Kleine Fische

Die Türkei bereitet sich auf den Krieg vor. Eine Reportage von der Grenze zum Irak.

Sükrü Aydin schrubbt missmutig die Handvoll Goldbrassen, die er morgens gefangen hat. Sie reichen gerade mal für das Abendessen, den mageren Fang will er nicht zum Markt tragen. Dabei liegt es nicht am Fischbestand wie in den Jahren zuvor. Das Meer vor dem Hafen von Iskenderun tief im Süden der Türkei wimmelt Mitte Januar nur so von den begehrten Brassen und Doraden. Doch heute konnten die Boote bei Sonnenaufgang nur eine Stunde lang ihre Netze durchs offene Meer ziehen. Sobald die Besatzung des türkischen Minensuchers sie sichtete, wurden die Fischer aufgefordert, sich wieder in den Hafen zu verziehen.

Die Bucht im drittgrößten Hafen der Türkei, in der die Fischer anlegen dürfen, ist voller Boote. Ein seltenes Bild zu dieser Jahreszeit, denn die Wintermonate gehören zur Hauptsaison. Jetzt muss das Geld verdient werden, um durch die flauen Sommermonate zu kommen.

Sükrüs Nachbar am Anlegersteg will sein Boot verkaufen, wie viele in Iskenderun. Denn alle müssen fürchten, dass der Hafen monatelang für die zivile Schiffahrt gesperrt wird. Handelsschiffe dürfen bereits seit zwei Monaten nicht mehr ins Hafenbecken fahren. Die Fischer wurden bislang geduldet. Doch seitdem eine US- Delegation die Häfen von Mersin und Iskenderun auf ihre Kriegstauglichkeit prüft, lässt man auch sie nicht mehr ausfahren.

Bislang wurden 2 000 Hafenarbeiter in Mersin und Isekenderun vorläufig entlassen. Dabei sind die Beschäftigten in den vielen Industriebetrieben, die indirekt von den Häfen leben, noch nicht mitgezählt. Wie etwa die Belegschaft der nahe gelegenen Eisenfabrik, die ihre Arbeit eingestellt hat. Sie ist vom Hafen abhängig, dessen Lastkräne nun untätig im Wind schwingen. Das gesamte Dock wurde wegen der Inspektion leer geräumt.

Die beiden wichtigen Industriehäfen liegen im südlichsten Teil der Türkei. Von hier aus sind es noch etwa 800 Kilometer bis zur irakischen Grenze. Im Falle eines Angriffs sollen US-Bodentruppen über die südlichen Meerengen herbeigeschafft werden. Die Kapazitäten des Luftraums würden bei weitem nicht ausreichen, und trotz der türkischen Vorbehalte gegen die amerikanischen Kriegspläne bereitet man sich hier schon auf den großen Angriff vor. Neben der Räumung des Hafens wird bereits hektisch an einer großen Zufahrtsstraße zur Autobahn gearbeitet. Das Straßennetz bis zur Grenze ist bereits gut ausgebaut.

Nur eineinhalb Stunden Autofahrt von Iskenderun entfernt liegt die Militärbasis von Incirlik, die fast ausschließlich der US-Luftwaffe dient. Die Shopping-Mall am Eingang der Basis wirkt deplatziert in der anatolischen Kleinstadt. Die Bewohner haben sich jedoch ganz auf die Bedürfnisse der Gäste eingestellt. Aus einer Bar dröhnt amerikanischer Rap, aus einer anderen Massive Attack. Die türkischen Händler und Handwerker sind zufrieden, die Geschäfte sind gut. Man freut sich schon auf neue Kundschaft bei weiteren Truppenverlegungen.

Und die werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Zwar sträubte sich der türkische Generalstab lange gegen die Verlegung von etwa 80 000 Soldaten, die die USA um die Häfen und die Militärbasen von Incirlik, Diyarbakir und Batman stationieren wollen. Doch am vergangenen Donnerstag erteilte das türkische Parlament den USA dann doch die Genehmigung, die Stützpunkte auszubauen und zu modernisieren. Eine Begrenzung des US-Personals gibt es nicht.

Wenn es gegen den Willen der Türkei zu einem Krieg kommen sollte, erklärte zuvor Ministerpräsident Abdullah Gül, werde sich Ankara an die Seite des strategischen Verbündeten in Washington stellen. »Wir haben alles getan, was wir konnten, um den Frieden zu retten«, sagte er. »Für alles, was jetzt kommt, sind wir nicht mehr verantwortlich.«

In der Region macht man sich keine Illusionen über die Folgen, die ein Krieg vor allem für die Zivilbevölkerung mit sich brächte. In Incirlik ist zwar niemand arbeitslos, aber der Ort leidet unter dem Krach der Kampfjets, die Tag und Nacht über den Himmel donnern.

