Patriotisch ins Desaster

Das von Frankreich vermittelte Friedensabkommen in der Côte d’Ivoire ist gescheitert. Nationalistische Hardliner der Regierung lehnen Kompromisse mit den Rebellen ab. von ruben eberlein

Selten schlug das, was eine Demonstration der Stärke und des Einflusses französischer Außenpolitik in Afrika werden sollte, in so kurzer Zeit in ein Debakel um. Am 24. Januar handelten in Marcoussis bei Paris auf Druck der ehemaligen Kolonialmacht Vertreter der Regierung Côte d’Ivoires, der Oppositionspartei und dreier Rebellengruppen einen Friedensvertrag aus. Am vergangenen Freitag belagerten tausende Demonstranten den Flughafen von Abidjan, belästigten aus dem Land flüchtende Franzosen und verhinderten die Einreise des designierten neuen Premierministers Seydou Diarra.

Das Abkommen sollte die faktische Teilung der Côte d’Ivoire nach einem gescheiterten Putsch im Oktober 2002 überwinden (Jungle World, 42/02, 5/03). Vorgesehen war zunächst die Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit«, Vertretern der Rebellen wurden angeblich die Ressorts Verteidigung und Inneres zugebilligt. Doch bereits zwei Tage später zeigte sich, dass die Vereinbarung scheitern muss. Die Armeespitze lehnte eine Machtteilung ab, der amtierende Innenminister bezeichnete das Abkommen als »null und nichtig«. Nach militanten Protesten von Anhängern der regierenden FPI beeilte sich Präsident Laurent Gbagbo, die Vereinbarungen seiner Basis als bloße »Vorschläge« zu verkaufen.

Die Wut der jugendlichen Demonstranten richtet sich vor allem gegen Frankreich, ehemalige Kolonialmacht und wichtigster Wirtschaftspartner des westafrikanischen Landes. Sie belagerten über Tage mit Duldung der ivoirischen Polizei die Botschaft Frankreichs, ein Kulturzentrum, eine Militärbasis, Geschäfte und Schulen. Französische Soldaten antworteten auf die von den jeunes patriotes (junge Patrioten) organisierten Ausschreitungen mit Blendgranaten, Wasserwerfern und Tränengas. Ende vergangener Woche empfahl Frankreich seinen 15 000 Staatsangehörigen die umgehende Ausreise aus der Côte d’Ivoire.

Im Zuge der Proteste, die Frankreichs Vermittlungen als neokolonialistische Einmischung zurückwiesen, kam es zu einer erneuten Welle der nationalistischen Mobilmachung gegen Zuwanderer aus den Nachbarländern. Wie die BBC berichtete, skandierte ein Teil der vor der französischen Botschaft versammelten Menge: »Wir sind Fremdenhasser, na und?« In den Slums von Abidjan brannten derweil nach Informationen der UN-Nachrichtenagentur Irin »bewaffnete Männer in Uniform« wieder einmal die Unterkünfte von vermeintlichen Immigranten nieder. In der nördlich von Abidjan gelegenen Kleinstadt Agboville kamen bei Ausschreitungen zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung 15 Menschen ums Leben.

Etwa ein Drittel der 16 Millionen Einwohner der Côte d’Ivoire gilt als Ausländer. Viele wurden während des Wirtschaftsbooms der siebziger Jahre aus den ärmeren Nachbarstaaten ins Land geholt, andere Familien leben seit mehreren Generationen von der Plantagenarbeit. Zwischen 1975 und 2000 verdoppelte sich die Bevölkerung des Landes, dessen Wirtschaftskraft in dieser Gegend nur von Nigeria überboten wird. Im Laufe der achtziger Jahre stieß das staatskapitalistische Wirtschaftswunder jedoch an seine Grenzen. Die Weltmarktpreise für Kakao, das wichtigste Produkt der ivoirischen Wirtschaft, fielen stetig, die Auslandsschulden stiegen rapide, die Staatskassen waren geleert, die Realeinkommen sanken zwischen 1986 und 1993 um ein Drittel.

