18 Jahre und drei Stunden

Geburtstagsgala der Goldenen Zitronen in Berlin

Die Tour zum 18. Geburtstag der Goldenen Zitronen musste im November 2002 wegen einer Verletzung von Ted Gaier unterbrochen werden. Doch nun konnte die Band die Feierlichkeiten wieder aufnehmen. Und das SO 36 in Berlin-Kreuzberg war dann auch brechend voll, als die Zitronen dort in der letzten Woche ihr Konzert gaben.

Im Abendkleid und in der Sektenkutte, verkleidet als Bauingenieur oder als Napoleon, so huschten die »Beatles aus Hamburg« (Anmoderation) auf die Bühne und bezauberten allein schon optisch. Droht offensives Crossdressing in linken Kreisen gelegentlich zum bloßen Aushängeschild für Genderbewusstsein zu werden, definierte Schorsch Kamerun mit seinem todschicken Turnschuh-und-Glitzerkleid-Outfit den Style innerhalb des Punkrocks mal wieder komplett neu.

Die »Goldies« zeigten von Anfang an, dass sie im Zentrum einer weit verzweigten Community stehen. Die Gäste des Abends, allesamt WeggefährtInnen aus 18 Jahren Bandgeschichte, kamen und gingen, nahmen bald dieses, bald jenes Instrument zur Hand und wurden zum selbstverständlichen Teil der gesamten Show. Und so wogte das Konzert zwischen fast zärtlichen Duetten mit der ehemaligen Bandgenossin Nixe und hoch aufgeladenen Rocknummern mit Peaches hin und her. Videoeinspielungen und Soloeinlagen ermöglichten der Band immer wieder Verschnaufpausen, und sogar Zauberer Manuel Muerte legte drei Kurzauftritte hin.

Dann fiel das Zauberwort: »Bambule«. Es ging um die Proteste nach der jüngsten Wagenburgräumung in Hamburg. Kristof Schreuf von der Band Brüllen kommentierte das Gruppenbild auf einem Foto, das bereits in der Jungle World erschienen war und auf dem Ted Gaier, Irmgard Möller und der Transparent-Slogan »Regierung stürzen« zu sehen sind. Braucht es mehr, um zu wissen, was diese Leute so vorhaben?

Gespielt wurden fast alle Hits, von den Funpunk-Hymnen der frühen Jahre bis zu den Interventionssongs der Neunziger. Einen Hit klammerte die Band allerdings aus, und daran konnten auch die ewigen Rufe aus dem Publikum nichts ändern: »Für immer Punk«. »Warum brüllt das Publikum die ganze Zeit die Band an?«, fragte Schorsch Kamerun mit gespielter Irritation. Elegant bremste er einen Rufer später endgültig aus: »Da hab’ ich nichts dagegen, bleib’ doch einfach für immer Punk.«

Derartige Souveränität bewährte sich auch im Umgang mit einem auf die Bühne gekletterten, geschminkten Gast aus dem Publikum. »Ich mag eigentlich Pantomimen überhaupt nicht«, stellte Gaier nach dessen Tanzeinlage fest: »Früher wollten wir die an die Wand stellen.« Kaum war der Mann nach einer höflichen Verabschiedung durch Kamerun in den Zuschauerbereich zurückgekehrt, gab dieser seinen Gast augenzwinkernd der Hetzjagd preis: »Okay, schnappt ihn Euch!«

Die Zitronen schafften es, eine Kombination aus Glamour und Selbstironie aufzuführen und dreieinhalb Stunden sperrigsten Diskurspogo in die Zuschauergehirne zu hauen. Und nicht einmal der traditionell eher schlechte Sound des SO 36 konnte der intensiven Wirkung etwas anhaben.

arne norden