Eine Soap auf dem Kiez

Der FC St. Pauli begeistert derzeit nicht mit Fußball, sondern mit Herz-, Schmerz- und Kommerzskandalen. Trotzdem gilt er noch als etwas anderer Club. von rené martens

Sex, Crime und andere Elemente aus Soap Operas sind auch im Fußballgeschäft längst keine ungewöhnlichen Faktoren mehr, aber selten waren sie derart dominant wie derzeit beim abstiegsbedrohten Zweitligaklub FC St. Pauli.

Zu verdanken ist das alles einer zwei Jahre lang waltenden Machtclique, die im November bei der Wahl des Aufsichtsrats eine schwere Niederlage erlitt und kurz darauf erleben musste, dass der neue Präsident Corny Littmann (Jungle World, 4/03) mit der Geschäftsführerin Tatjana Groeteke und dem hauptamtlichen Vizepräsidenten Christian Pothe gleich zwei Schlüsselfiguren abservierte.

Ausgerechnet der FC St. Pauli, klagen Fußballfans, für die der Club immer noch ein Gegenmodell zum Corporate Football verkörpert. Gewiss, St. Pauli hat vielen Fans den Marsch in die Institution Verein ermöglicht, die Supporter haben darüber hinaus ein vergleichsweise großes Mitspracherecht.

Gewiss ist aber auch, all jene, denen diese Andersartigkeit so wichtig ist, haben nicht verhindern können, dass die Geschicke des Vereins und seiner Tochtergesellschaften zwischen dem Herbst 2000 und dem Herbst 2002 von einigen wenigen Rechtsanwälten und Geschäftsleuten bestimmt wurden, die vorrangig »ihre eigenen Interessen« (Littmann) im Sinn hatten.

Die derzeitige Hauptdarstellerin in der Soap vom Kiez ist die geschasste Geschäftsführerin Groeteke. Anfang Januar behauptete sie vor dem Arbeitsgericht Hamburg, der Verein und seine Vermarktungstochter führten schwarze Kassen und wickelten Beschäftigungsverhältnisse auf illegale Weise ab. Zugleich reicherte sie die juristische Auseinandersetzung an, indem sie einen drei Jahre alten Zettel präsentierte, der ein Verhältnis mit dem Manager Stephan Beutel dokumentieren sollte, welches die bestens informierte Presse schon vorher genüsslich kolportierte.

Die vom Verein eingeleiteten Recherchen über schwarze Kassen ergaben dann aber bloß, dass seit dem Herbst 2000 rund 1 500 Euro, unter anderem Einnahmen aus einem Fanartikel-Flohmarkt, nicht ordnungsgemäß verbucht wurden, und es bei der Bezahlung von studentischen Aushilfskräften Unregelmäßigkeiten in der Dimension zwischen 3 000 und 5 000 Euro gab. Kaum der Rede wert, da der Verein im vergangenen Jahr 15 Millionen Euro umsetzte.

Der wahre Skandal der jüngeren Vergangenheit ist schon längst wieder vergessen. Mitte November hatten die Hamburger Ausgabe der taz und die Frankfurter Rundschau aufgedeckt, dass die unter anderem aus der TV-Vermarktung und Sponsorengeldern erzielten Einnahmen der FC St. Pauli Vermarktungs GmbH und Co. KG, die der Verein im Herbst 2000 gemeinsam mit der Sportmarketingagentur upsolut gegründet hatte, nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil beim Verein landen.

Als Profiteure dieses Deals gelten die Mitglieder des vereinsintern so genannten Paulick-Clans. Der Rechtsanwalt Otto Paulick musste 1990 als Präsident abtreten, nachdem das Hamburger Landgericht über die eigenwillige Art seiner Vereinsführung geurteilt hatte, was ihn allerdings nicht davon abhielt, auch fortan an vielen Strippen zu ziehen. Paulicks Sohn Peter, Mitglied in der Kanzlei seines Vaters, fungierte in den letzten beiden Jahren als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, und er ist weiterhin Aufsichtsratschef bei der befreundeten upsolut AG, die zu einem Drittel seinem Schwager Michael Hinz gehört.

Damit nicht genug. Der mittlerweile entmachtete Vizepräsident Christian Pothe stand verschiedenen Tochtergesellschaften des Vereins vor, zuvor war er als Anwalt bei den Paulicks tätig gewesen. Diesem Zirkel gehörte bisher auch Groeteke an, die ursprünglich zur linken Fangruppierung Agim (Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder) gehörte, dank ihres Seitenwechsels aber zwischenzeitlich sogar zur Präsidentschaftskandidatin der Bild-Zeitung aufstieg. Groeteke sei im Herbst 2000 nur deshalb als Geschäftsführerin eingesetzt worden, damit sie den mächtigen Herren »die Zecken vom Leib hält«, sagt ein ehemaliges Aufsichtsratsmitglied heute.

