Nur eine Schlägerei

In Erfurt wurde ein Mann offenbar von Rechtsextremen zu Tode geprügelt. Die Polizei sieht keinen politischen Hintergrund der Tat. von jan süselbeck

Ob es eine Schlägerei zwischen Linken und Rechten war, konnte die Polizei nicht bestätigen.« Diese rätselhafte »Schlägerei«, von der die Thüringer Landeszeitung in der vorigen Woche berichtete, fand am 25. Januar im Erfurter Stadtteil Nord in der Nähe einer Wohngemeinschaft von Punkern statt. Zwei Tage später starb ein 48jähriger Mann im Erfurter Krankenhaus an den schweren inneren Verletzungen, die ihm offenbar von Angreifern aus der rechten Szene zugefügt worden waren.

Der Verlauf der Ereignisse an jenem Abend ist bisher nicht vollständig aufgeklärt. Die Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen (Abad), die sich um die Opfer des Übergriffs kümmert, schilderte das Geschehen in der Erfurter Triftstraße bzw. das, was darüber bekannt ist, in einer Pressemitteilung.

Zunächst sei es zu einem Wortgefecht zwischen rechten Jugendlichen und den Gästen einer Party in der Wohngemeinschaft der Punks gekommen. »Im Anschluss daran verlagerte sich das Geschehen auf die Straße vor einer Gaststätte«, schrieb die Abad. Unklar sei noch, woher plötzlich die rechtsextremen Angreifer gekommen seien. Sie hätten mit unglaublicher Brutalität auf ihre Opfer eingeschlagen.

Drei der Partygäste mussten mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Dort erlag der 48jährige Mann später seinen Verletzungen. Ein 25jähriger befand sich Ende der vergangenen Woche noch immer im Krankenhaus, er schwebte aber nicht in Lebensgefahr.

Rahel Krückels von Abad sagte, die Opfer hätten die Angreifer eindeutig als Skinheads erkannt. In der Nähe der Wohngemeinschaft gebe es zudem einen von Punks besuchten Jugendclub, der schon öfter das Ziel rechtsextremer Angriffe gewesen sei.

Die Antifagruppe Yafago und die Antifascist Youth Erfurt erklärten in der vorigen Woche: »Dieser Übergriff war offensichtlich politisch motiviert. Die Opfer waren eindeutig als links erkennbare Punker, die Angreifer bewaffnete Neonazis, wie aus dem Umkreis der Opfer zu erfahren war. Dieser Vorfall lässt sich nicht auf eine Kneipenschlägerei reduzieren.«

Das sieht die örtliche Polizei bislang anders. »Von einem politischen Anlass gehen wir nach unseren derzeitigen Erkenntnissen überhaupt nicht aus«, sagte der Polizeioberrat Detlev Schum. Der Oberkommissar der Erfurter Einsatzzentrale, Steffen Rau, meinte, »zwei Gruppierungen« hätten sich bei dem Vorfall »faktisch« gegenübergestanden, politische Gründe für die Auseinandersetzung halte er aber für »rein hypothetisch«. Eine Sonderkommission prüfe mittlerweile die Vorfälle.

Die Thüringer Allgemeine berichtete, dass es bereits zu vorübergehenden Festnahmen von Verdächtigen gekommen sei. Diese seien inzwischen wieder auf freiem Fuß. Krückels behauptete, es habe auch eine Gegenüberstellung mit den Opfern gegeben, die jedoch zu keinem Ergebnis geführt habe.

Wohl als Reaktion auf die »Prügelei« mit Todesfolge verwüsteten Unbekannte in der Nacht nach dem Mord den Tattoo-Laden »Mjölnir«, was auf altgermanisch »Thors Hammer« heißt, und die Erfurter Landesgeschäftsstelle des Bundes der Vertriebenen (BdV). Die Schaufenster des als Neonazi-Treffpunkt verdächtigten Tattoo-Studios wurden mit Pflastersteinen eingeworfen. Durch die Fenster der Landesgeschäftsstelle des BdV flogen verschiedene Gegenstände, sodass ein Teil der Büroausstattung zu Bruch ging. »Es sah aus wie nach einem Bombenangriff«, sagte Monika Heim vom BdV nach der Besichtigung ihres beschädigten Büros.

»Elf Verdächtige im Alter zwischen 15 und 30 Jahren wurden in der Altstadt in Tatortnähe festgenommen«, erklärte Schum. Die festgenommenen Autonomen bestreiten jedoch, etwas mit der Sachbeschädigung zu tun zu haben. Volker Küster von der Kriminalpolizei Erfurt geht davon aus, dass beide Zerstörungen von derselben Tätergruppe verübt worden seien. Für einen Zusammenhang mit dem Mord vom Vortag gebe es zwar keinen konkreten Hinweis, man werde das aber prüfen.

Das »Mjölnir« gehöre dem »stadtbekannten Neonazi Jens Finger«, behaupteten Yafago und die Antifascist Youth Erfurt in ihrer Pressemitteilung. Finger saß noch bis vor kurzem wegen versuchten Totschlags im Gefängnis. Nun träfen sich regelmässig militante Faschisten in seinem Laden.

Der Bund der Vertriebenen stehe beispielhaft für die Verankerung rechtsextremer Ideologie in der Mitte der Gesellschaft. Die Antifas bewerteten den Angriff auf die beiden Räumlichkeiten »als wütende Antwort auf das neuerliche Aufflammen faschistischer Gewalt in Erfurt«.

Auch die Abad verwies auf die rechten Aktivitäten in der Region. »Annähernd wöchentlich kommt es in Thüringen zu schweren körperlichen Angriffen von rechtsextremen Tätern, die in der Regel nicht bekannt werden. Das gesellschaftliche Schweigen über diese Angriffe erschwert einen offensiven Umgang mit dem latenten und dem gewaltförmigen Rechtsextremismus.«

Vor knapp drei Jahren erregten die Erfurter Naziszene, aber auch die örtliche Polizei schon einmal überregionales Aufsehen. Am 20. April des Jahres 2000, am Tag des Geburtstages von Adolf Hitler, verübten Rechtsextreme einen Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt. Nachbarn entdeckten damals den Brand und löschten ihn.

Die Täter hinterließen ein Bekennerschreiben, das mit dem Namen »Die Scheitelträger« unterzeichnet war. Da mit diesem Begriff Linke oftmals Rechtsextreme bezeichneten, spekulierten die Erfurter Ermittler anfangs, Autonome hätten die Tat begangen. Ein Vierteljahr später aber wurden zwei 17 bzw. 18 Jahre alte Männer, die Mitglieder des Bundes Deutscher Patrioten waren, der Tat überführt und wegen versuchter schwerer Brandstiftung zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Am vergangenen Freitag demonstrierten etwa 300 Menschen in Erfurt gegen rechtsextreme Gewalt und gedachten des Toten.