Eine Hand voll Datteln

Hilfe, die Helfer kommen! Wie sich deutsche Hilfsorganisationen und Nahostexperten auf ihren Einsatz im Irak vorbereiten. von thomas uwer

Das war das Ziel unserer Mission«, erklärte Elias Bierdel, der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Cap Anamur, der Zeit, »was wir gefunden haben, ist natürlich eine zermürbte Bevölkerung, die am Ende ihrer Kräfte angekommen ist«. Natürlich. Denn wo immer die schnelle Eingreiftruppe von Rupert Neudeck aufkreuzt, liegen nicht nur Hilfsgelder, sondern meistens auch ein paar »zermürbte« Leute auf der Straße.

Für Hilfsagenturen wie Cap Anamur gilt noch immer das Gesetz von der Kapitalvernichtung als Motor der Konjunktur. Je kaputter das Land, desto lohnender ist der Wiederaufbau. Und desto glücklicher das Opfer. »Wenn ich auf eine Mine trete, bin ich medizinisch und finanziell versorgt«, feixte Neudeck, der Begründer von Cap Anamur, im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt. »Das finde ich wunderbar. Man kann sein Haus schön einrichten, häufig Urlaub machen und immer mehr Dinge kaufen.«

Nun hat Cap Anamur den Irak besucht, und wer bis zuletzt noch hoffte, ein Krieg könnte verhindert werden, der sollte jetzt eines Besseren belehrt sein. Denn wenn man nach dem Gerangel um den Irak urteilt, das unter so genannten Nahostexperten und Hilfsagenturen seit Anfang des Jahres ausgebrochen ist, dürfte es das Land nicht mehr lange machen. Zwar verspricht Bierdel von Cap Anamur noch, »wir versuchen also militärisch uns herauszuhalten«, doch in den deutschen Zukunftswerkstätten werden vor dem kommenden humanitären Einsatz bereits eifrig Überstunden geschoben.

Es werden nicht nur Pakete mit kratzenden Wolldecken und Bundeswehrkeksen, die ihr Verfallsdatum längst überschritten haben, geschnürt, sondern auch Programme für die Lösung des Irakkonflikts, den anstehenden Wiederaufbau und den Frieden in der Region im Allgemeinen entwickelt. Dabei ist nur, wem es gelingt, die Erwartung des kommenden Krieges semantisch einigermaßen sinnvoll mit der deutschen Kriegsgegnerschaft zu verknüpfen. Der Fachmann ist gefragt.

Einer solcher ist Hans Krech, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Forums für internationale Sicherheit an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und Mitglied des FDP-Bundesfachausschusses für internationale Politik. Er hat nicht nur ein Patent auf ein »fast unsichtbares Schnellboot für die Bundesmarine« angemeldet, sondern wirbt auch für eine Friedenskonferenz in Halle an der Saale, »um die strukturschwache Region zu fördern«.

Bereits vor Jahren stellte er das Projekt einer Transrapidstrecke von Hamburg zum Persischen Golf vor. »Der Waggonbau für den Transrapid soll im Waggonbauwerk in Halle-Ammendorf durchgeführt werden und so der strukturschwachen Region zum wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen.« Jetzt hofft er, dass »in der Folge der Golf-Friedenskonferenz sich das Projekt als realisierbar« erweise. »Die Vereinigten Arabischen Emirate haben bereits Interesse am Transrapid bekundet.« Das klingt seriös.

Doch wer glaubt, Krech diente der Irakkrieg nur dazu, weitere Investitionen in der Saale zu versenken, der täuscht sich. Der Experte von der Führungsakademie der Bundeswehr meint es ernst mit dem Irak und seiner »kommunistischen Führung«. Wahrscheinlich zu ernst. »Mohammed Atta und seine Hamburger Gruppierung waren typische Schläfer des irakischen Geheimdienstes mit Unterstützung des MfS der ehemaligen DDR« und deshalb Kandidaten für »ein neues Nürnberger Kriegsverbrechertribunal«, glaubt Krech. »Atta legte sich vermutlich aus Tarnungsgründen sein islamistisches Image zu.« Das finden nicht mal die saudischen Investoren witzig.