Vor dem Rathaus der benachbarten Großstadt Adana treffen sich an einem Samstagvormittag einige Kriegsgegner. Kurzfristig entscheiden sie sich, zu einer Kundgebung ins 20 Kilometer entfernte Tarsos zu fahren. In Adana sind keine Proteste erlaubt, da eine Demonstration die Gastfreundschaft gegenüber den US-Amerikanern verletzten würde, wie es in der polizeilichen Begründung heißt.

Am Treffpunkt in der Kleinstadt Tarsos stehen nur ein paar gelangweilte Polizisten. Mit 2 000 Teilnehmern ist die Demonstration gut besucht. Man merkt, dass die Region von den Kriegsvorbereitungen besonders stark betroffen ist. Der Protestmarsch verläuft friedlich, selbst die Beamten verhalten sich ungewohnt zurückhaltend. Am Kundgebungsort werden zwar strenge Kontrollen durchgeführt, aber die üblichen Schikanen bleiben aus. Die Redner auf dem Podium wettern gegen den amerikanischen Imperialismus und rufen zum Widerstand auf.

Er wird allerdings zahm aussehen. Die Lehrergewerkschaft plant einen halbstündigen Streik, um gegen einen möglichen Angriff zu protestieren. Kriegsgegner wollen mit einem »Friedenszug« von Ankara nach Adana fahren und anschließend bis nach Incirlik marschieren. Ob es eine Genehmigung dafür gibt, ist allerdings mehr als fraglich. Ähnliche Demonstrationen, die sich gegen die Kurdenpolitik der türkischen Regierung wandten, beendete die Polizei zumeist, bevor sie überhaupt begonnen hatten.

Auf dem Weg zur irakischen Grenze fällt vor allem die Abwesenheit der Militärkontrollen auf, die früher eine Reise in dieses entlegene Gebiet im Südosten unmöglich machten. Der Ausnahmezustand scheint tatsächlich aufgehoben worden zu sein, was allerdings nicht nur an der Auflösung der PKK liegt, sondern vor allem an der Entvölkerung der Region. Viele Bewohner sind schon vor Jahren in den westlichen Landesteil geflüchtet.

Einige türkische Zeitungen berichteten, dass die Vorbereitungen für den Krieg bereits im Gange seien. Der türkische Rote Halbmond errichte Flüchtlingslager und auf dem Basar in der Grenzstadt Silopi würden Gasmasken angeboten. Davon ist nichts zu entdecken.

Ein Sprecher teilt mit, dass der Rote Halbmond noch mit Koordinierungsaufgaben beschäftigt sei, doch besonders glaubwürdig klingen diese Auskünfte nicht. Der zweite Golfkrieg traf die Zivilbevölkerung in dieser Gegend völlig unvorbereitet, und auch diesmal wird es vermutlich nicht viel anders sein.

Auf dem Basar in Silopi gibt es nur Mandarinen zu kaufen, denn seit Monaten ist die größte und fast einzige Einnahmequelle, der Grenzübergang Habur, geschlossen. Die Region lebte vom Handel mit den Kurden, die neben den UN-Sanktionen gegen den Irak auch noch mit einem weiteren Embargo seitens der irakischen Regierung belegt sind.

Vor der Grenze ist die Weiterfahrt ohne jede weitere Begründung verboten, der Übergang ist in großer Entfernung zu sehen. Seit 1996 lassen die türkischen Behörden keine ausländischen Journalisten mehr über diesen Übergang in die »autonome Region Kurdistan im Irak« einreisen. Ein Grund dafür liegt in der Präsenz der türkischen Streitkräfte, die seit dieser Zeit eine Panzerdivision in den Bergen von Dohuk stationiert haben. Zudem will die Türkei demonstrieren, dass die autonome Region Kurdistan völkerrechtlich nicht existiert.

Die gespannte Stimmung an der Grenze lässt vermuten, dass die Kriegsvorbereitungen auf der anderen Seite schon in vollem Gange sind. Der Fahrer strahlt. Am nächsten Tag soll er eine Kolonne amerikanischer Soldaten von Incirlik nach Silopi fahren. Seine Geschäfte gehen gut.