Groetekes Rachsucht richtet sich nun vor allem gegen ihren vermeintlichen Exlover Beutel, den Feind der gesamten alten Nomenklatura. Der Mann beging einige Fehler in der Transferpolitik, aber Littmann und die meisten Aufsichtsratsmitglieder halten ihn für unentbehrlich beim Umbau des FC St. Pauli zu einem halbwegs seriösen Club.

Maßgeblich für die Entwicklung der St.-Pauli-Soap waren die Hamburger Zeitungen. Ob Bild, Hamburger Abendblatt oder Hamburger Morgenpost, alle sind mit den alten Machthabern verbandelt und schreiben seit Monaten immer neue, oft ins Klamaukhafte abdriftende Horrorepisoden, die der anderen Seite, nennen wir sie die Beutel-Fraktion, schaden sollen. Ausgeheckt werden die Kampagnen unter anderem in einem mexikanischen Restaurant in Hamburg-Ottensen, wo der Klüngel aus Juristen und Journalisten gern zusammenhockt.

Den Crime-Faktor steuerten schließlich einige bisher unbekannte Diebe bei. Im Zuge der Recherchen über schwarze Kassen hatten die Verantwortlichen Einblick in die Protokolle von Präsidiumssitzungen nehmen wollen, doch die meisten Papiere aus der Zeit zwischen dem November 2000 und dem Februar 2002 waren gestohlen worden, wohl bei einem Einbruch in die Geschäftsstelle am 24. Dezember. Präsident Littmann glaubt, dass sie »als erstes in der Presse auftauchen«.

Objektiv betrachtet ist der FC St. Pauli in seiner Geschichte allerdings schon in fataleren Situationen gewesen. Etwa in der Saison 1979/1980, als es einem Wunder gleichkam, dass der Verein nicht völlig verschwand. Nachdem zwei durchgeknallte Gauner, die den Club seinerzeit führten, dazu beitrugen, dass die Schulden auf 2,7 Millionen Mark angewachsen waren, entzog der DFB dem FC völlig zu Recht die Lizenz. Einige Firmen forderten aus Furcht vor Imageschäden sogar, ihre Bandenwerbung im Stadion müsse abgeschraubt werden. »Wenn damals alle Gläubiger Mahnverfahren durchgezogen hätten, wäre es aus gewesen«, sagt Wolfgang Kreikenbohm, der den Verein zwischen 1979 und 1982 führte. »Was wir gemacht haben, bewegte sich am Rande der Konkursverschleppung.«

Ähnlich schlecht war es um den Ruf bestellt, als 1990 der schon erwähnte Otto Paulick vor dem Landgericht Hamburg gegen einen ehemaligen Vizepräsidenten den Kürzeren zog. Dieser durfte fortan behaupten, Paulick habe als Präsident Bilanzen gefälscht und dem Verein Geld entzogen. Im Zuge des Verfahrens wurde deutlich, dass Paulick, wie das damals noch kritische Abendblatt schrieb, ein »Chaos« herbeiführte, »das es schwer machte, Einnahmen und Ausgaben zu kontrollieren«.

Ausgerechnet in der Zeit, als Paulick vor Gericht stand – das Verfahren hatte bereits 1988 begonnen –, entwickelte sich der Mythos vom irgendwie linken, allemal etwas anderen Club. Die durch Punkrock, Hausbesetzungen oder K-Gruppenvergangenheit Sozialisierten, die sich dem Verein damals gerade zuwandten, hätten eigentlich sofort wieder das Weite suchen müssen. Taten sie aber nicht.

So gesehen basierte der Mythos von vornherein auf Verdrängung und Selbstbetrug. Man kann aber auch den Standpunkt vertreten, dass dieser Mythos in einer Art Parallelwelt entstand und nie in irgendeinem Bezug zu den handelnden Personen des Clubs stand. Insofern würde eben auch die aktuelle Entwickung den Mythos nicht beschädigen.

Ob der Klub in diesem Jahr zur Ruhe kommt? Die alten Machthaber werden noch mit viel formaljuristischem Firlefanz aufwarten, um Stimmung gegen ihre Nachfolger zu machen, und die Fraktion um Beutel und Littmann wird möglicherweise nicht umhinkönnen, mehrere noch nicht dokumentierte Begebenheiten aus den vergangenen Tagen ans Licht zu bringen.

Sollte allerdings die Mannschaft am Freitagabend gegen Eintracht Frankfurt eine Aufholjagd starten, könnte das Interesse auch mal wieder dem Fußball gelten.