Nora Goldenbogen im Gespräch über das Gedenken in Dresden

»Der Angriff stoppte die Deportationen«

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wurde Dresden von der britischen Royal Air Force bombardiert. In jedem Jahr finden in der Stadt Gedenkveranstaltungen statt, bei denen der deutschen Opfer gedacht wird. Die Verbrechen während des Nationalsozialismus spielen dabei kaum eine Rolle. Nora Goldenbogen ist Historikerin und Mitarbeiterin der Bildungs- und Gedenkstätte für jüdische Geschichte, Hatikva, in Dresden. Mit ihr sprach Kerstin Eschrich.

Verfolgte des NS-Regimes wie beispielsweise Victor Klemperer hatten wegen der Bombardierung von Dresden die Möglichkeit, unterzutauchen und ihr Leben zu retten. Spielt dieser Umstand im Bewusstsein der Dresdner eine Rolle?

Das wird leider nur von einem Teil der Bevölkerung wahrgenommen. Für viele ist das nicht sehr wichtig. Wegen der Bombenangriffe auf Dresden ging der gesamte letzte Deportationstransport nicht mehr ab. Victor Klemperer war von diesem Transport ausgenommen, aber 175 jüdische Bürger waren für den Transport nach Theresienstadt vorgesehen.

Der Zug sollte am 14. beziehungsweise am 16. Februar von Dresden abfahren. Dazu kam es nicht mehr, was für die Juden die Rettung bedeutete. In allen anderen Städten gingen die Deportationen weiter. Für Juden, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene konnte die Bombardierung zwar den Tod bedeuten, häufig aber auch die Befreiung.

Wird am 13. Februar auch daran erinnert, oder geht es nur um die Opfer der britschen Luftangriffe?

Verschiedene Organisationen versuchen jedes Jahr, diese Perspektive in die Feierlichkeiten einzubringen. So organisieren unter anderem der DGB Dresden und Pax Christi eine Parallelveranstaltung zu den offiziellen Gedenkveranstaltungen auf dem Dresdner Altmarkt. Diese Gruppen wollen das Gedenken an die britischen Bombenangriffe auf Dresden am 13. Februar erweitern. Nicht nur an den Bombenkrieg wird erinnert, sondern auch an die Gründe, die zum Angriff führten. In diesem Jahr soll es vor allem um die ehemaligen Zwangsarbeiter in der Stadt gehen.

Spielen diese Aspekte in den offiziellen Gedenkveranstaltungen auch eine Rolle, oder ist es allein Ihre Aufgabe, an die NS-Opfer zu erinnern?

Es ist vor allem unsere Aufgabe. Wir haben es aber auch schon mehrfach geschafft, dass das Thema in den offiziellen Reden eine Rolle spielte. Ich verstehe unsere Aktivitäten vor allem als Alternativveranstaltungen, um die Veranstaltungen nicht so einseitig zu belassen. Wir wollen wenigsten denjenigen, die bei uns vorbeikommen, zeigen, dass es auch noch andere Schicksale gab.

Und wie war es in der DDR, dem Land, das sich offiziell antifaschistisch nannte? Spiegelte sich dieser Anspruch damals im Umgang mit den Gedenkveranstaltungen wieder?

In der DDR gab es auch Gedenkveranstaltungen an diesem Tag. Kränze wurden niedergelegt und es wurde der Toten gedacht. Wobei es allerdings nicht nur um den Bombenkrieg gegen Deutschland ging, sondern um eine generelle Manifestation gegen den Krieg. Das Leid, das der Dresdner Bevölkerung geschehen war, wurde nicht als etwas Einzigartiges dargestellt, sondern es wurde als Folge des Krieges verstanden. Die Ursachen für die Bombardierung, der deutsche Angriffskrieg und die Herrschaft der Nationalsozialisten, wurden nicht ausgeklammert. Zudem wurde bei den Gedenkveranstaltungen die Schuld der deutschen Regierung am Krieg und auch der Anteil der deutschen Bevölkerung daran stärker betont.

Und dabei spielte es keine Rolle, dass die Angriffe von so genannten Imperialisten durchgeführt wurden?

