Ein guter Kunde

Zwei Tote sind für Air France noch lange kein Grund, auf Abschiebungen zu verzichten.

Füße und Hände gefesselt, den Oberkörper auf die Beine gedrückt, so sollten Ricardo Barrientos und Mariame Geto Hagos ihren Abschiebeflug beginnen. Beide erlebten das Abheben des Flugzeugs vom Pariser Flughafen Roissy nicht mehr. Der 52jährige Argentinier Barrientos erlitt einen Herzinfarkt, Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Der 24jährige Somalier Hagos verlor das Bewusstsein und wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er wenige Tage später starb, ohne noch einmal aus dem Koma zu erwachen.

Die beiden Todesfälle ereigneten sich im Abstand von zwei Wochen, Ende Dezember und Mitte Januar. Alain Tourre, der Pressesprecher der Polizei, betont, es gebe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Fällen, schließlich soll es sich bei Barrientos nach Polizeiuntersuchungen um einen »natürlichen Tod« gehandelt haben. Nur im Fall von Hagos wurde eine Untersuchung eingeleitet und die drei an der Abschiebung beteiligten Polizisten wurden bis auf weiteres vom Dienst suspendiert. Der Flughafenarzt, der den Somalier vor dem Abflug zweimal untersuchte und behauptete, er sei reisefähig und würde nur Übelkeit vortäuschen, ist dagegen weiter im Amt.

Innenminister Nicolas Sarkozy, dessen Regierung im Frühjahr einen Entwurf für ein strengeres Asylgesetz vorlegen will, klagte zwei Tage nach Hagos’ Tod in einem Artikel in Le Monde über den drastischen Rückgang der Abschiebungen in den letzten fünf Jahren. Ansonsten heuchelte er viel Verständnis für »das Schicksal von Männern und Frauen, getrieben vom Elend, der verrückten Hoffnung und der Notwendigkeit fortzugehen«. Zum Handeln der Grenzbeamten während der Abschiebungen erklärte er einige Tage später: »Ich werde keinen Ausrutscher dulden, keinerlei Verhalten, das nicht die republikanischen Werte respektiert.«

Hielte sich der Innenminister an seine Worte, wären wohl bald einige französische Polizisten weniger im Dienst. Tourre räumt im Gespräch mit der Jungle World ein, dass die Beamten bei der Abschiebung von Hagos möglicherweise »die Grenze des Erträglichen weit überschritten« haben. Man sei jetzt dabei, sich Gedanken über die Abschiebungsmethoden zu machen und höre sich deswegen auch bei den europäischen Nachbarn um. Die haben tatsächlich Erfahrung damit, insgesamt neun Tote gab es in den letzten zwölf Jahren bei Abschiebungen in Europa.

»Wenn man sich ansieht, wie viel Gewalt bei den Abschiebungen angewendet wird, ist es eigentlich nur erstaunlich, dass es bisher nicht mehr Tote gegeben hat«, sagt Claire Rodier von der Migrantenunterstützungsorganisation Gisti. Hunderte von Aussagen über Gewaltanwendung bei Abschiebungen und im Haftbereich für Personen, denen die Einreise nach Frankreich verweigert wird, hat Gisti in den letzten Jahren gesammelt.

Dazu zählen auch Schikanen wie die, morgens um drei Uhr alle im Flughafenknast Untergebrachten mit lauten Schlägen an die Zimmertür aufzuwecken, um dann einige von ihnen zum Abschiebeflug mitzunehmen. Wer sich wehrt, kann mit Handschellen gefesselt, verprügelt und mit dem Knüppel die Gangway hochgetrieben werden.