Etwas besser informiert ist die Organisation »Kultur des Friedens« aus Heidelberg, die einen freiwilligen Theodorakis-Chor unterhält und kürzlich Konstantin Wecker nach Bagdad flog, damit er M&M-Männchen an leukämiekranke Kinder verteilen konnte. Wer dieser Tage aber versucht, den Verein telefonisch zu erreichen, wird wenig Erfolg haben. Auf seiner Internetseite wird erklärt, warum: »Während unseres Bagdad-Aufenthalts sind wir erreichbar im Hotel Al Rashid, Tel. 009 641 - 885 10 00.« In der Regierungsabsteige sind allerdings die meisten Gäste des irakischen Regimes zu erreichen.

Da wird selbst Konstantin Wecker nachdenklich. »Auf der Rückfahrt fliegen Steine gegen unseren Bus«, heißt es in seinem Iraktagebuch. »Jetzt erst erfahren wir von unserem Fahrer, dass wir ein Regierungskennzeichen haben.« Dass sich die »Kultur des Friedens« ausgerechnet den irakischen Staat als Partner für den Frieden ausgesucht hat, beeinflusst die Rhetorik kaum. »Es ist höchste Zeit für eine Diplomatie von unten.«

Und wie funktioniert so eine Diplomatie? »Zum Beispiel durch Städtekontakte zwischen europäischen und irakischen Städten (wie Heidelberg – Mossul). Die Bevölkerung im Irak braucht kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Austausch.« »Austausch«, könnte man hinzufügen, hatte die Bevölkerung von Mossul bereits genug. Seit 1998 wurden dort im Rahmen der so genannten Arabisierungskampagne einige zehntausend kurdische Bewohner deportiert und durch Araber ersetzt.

Im Gegensatz zu den anderen Initiativen ließ sich »Kultur des Friedens« ein geldwertes Äquivalent für ihre »Diplomatie von unten« einfallen, im Format für die Einkaufstasche und den Wohnzimmertisch gleichermaßen geeignet und für einen nicht genauer bezeichneten Solidaritätspreis vom Verein zu erwerben. Wer ein Pfund Datteln kauft, die aus dem Südirak unter Umgehung des Uno-Embargos nach Italien geschmuggelt und dann nach Deutschland gebracht wurden, der unterstützt damit nicht nur den irakischen Staat, der dringend Geld zum Bau von Krankenhäusern benötige, sondern demonstriere zugleich gegen das Embargo.

Selbstverständlich wurden die Datteln vor der Einfuhr untersucht, um »die Abwesenheit von angereichertem Uran sicherzustellen«. Immerhin, man will ja nicht vergiftet werden. »Im Irak ist das Leben eines Kindes eine Dattel wert«, heißt der Titel der Kampagne. So verdirbt die »Kultur des Friedens« vor allem den Preis auf dem ohnehin schon krisengeschüttelten Markt. Für eine Dattel bekommt man in Deutschland nicht einmal den dankbaren Blick eines Kindes, von ausklappbaren Feldlazaretten, Bundeswehrhubschraubern, Transrapidzügen und davon, was Halle-Ammendorf und der Irak nach Ansicht der Experten sonst noch benötigen, ganz zu schweigen.

Dabei dachte man bereits im Afghanistankrieg, die Talsohle durchschritten zu haben. »Wir haben einmal 30 Mark von einer alten Frau bekommen«, rechnete Rupert Neudeck seinerzeit vor. »In ihrem Brief erzählte die Frau von ihrer niedrigen Rente und davon, auf was sie wegen ihrer Spende verzichten müsse. Seither nennen wir 30 Mark ein Oma. 120 Mark sind vier Omas.«