Gleichzeitig verschärften sich in den wirtschaftlichen Zentren des Südens die Ressentiments gegen Zuwanderer aus den Nachbarstaaten und den nördlichen Landesteilen. Die Ausgrenzung von unten, die mit dem Konzept der Ivorité gerechtfertigt werden soll, wurde von den verschiedenen Regimes, die dem Patriarchen Félix Houphouët-Boigny ab 1993 folgten, zur Staatsräson erhoben. Auch die Regierung unter der Führung der FPI von Laurent Gbagbo, seit den manipulierten Wahlen des Jahres 2000 im Amt, legitimiert sich unter ihren Anhängern durch nationalistischen Chauvinismus.

Heute zeigt sich in der Côte d’Ivoire der Nationalismus in seiner reinsten Form als ideologisches Konstrukt, mit dem nach Belieben politische, wirtschaftliche und soziale Rechte entzogen oder zugestanden werden können. Der »richtige« Name und das Aussehen entscheiden über die Möglichkeiten, in den Staatsdienst aufgenommen zu werden, Land zu erwerben oder in einem der vielen Slums von Abidjan eine Hütte zu errichten. Die Ivorité ist sowohl das Instrument des herrschenden Machtkartells, das seine Basis im Süden des Landes hat, als auch das wirtschaftliche Privileg jener, die als vrai ivoirien (wahre Ivorianer) gelten.

Dagegen wenden sich die Rebellen des Mouvement Patriotique de Côte d’Ivoire (MPCI). Unter der Bevölkerung in den besetzten Gebieten des Nordens sind die Sympathien ganz auf ihrer Seite. Die Einwohner von Bouaké oder Korhogo versorgen die Aufständischen und treten der MPCI bei. Etwa drei Viertel der 4 000 bis 6 000 Kämpfer sollen einem Korrespondentenbericht des Magazins Jeune Afrique zufolge neu rekrutierte Zivilisten sein. Unter ihren Kommandeuren finden sich neben meuternden Soldaten, Exilanten und desertierten Armeekommandeuren auch einige ehemalige Aktivisten der Studentenbewegung. Guillaume Kigbafori Soro, Sprecher der MPCI, stand bis 1999 der Studentenvereinigung Fesci vor.

Abgelöst wurde Soro damals von jenem Mann, der sich dieser Tage bei der patriotischen Mobilisierung im Süden besonders hervortut. Charles Blé Goudé agitiert auf den Massenkundgebungen für ein hartes militärisches Vorgehen gegen den Aufstand. Er steht an der Spitze einer der Jugendorganisationen, die zusammen mit der Gendarmerie und Teilen der Armee die Drecksarbeit für die FPI verrichten.

Mit einer substanziellen Kritik der neokolonialistischen Bindungen zwischen Frankreich und der Côte d’Ivoire haben die antifranzösischen Proteste nichts zu tun. Hätte Paris das Kriegsgeheul der Hardliner in Abidjan durch Ignoranz oder stillschweigende Hilfe bestärkt, dann wehte während der Demonstrationen die Trikolore. Doch die französischen Truppen beschränkten sich vorerst auf die Trennung der Kombattanten und Außenminister Dominique de Villepin drängte zu Verhandlungen. Deshalb brannte am Flughafen von Abidjan die französische Flagge, während die Demonstranten unter dem Sternenbanner die USA aufforderten, in den Konflikt einzugreifen.

Die Regierung Frankreichs, deren Militär nach wie vor die entscheidende Stütze der Regierung Gbagbo ist, steht vor einem Dilemma. Einerseits will man den Einfluss auf den wichtigsten Bündnispartner in Westafrika nicht verlieren, andererseits wäre die bedingungslose Unterstützung einer xenophoben Führung nicht zu rechtfertigen. Diese Politik hat in Ruanda vor fast zehn Jahren erst mit den staatlich geplanten und von extremistischen Milizen exekutierten Massenmorden an 800 000 Menschen ein furchtbares Ende gefunden. Damals konnten viele der Mörder unter dem Schutz der französischen Operation Turquoise flüchten.

Der rapide wirtschaftliche und soziale Niedergang einer ganzen Weltregion, der Zusammenbruch des neopatrimonialen Staates und eine extrem militante Jugendkultur lassen eine Art von »Konfliktlösung«, die sich im Verteilen von Regierungsposten erschöpft, zur hilflosen Geste werden. Eine Perspektive jenseits der gesellschaftlichen Fragmentierung, begleitet von den brutalen Machtkämpfen lokaler Kriegsherren, und der Errichtung fragiler internationaler Protektorate wie in Sierra Leone ist zwar dringender denn je gefordert, aber momentan weit und breit nicht in Sicht.