Bisweilen stehen auch private Sicherheitskräfte, die bei bestimmten Flugzielen an Bord sind, um die Crew vor Ort zu schützen, den Polizeibeamten tatkräftig zur Seite, um die Abschüblinge im Flugzeug ruhig zu stellen. Wie das aussehen kann, beschrieb ein Steward nach dem Tod von Barrientos: »Seine Füße waren an den Vordersitz gebunden, die Hände in Handschellen, und man hatte eine Decke über ihn gelegt. Die Polizisten haben sich auf ihn gelehnt, um ihn unten zu halten.«

Wer als Transportunternehmen solche Praktiken duldet, macht sich zum Mordkomplizen, so die Auffassung der Gewerkschaft Sud und einiger Menschenrechtsorganisationen, die aus Protest am Donnerstag der vergangenen Woche mit rund hundert Personen ein Büro von Air France in Paris besetzten.

Sie fordern einen sofortigen Stopp aller Abschiebeflüge und eine öffentliche Diskussion über die Vorfälle. Während unter den Flugzeugbesatzungen Geschichten über Menschen kursieren, die sich während des Fluges aus Protest gegen ihre Abschiebung die Adern aufschnitten, werden sie seit Jahren vom noch staatlichen Großunternehmen verschwiegen.

Auch was die beiden jüngsten Todesfälle betrifft, zeigt man sich zwar betrübt, aber eben doch unschuldig. »Die Plätze werden von Beamten des Innenministeriums reserviert, es geht uns nichts an, wer bei uns mitfliegt«, erklärt Jean-Claude Couturier, ein Pressesprecher von Air France der Jungle World. »Das Innenministerium ist unser Kunde, und das Handelsrecht erlaubt es uns nicht, einen Verkauf abzulehnen, weil uns der Kunde nicht passt.«

Zu diesem Kunden bestehen allerdings ganz besondere Verbindungen, wie Pierre Contessenne von der Gewerkschaft Sud erfuhr, als er einen der Direktoren von Air France auf die Abschiebepraktiken ansprach. »Er hat mich angebrüllt, wie ich es mir erlauben könne, Polizeikräfte zu kritisieren. Da habe ich ihn gefragt, ob er eigentlich für Air France arbeitet oder für das Innenministerium.«

Dennoch ist die Forderung nach einem Stopp der Abschiebeflüge nicht völlig aussichtslos. 1998 stellte Air France nach Demonstrationen und Protesten von Passagieren alle Abschiebungen nach Mali ein. Drei Wochen lang verweigerte Air France der Regierung die Zusammenarbeit, bis sie die geforderten Vorsichtsmaßnahmen in einem Abkommen detailliert regelte.

Seither können nur noch drei Personen mit dem gleichen Flug abgeschoben werden, sie müssen im hinteren Teil des Flugzeugs platziert werden, und der Flugkapitän muss zwei Stunden vor dem Abflug über die besonderen Fluggäste informiert werden.

An diesem Punkt setzt die linke Pilotengewerkschaft Alter an, wenn sie die Piloten auffordert, sich bei den Abschüblingen zu erkundigen, ob sie der Rückführung zustimmen. Sollten diese verneinen, kann der Flugkapitän mit Hinweis auf die Gefährdung der Flugsicherheit den Transport ablehnen.

Der Flugkapitän Yves Decamps hat aber schon erlebt, dass diese Nachfragen nicht erwünscht sind. »Als ich mich weigerte, drei Passagiere nach Casablanca mitzunehmen, hat der Grenzbeamte, der sie begleitete, ein Riesentheater gemacht, mir erklärt, was meine Weigerung den französischen Staat kosten würde, und von mir eine schriftliche Erklärung verlangt.« Erst als Decamps mit dem Beamten zum Flughafenkommissariat ging und dort seine Erklärung abgab, konnte er losfliegen. Anderthalb Stunden später als vorgesehen.

Kaum anzunehmen, dass viele Piloten den Ärger mit den Passagieren auf sich nehmen und einem übereifrigen Grenzbeamten widerstehen. Von dem Flugkapitän, der am 30. Dezember die Maschine steuerte, mit der Barrientos nach Buenos Aires gebracht werden sollte, ist bekannt, dass er über die Verzögerung äußerst verärgert war. Schließlich war auch seine Familie an Bord, auf dem Weg zur Silvesterfeier in Argentinien.