Einfach unzumutbar

Mit dem Hartz-Gesetz wird die Zumutbarkeit erweitert und der Kündigungsschutz eingeschränkt. Doch wo Arbeit fehlt, führt auch das nicht zu mehr Beschäftigung. Hartzschrittmacher VII. von frank fitzner

Ein schneller Erfolg ist dem so genannten Hartz-Gesetz verwehrt geblieben. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen ist im Januar auf 4,62 Millionen und damit auf ein Fünfjahreshoch gestiegen. Die Zahl werde auch im Februar unter fünf Millionen liegen, verkündete der Vorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, die gute Nachricht. Selbst der verantwortliche »Superminister« für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement (SPD), erwartet mittlerweile im Jahr 2003 eine durchschnittliche Arbeitslosenzahl von über vier Millionen. Von der noch im vergangenen Herbst erhofften Halbierung der Erwerbslosenquote ist keine Rede mehr.

Fraglich ist, ob die Gesetzesänderungen überhaupt geeignet sind, zusätzliche Beschäftigung zu schaffen. Dieses Ziel soll u.a. mittels verschiedener repressiver Maßnahmen erreicht werden. Denn man geht davon aus, dass zumindest einige Arbeitslose nicht arbeitswillig seien. Zudem wird der Kündigungsschutz gelockert.

Seit dem 1. Januar gilt ein Umzug zur Aufnahme einer Beschäftigung als zumutbar, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Erwerbslose einen Arbeitsplatz innerhalb des Pendelbereichs finden wird. Dieser definiert sich durch eine Fahrtzeit von maximal 2,5 Stunden pro Tag. Nach drei Monaten Arbeitslosigkeit wird regelmäßig von der Zumutbarkeit eines Umzugs ausgegangen. Dies gilt nicht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wie etwa familiären Bindungen.

Diese Regelung geht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) nicht weit genug. Deren Geschäftsführer Arbeitsmarkt, Christoph Kannengießer, hält einen Umzug auch für familär gebundene Erwerbslose für zumutbar, sofern keine besondere Härte vorliegt.

Die Vorschrift stößt allerdings bereits in ihrer jetzigen Form auf verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Freiheit der Berufswahl sowie der Freizügigkeit. In diese Rechte wird zwar nicht direkt eingegriffen, aber ihre Wahrnehmung kann künftig für einen Teil der Bevölkerung de facto unmöglich werden, da sie mit einem Entzug von Versicherungsleistungen, also einem Teil der materiellen Lebensgrundlage, verbunden ist.

Verändert wurden auch die Regelungen zur Sperrzeit. Diese beträgt jetzt bei der Aufgabe oder der Ablehnung einer Arbeit sowie bei dem Abbruch oder der Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme drei bis zwölf Wochen. Entscheidende praktische Bedeutung hat hier die gleichzeitig vorgenommene Beweislastumkehr. Jetzt muss der Arbeitslose das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der die Sperrzeit abwenden würde, beweisen.

»Dadurch wird eine Maßnahme, die bisher nur bei groben Verstößen in ein bis zwei Prozent der Fälle angewendet wurde, zum Regelinstrument«, sagt Heidemarie Gerstle, zuständig für Frauen und Erwerbslose bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie sieht deshalb den Versicherungscharakter der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich in Frage gestellt.

Außerdem sind Arbeitnehmer ab 1. Juli verpflichtet, sich unverzüglich arbeitslos zu melden, wenn sie wissen, wann ihr Arbeitsverhältnis endet. Dies gilt auch dann, wenn das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Kündigungsschutzklage, gerichtlich geltend gemacht wird. Ein Verstoß gegen die sofortige Meldepflicht führt zu einer kompliziert geregelten abgestuften Minderung des Arbeitslosengeldes. So soll die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzt werden.

