Rein ins Chaos!

Die Nato hat den »deutschen Weg« erst ermöglicht, ihre Schwächung könnte den Kampf gegen die deutsch-französische Weltmachtpolitik erleichtern. von jörn schulz

Das erste Opfer des Krieges ist die Logik. »Ich bin nicht überzeugt«, klagte Außenminister Joschka Fischer bei der so genannten Sicherheitskonferenz in München über die Unzulänglichkeiten der Beweisführung seines Kollegen Powell. Am gleichen Tag lancierte Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Irakplan, der von der Notwendigkeit einer Zwangsabrüstung ausgeht und implizit einräumt, dass es doch etwas Bedrohliches am Arsenal Saddam Husseins geben muss. Währenddessen fragen deutsche Medien unablässig, ob »unsere Jungs« denn auch sicher seien in Kabul und Djibouti. Dass ihr Aufenthalt dort gänzlich überflüssig ist, wenn sie nicht wenigstens ein kleines bisschen gefährdet sind, kommt offenbar niemandem in den Sinn.

Es kann aber nicht wirklich beruhigen, dass die Kämpfer des »deutschen Weges« keine konsistente Politik formulieren können und dass ihre Interventionstruppen nicht ohne ausreichende Vorräte an Gummibärchen und Dosenbier ausrücken mögen. Das Ziel, unter deutsch-französischer Führung einen gegen die USA gerichteten europäischen Machtblock aufzubauen, wird offen progagiert. Und unabhängig von den Erfolgschancen eines solchen Unternehmens wird eine Linke, die den Kampf gegen das deutsch-französische Weltmachtstreben nicht zu ihrem zentralen Anliegen macht, zum Anhängsel bestenfalls sozialdemokratischer Machtpolitik.

Ein Grund, der Nato hinterherzutrauern, kann das jedoch nicht sein. Ihre Gründung besiegelte 1949 die Aufkündigung des antifaschistischen Bündnisses der britischen und amerikanischen Bourgeoisie mit der Sowjetunion. Die Nato legitimierte die Remilitarisierung der BRD unter Einbeziehung der nationalsozialistischen Elite. Und dass dieses Militärbündnis nicht geeignet ist, deutsche Ambitionen zu bremsen, hat sich in den letzten Wochen deutlich genug erwiesen.

Was die Nato zusammenhielt, war der Antikommunismus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion glaubte man, die gemeinsamen Interessen würden für eine gemeinsame Interventionspolitik ausreichen. Zumindest im Nahen und Mittleren Osten ist das nun nicht mehr der Fall. Daraus werden alle Beteiligten die Konsequenzen ziehen. Doch in Bereichen, wo eine gemeinsame Politik weiterhin möglich ist – wie beim »Krieg gegen den Terror« – dürfte die Nato auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Der Streit der Mächtigen könnte sogar einige kurzfristige Vorteile bringen. Denn zunächst hat der deutsch-französische Vorstoß die EU gespalten und die Formulierung einer gemeinsamen Militär- und Außenpolitik in Frage gestellt. Und wenn eine zukünftige EU-Truppe für ihre Interventionen Stützpunkte der USA oder der Türkei benutzen möchte, denen sie jetzt ihre »Solidarität« in der Nato verweigert, dürfte sie auf taube Ohren stoßen. Leider spricht derzeit nichts dafür, dass die Linke diese Chance für eine Kampagne gegen den Aufbau einer EU-Militärmacht und einer eigenständigen europäischen Rüstungsindustrie ergreifen wird.

Auf längere Sicht aber dürfte die schärfer werdende Konkurrenz zwischen Staaten und Staatenblöcken die Kriegsgefahr weltweit erhöhen und auch zu einer Radikalisierung nationalistischer Ressentiments führen. Dass sich in diesem Prozess eine geordnete bipolare Weltordnung mit einem »eurasischen Block« als Gegengewicht zu den USA herausbildet, ist recht unwahrscheinlich. Mit China und Indien drängen zwei weitere global players in die Weltpolitik, in Asien und Afrika gibt es Bemühungen um die Bildung von regionalen Blöcken. Zukünftige Bündniskonstellationen sind noch nicht vorhersehbar, und auch der Zerfall einer wachsenden Zahl von Staaten deutet darauf hin, dass die »multipolare Welt« ganz anders aussehen könnte, als die EU und die USA sie sich vorstellen. Obwohl hinter den westlichen Interventionstruppen in Afghanistan etwa zwei Drittel der weltweiten Militärmacht stehen, sind sie nicht in der Lage, ein paar drittklassige Warlords unter Kontrolle zu bringen.