischer Metal: Der Blutige Aufstieg aus dem Untergrund«. Die Frage aus den altnordischen Götterliedern stellte sich Moynihan hoffnungsvoll im Hinblick auf die norwegische Black-Metal-Szene. Der US-amerikanische Rechtsextremist, der mit seiner Band Blood Axis den Faschismus wieder beleben will und Beiträge für neonazistische Zeitschriften wie Plexus – A National Socialist Theoretical Journal verfasste, sieht bei den Black Metalern aus dem »hohen Norden« eine »Verbindung zwischen altnordischem Heidentum und modernem musikalischen Extremismus«.

Er sei nach Norwegen gefahren, weil er dieser Szene eine »Unmenge an Bedeutung« zugeschrieben habe, sagte Body Rice, der avantgardistische Industrial-Musiker und bekennende »soziale Darwinist«, 1998 anlässlich der Erstveröffentlichung des Buches in den USA über Moynihan. »Als er mit mir zusammen lebte, hat er mir immer Black-Metal-Platten vorgespielt.« Er habe Moynihan indes immer wieder gesagt: »Das ist Scheiße.« Aber Moynihan »beharrte darauf, dass es wirklich groß und wichtig sei«. »Also fuhr er nach Norwegen«, erzählte Rice weiter, »und rate mal, was er gesagt hat, als er zurückkam: ›Diese Leute sind dumm, das sind Schwachköpfe.‹«

Diese Spannung zwischen der Freude und der Enttäuschung Moynihans über die Black Metaler in Skandinavien, die ihre »Kraft aus den heidnischen Kulten von einst« zögen und »einen Kampf fortführen, der vor 1 000 Jahren, als das Christentum Europa überrannte, begann«, spiegelt sich in dem Ende des vergangenen Jahres in deutscher Übersetzung erschienen Buch wider.

Ausgehend von den vereinzelten antichristlichen und misanthropischen Elementen der Rockmusik der sechziger und siebziger Jahre, beschreiben die Autoren den »blutigen Aufstieg« des Black Metal aus dem Punk und dem Heavy Metal. Nach Moynihan machten erst die nordischen Bands das Image zur Botschaft. Schon Ende der achtziger Jahre habe die schwedische Band Bathory sich vom reinen Symbolismus gelöst und sich zur Inspiration dem »heidnischen, mythologischen Vermächtnis ihrer eigenen Vorväter« zugewandt, aber erst später sei das »Verwenden archetypischer Quellen für die kommende Generation des Black Metal« bestimmend geworden.

Mit der norwegischen Band Mayhem sei aus dem Spaß Ernst geworden. 1991 erschoss sich deren todessehnsüchtiger Sänger Per Ohlin. Die Bandmitglieder fotografierten die Leiche, bastelten aus den Splittern der Schädelknochen Halsketten und kochten aus den Hirnstücken Gulasch. Ohlins Tod wurde idenditätsstiftend für die Szene.

Der Bandleader Oystein Aarseth alias Euronymus eröffnete den Laden Helvete, im dem alle Akteure des Black Metal zusammenkamen. Dort traf auch Varg Vikernes, der als Count Grishnackh die Band Burzum anführte, auf Euronymus und sie freundeten sich an. In der Umgebung des Duos gingen Dutzende von Kirchen in Flammen auf, und aus dem Satanisten Vikernes wurde ein »Wikinger« und Neonazi. Am Ende tötete er seinen Mitstreiter. Seit 1993 verbüßt er eine Haftstrafe von 21 Jahren.

Aber nicht nur Vikernes Entwicklung zum heidnischen Nazi interessiert die Autoren von »Lords of Chaos«. Auch der wegen Mordes verurteilte deutsche Musiker Henrik Möbius von der Band Absurd begeistert sie. Ob die germanische Mythologie oder der esoterische Hitlerismus die Inspiration für diese Black Metaler sei und ob sie sich als Nazis verstünden, diskutieren die Autoren ausführlich.

Mit diesen Themen arbeitet auch Moynihans Band Blood Axis, deren Logo, das Krukenreuz, an die »Ariosophie« eines Lanz von Liebenfels erinnern soll. In den Liedern tauchen Samples von Adolf Hitlers Reden auf. Moynihan verlegt auch Bücher des SS-Mystikers Karl Maria Willigut und des US-amerikanischen Neonazis James Mason. Zudem erwarb er die Rechte an dem Werk »Menschen inmitten von Ruinen« des italienischen Faschisten Julius Evola.

In »Lords of Chaos« werden die nordischen Black Metaler mit ihrer »heidnischen Kosmologie« völlig unkritisch behandelt. Im Rekurs auf Gerhard Petak alias Kadmon, der nicht als rechter Künstler, sondern als Okkultismusforscher bezeichnet wird, wird auch Carl Gustav Jungs Archetypenlehre vorgestellt. Jungs Ansicht, die Nazibewegung von 1936 sei die Wiederkehr der archetypischen Figur Wotans, wird nicht kritisiert. Stattdessen sehen die Autoren den von Jung halluzinierten Archetypus in der norwegischen Black-Metal-Szene wieder erstehen. Nur in dieser Szene habe sich dieser ästhetische Atavismus entwickeln können.

Die politische Einstellung Moynihans verschweigt der Verlag Prophecy Produktion. Im Klappentext des Buches wird Moynihan als »umstrittene Person« vorgestellt. Christoph Dzur, der Pressesprecher des Verlages, betont, »dass es ganz wichtig ist, Kunst und Künstler zu trennen«. Etwaiger Kritik versucht der Verlag zuvorzukommen, indem er darauf hinweist, dass »Autoren und Verlag« sich von den »menschenverachtenden« Aussagen in den Interviews und Zitaten distanzieren. »Lords of Chaos« verstehe sich als ein »Sachbuch, nicht als Verherrlichung«. Doch auch dass die Autoren rechten Darkwavern wie Stephan Pockrandt und Neonazis wie Eric Owens danken, lässt Skepsis aufkommen.

Die Musikzeitschrift Spex bezeichnete das Buch bei seiner Erstveröffentlichung als »ein neues Musikgeschichtswunderwerk«. Nur wenige Rezensenten wiesen anlässlich der deutschen Überarbeitung auf Moynihans rechtsextremen Hintergrund hin. Auch das nihilistisch-heroische Resümee des Buches irritiert weder die taz noch das wom-journal.

»Die Kräfte der Geldwirtschaft und des Materialismus versuchen«, die »Kohle des Feuers« auszutreten, heißt es am Ende des Buches. Wer wird wohl mit den »Kräften der Geldwirtschaft« gemeint sein? Und wer mit der »Kohle des Feuers«? »Der einzelne rebellische Funke« glühe aber »um so heller«.

Michael Moynihan/Dirk Søderlind: Lords of Chaos – Satanischer Metal: Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund. Prophecy Verlag, Zelting-Rachtig 2002, 413 S., 20 Euro