Christoph Kannengießer von der BDA hält es grundsätzlich für sinnvoll, dass die Kündigungszeit, also die Zeit von der Kündigung bis zur tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, für die Arbeitsplatzsuche genutzt werden soll. Dies liege im Interesse der Solidargemeinschaft der Beitragszahler. »Allerdings ist die Regelung sehr bürokratisch. Besser wäre eine allgemeine Karenzzeit für Arbeitslosengeld im ersten Monat der Arbeitslosigkeit«, sagte er der Jungle World. In Notfällen müssten die Betroffenen dann Sozialhilfe beantragen.

Dem hält Heidemarie Gerstle von Verdi entgegen, dass die sofortige Meldepflicht wegen des zusätzlichen Mehraufwandes unsinnig sei, denn die Arbeitsämter seien bereits jetzt völlig überlastet. »Außerdem werden dadurch keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen. In Berlin und Brandenburg gibt es aber nur drei freie Stellen für 100 Bewerber; bundesweit sind es circa zwölf.«

Eine weitere wesentliche Gesetzesänderung betrifft den Kündigungsschutz. Seit dem 1. Januar können Verträge mit Arbeitnehmern im Alter ab 52 Jahre ohne einen sachlichen Grund beliebig befristet werden. Nach bisherigem Recht war auch für diesen Personenkreis nur eine maximal zweijährige Frist möglich. Die neue Regelung dürfte gegen das Diskriminierungsverbot im europäischen Recht verstoßen. Ihre Rechtmäßigkeit ist daher, wie die Verschärfung der geographischen Zumutbarkeitskriterien, zweifelhaft.

Nichtsdestotrotz wird die Regelung von der Unternehmerseite erwartungsgemäß begrüßt. »Durch diese sinnvolle Flexibilisierung wird die Einstellung älterer Arbeitnehmer erleichtert«, meint Kannengießer.

Gerstle hält eine Altersgrenze bei der Befristung von Arbeitsverträgen hingegen grundsätzlich für fraglich. Sie weist auf den Widerspruch hin, dass über 50jährige heute als zu alt für den Arbeitsmarkt gelten, gleichzeitig wegen der Krise der sozialen Sicherungssysteme aber eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit gefordert wird. »Außerdem gab es bereits unter Kohl eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen geführt hat.«

Diese Ansicht wird von vielen Wirtschaftsforschern geteilt. So stellt Jan Friederich vom Londoner Institut Economist Intelligence Unit fest, dass ein schlechterer Kündigungsschutz nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt. »Die Arbeitslosigkeit wird nur gerechter verteilt, der Einzelne verliert leichter seinen Job, findet aber auch wieder leichter einen neuen.«

Daher wäre ein positiver Effekt für den Arbeitsmarkt durch die von Wolfgang Clement und Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Gespräch gebrachte Aufhebung des Kündigungsschutzes für Betriebe mit zehn oder sogar 20 Mitarbeitern zu bezweifeln. Allerdings stellt die Einstellung eines Arbeitnehmers für kleine und mittlere Betriebe tatsächlich einen erheblichen Kostenfaktor dar. Derzeit gilt das Gesetz zum Kündigungsschutz in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten.

»Eine in höchstem Maße suboptimale Umsetzung grundsätzlich positiver Grundgedanken«, lautet das Fazit von Christoph Kannengießer zum Hartz-Gesetz. Doch die Maßnahmen gegen Arbeitslose und die Lockerung des Kündigungsschutzes beruhen angesichts fehlender freier Stellen noch nicht einmal auf richtigen Grundgedanken.

Denn die seit Jahren hohe Arbeitslosigkeit basiert auf einem strukturellen Problem. Die Produktivitätssteigerung und die Automatisierung führen laufend zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, die spätestens seit der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik nicht mehr durch die Erschließung neuer Absatzmärkte ausgeglichen werden kann. Der Erwerbslosigkeit müsste daher mit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung begegnet werden. Alles andere dient vor allem der Disziplinierung der Arbeitslosen.