Das Problem war, dass durch die Formel von den »angloamerikanischen Bombenangriffen« die Bombardierung mit dem Imperialismus in Verbindung gebracht wurde. Dazu kam der Vorwurf von den »angloamerikanischen Kriegstreibern«. Damit wurde behauptet, dass deren Politik eine Kontinuität aufweist. Das war damals ganz im Sinne der Blockbildung während des Kalten Krieges. In den achtziger Jahren waren die Gedenkveranstaltungen dann geprägt von den Aktivitäten gegen die Aufstellung der Mittelstreckenraketen und von der Bemühung, etwas gegen das Wettrüsten zu unternehmen.

Wie haben Sie die Veränderungen seit der Wiedervereinigung wahrgenommen?

Die erste Zäsur wurde mit dem Beginn des Wiederaufbaus der Frauenkirche deutlich. Damit fiel der symbolische Ort weg, die Ruine der Kirche, wo die Veranstaltungen vor allem in den achtziger Jahren organisiert worden waren. Jetzt findet dort nicht mehr die zentrale Gedenkfeier statt, sondern nur kleinere Aktionen. Seit Anfang der neunziger Jahre kommen immer mehr organisierte Rechtsextremisten an diesem Tag in die Stadt. Sie stilisieren den Tag zum so genannten Volkstrauertag und behaupten, die Bombardierung sei ein Kriegsverbrechen gewesen.

Gleichzeitig haben sich aber auch Gruppen zusammengefunden, die dieses Datum nicht nur als einen Trauertag verstehen. Sie weisen auch auf das Schicksal der Juden, der Zwangsarbeiter und der Kriegsgefangenen hin, die damals ebenfalls in Dresden lebten.

Was unternimmt die Stadt Dresden, um den Aufmarsch der Neonazis zu unterbinden?

Es wird überhaupt nicht gegen sie vorgegangen. Sie sind zwar nicht in die Veranstaltungen eingebunden, und ich glaube auch nicht, dass viele Dresdner über diese Demonstration begeistert sind. Das Problem ist aber, dass den Rechtsextremen überhaupt ein Platz in der Stadt eingeräumt wurde.

In den vergangenen Jahren ist es ihnen immer erlaubt worden, im Anschluss an die offiziellen Feierlichkeiten zu demonstrieren. Ihre Veranstaltung endet mitten in der Stadt, an einem Gedenkstein vor dem Rathaus, der so genannten Trümmerfrau.

Dass die Stadt so wenig gegen die Demonstration der Neonazis unternimmt, könnte auch daran liegen, dass die Veranstaltungen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.

Sehr oberflächlich betrachtet, könnte man zwar Ähnlichkeiten feststellen, aber man muss schon genauer hinsehen. Bei den offiziellen Feierlichkeiten der Stadt geht es darum, der Opfer zu gedenken. Und nicht darum, Sündenböcke zu finden, wie bei den Rechtsextremen. Man muss aber natürlich immer sehr genau aufpassen, in welcher Gesellschaft man sich befindet. Es ist wichtig, Pauschalisierungen zu vermeiden und konkret zu bleiben. Aber das gelingt nicht ohne Anstrengung. Es ist ja auch viel unbequemer, des Ereignisses so zu gedenken, wie es war; dass die Bombardierung eine Folgeerscheinung war und nicht ein singuläres Ereignis.

In den letzten Jahren wurde verstärkt der Mythos gepflegt, dass auch die Deutschen Opfer gewesen seien, wie es beispielsweise in der Spiegel-Serie zu den Bombardierungen und in dem erfolgreichen Buch »Der Brand« von Jörg Friedrich nahe gelegt wird.

Das ist ganz sicher gefährlich. Man darf bei der Auseinandersetzung mit den Bombardierungen einfach nicht vergessen, dass es Gründe dafür gab, dass der Krieg nach Deutschland zurückgekommen ist. Man muss festhalten, dass es historische Abläufe gab, die man analysieren kann. Wenn man in Deutschland über Bombardierungen redet, muss man auch von den Ursachen sprechen. Deshalb machen wir diese Veranstaltungen am 13. Februar. Wir sagen, vor den Bombenangriffen hat noch etwas anderes stattgefunden und damit ist der Angriff auf Dresden verbunden.