Viel Rauch
ums Rauchen

Zigarettenschmuggel in Europa von melis vardar

Eine der zentralen Aufgaben des bürgerlichen Staates besteht darin – notfalls über die Interessen einzelner Kapitalfraktionen hinweg –, die Reproduktionsbedingungen der Kapitalakkumulation zu gewährleisten. Das Rauchen aber schadet der Ware Arbeitskraft und belastet die Krankenkassen. Vielleicht gehen deshalb fast alle westlichen Staaten gegen die Tabakindustrie vor, vielleicht passt das Rauchen auch nicht zum leistungs- und gesundheitsbetonten Zeitgeist. Auf jeden Fall geht’s der Branche an den Kragen. Jüngst beschloss die EU-Kommission, die Werbung für Tabakprodukte zu verbieten. Und in den letzten Jahren wurde fast überall die Tabaksteuer immer wieder erhöht.

Da man Abhängigen viel zumuten kann, rechnet sich das. Im Jahr 2001 beliefen sich in Deutschland die Einnahmen aus der Tabaksteuer auf 12,1 Milliarden Euro. Nach der Mineralölsteuer war sie damit die einträglichste spezielle Verbrauchssteuer. 20 Zigaretten der gängigen Preisklasse kosten hier 3,16 Euro, davon fließen 2,44 Euro als Tabak- und Mehrwertsteuer in die Staatskasse. In Großbritannien verdient der Staat 5,64 der 7,01 Euro, die die Käufer im Laden bezahlen.

Großbritannien aber ist auch der EU-Staat, wo der Schmuggelhandel am stärksten gedeiht. Bei Geschäften in so großem Umfang liegt der Verdacht nahe, dass die Ware nicht vom LKW fällt, sondern die Hersteller selbst beteiligt sind. Der Trick ist einfach: Große Mengen werden unversteuert nach Osteuropa exportiert, von dort geht es über die grüne Grenze nach Deutschland.

Hierzulande konzentriert sich der Verdacht auf den Reemtsma-Konzern (»West«). In der vergangenen Woche wurde die Hamburger Konzernzentrale durchsucht, die Vorwürfe lauten Schmuggel und Geldwäsche. So soll der Konzern in die russische Enklave Kaliningrad mit einer knappen halben Million Einwohnern, wo der Konzern einen bescheidenen Marktanteil hält, Milliarden Zigaretten geliefert haben. Scheinexporte, vermuten die Ermittler. Zudem soll Reemtsma unter Verstoß gegen die UN-Sanktionen in den Irak exportiert haben.

Auch US-amerikanische Konzerne stehen im Verdacht, illegale Geschäfte zu betreiben. Seit Ende des Jahres 2000 klagt die EU-Kommission vor US-amerikanischen Gerichten gegen Philip Morris (»Marlboro«) und Reynolds (»Camel«) und fordert Schadensersatz für entgangene Zolleinnahmen. Zwar sind die Versuche bislang gescheitert, aber immerhin wies in der letzten Woche der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Klage der Konzerne zurück, die erreichen wollten, dass das Gericht die Klagen der Kommission in den USA für nichtig erklärt.

Jenseits von Konzernen, Mafia und Finanzbehörden hat das Ganze auch eine lebensnahe Ebene. Noch vor einigen Jahren wurden, insbesondere in Berlin, die Schmuggelzigaretten offen auf der Straße verkauft. Hauptsächlich waren es Vietnamesen, die den Verkauf besorgten. Und allein schon deshalb, weil ein Dutzend deutscher TV-Kommissare im Fernsehen sowie Manfred Kanther und die Neonazis in der Realität gegen sie vorgingen, war es nicht nur günstiger, beim Vietnamesen in der U-Bahn zu kaufen. Geboten war auch die politische Solidarität mit den Angefeindeten.

Inzwischen läuft der Vertrieb über das Internet oder in Bars. Das ist zwar nicht unbedingt ein Thema für antirassistische Kampagnen, politisch ist der Kauf billiger Zigaretten aber schon. In Zeiten, wo die Staatsknete knapp ist und halbwegs gut bezahlte Jobs rar sind, gilt es, die Dinge des täglichen Bedarfs zu organisieren. Und was wäre wichtiger als was zu rauchen?