Nur Mut, wir hauen ab!

Nach dem desaströsen Sondergipfel Mitte Februar steht die EU vor dem Scherbenhaufen ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Stimmung im Pentagon dürfte letzte Woche nicht schlecht gewesen sein. Dass sich, noch bevor im Irak der erste Schuss gefallen ist, bereits sekundäre und tertiäre Kriegsziele verwirklichen würden, hätte sich der Hausherr Donald Rumsfeld wohl kaum träumen lassen. Die europäischen Jammerlappen wiesen die Beitrittskandidaten so vehement zurecht, dass die Ost-Erweiterung der EU plötzlich in Frage stand. Die 13 Länder in Mittel- und Südosteuropa hätten sich »nicht sehr wohlerzogen« benommen, polterte Frankreichs Präsident Jacques Chirac, sie hätten »eine gute Gelegenheit versäumt, den Mund zu halten«, und die Konsequenzen wohl nicht bedacht, die »ein zu schnelles Einschwenken auf die amerikanische Linie« haben könnte.

Vorausgegangen war ein diplomatisches Hickhack, wie es selbst auf dem in dieser Hinsicht bereits einigermaßen vorbelasteten Brüsseler Parkett noch nicht dagewesen war. Unter strengem Ausschluss der Öffentlichkeit hatten sich die EU-Diplomaten an die schwierige Aufgabe gewagt, die divergierenden Interessen der EU-Länder in der Auseinandersetzung mit dem Irak unter einen Hut zu bringen. Was dabei herauskam, musste notwendigerweise so schwammig sein wie das einstige Lieblingsprojekt der EU, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp), mittlerweile geworden ist. Bomben in letzter Konsequenz ja, aber noch nicht in fünf Minuten, und nach Möglichkeit mit UN-Mandat, so lässt sich der Brüsseler Minimalkonsens vom 18. Februar zusammenfassen.

Damit konnten sowohl Deutschland, Frankreich und Belgien zufrieden sein, die vorhatten, die Kriegsvorbereitungen weitgehend zu boykottieren, als auch Großbritannien, Spanien, Italien, Dänemark und Portugal, die sich zusammen mit drei Beitrittsländern demonstrativ an die Seite der USA gestellt hatten. Doch dann kam ein weiterer Brief von Tony Blair, diesmal an das Treffen der in Brüssel ausgeladenen Beitrittskandidaten im litauischen Vilnius, in dem er die Beitrittsländer aufforderte, Washington und London beim Irak-Feldzug zu unterstützen. Darauf verabschiedeten zehn der angeschriebenen 13 Länder ihr »Manifest von Vilnius«, und schon war es vorbei mit dem diffizilen Gleichgewicht von Brüssel. Geschlossen stellten sich die Zehn hinter den von Großbritannien und Spanien initiierten Brief an George W. Bush von Anfang Februar und provozierten damit den öffentlichen Wutausbruch Chiracs. Die UN-Resolution 1441 sei »eine letzte Chance für den Irak« und die Frage sei »nicht, wie viel Zeit die Inspektoren für ihre Tätigkeit bekommen«, erklärten sie.

Überrascht waren die Falken in Washington darüber wohl nicht. Denn wie die konservative französische Tageszeitung Le Figaro am Donnerstag letzter Woche in einem wenig beachteten Bericht vermeldete, wird das »Manifest von Vilnius« einem Rumsfelds Neokonservativen nahe stehenden US-Rüstungslobbyisten und früheren Geheimagenten zugeschrieben. Der Autor, so der Figaro, sei Bruce P. Jackson, der frühere Vizepräsident der Flugzeugschmiede Lockheed-Martin, derzeit Vorsitzender des erst im Dezember gegründeten Committee for the Liberation of Iraq (CLI). Dabei handelt es sich um eine politische Pressure Group im Umfeld des Project for a New American Century (PNAC), eines rechtskonservativen Vereins, der unter anderem die Idee vertritt, den Irakkrieg zu einem Flächenbrand im gesamten Nahen und Mittleren Osten auszuweiten, um diesen Raum zur US-Einflusssphäre zu machen.

Randy Scheunemann, der Executive Director des CLI, diente Rumsfeld im letzten Jahr als Sonderberater für Irak-Fragen, zum CLI-Umfeld zählen unter anderem der demokratische Senator Joe Lieberman, der rechte Publizist William Kristol und der Politikwissenschaftler Robert Kagan. In Osteuropa hat Jackson bereits als Lockheed-Martin-Mann ein Netz von Kontakten aufgebaut. In Polen fädelte er letztes Jahr, sehr zum Verdruss der französischen Rivalen, für seinen Arbeitgeber den Kauf US-amerikanischer F 16-Flugzeuge ein. Sein Netz von Loyalitätsbeziehungen schließt Regierungsmitglieder aus Litauen, Estland, Bulgarien und der Tschechischen Republik ein. Nicht ausgeschlossen ist, dass darüber die von Jackson verfasste Absage an die zögerliche EU-Haltung zum Irakkrieg lanciert wurde.

Mit bisher nicht gekannter Deutlichkeit stellte daraufhin nicht nur der französische Präsident die Ost-Erweiterung insgesamt in Frage, sondern zum Beispiel auch der einflussreiche CDU-Mann Elmar Brok, Vorsitzender des Außen-Ausschusses im Europäischen Parlament, der der Süddeutschen diktierte, der Streit um die Irakpolitik könne »den Prozess der Erweiterung gefährden«. Explizit verwies Brok auf die anstehende Abstimmung zur Ost-Erweiterung der EU am 9. April im Europäischen Parlament: »Wenn das Parlament dazu nicht ausdrücklich ja sagt, können die Verträge nicht unterzeichnet werden.« Bei aller deklarierten Parteinahme für die Position der Amerikaner und Briten, wenn es darauf ankommt, scheint die CDU doch den Kurs von Rot-Grün zu unterstützen.

Nicht nur im Europaparlament werden lang gehegte Dogmen zur Diskussion gestellt. Auch im Konvent, der ja immerhin eine gemeinsame Verfassung für die 28 zerstrittenen europäischen Staaten ausarbeiten soll, spürt man die Auswirkungen des drohenden Krieges. Immerhin heißt es in Artikel 14 des kürzlich vom Präsidium des Konvents vorgelegten Entwurfs: »Die Mitgliedsstaaten unterstützen ohne Vorbehalt die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union im Geiste der gegenseitigen Loyalität und Solidarität, und sie unternehmen nichts, was den Interessen der Union zuwiderlaufen oder ihren Handlungsspielraum einschränken könnte.« Dass sich das liest wie eine Beschreibung vom Gegenteil des derzeitigen Zustandes, ist auch dem Konventsvorsitzenden Valéry Giscard d’Estaing aufgefallen. Wenn er diese Woche eine erste öffentliche Anhörung zum Verfassungsentwurf abhält, dürfte ihm genau das vorgehalten werden. Ob der Artikel 14 unter diesen Umständen überhaupt zu halten sein wird, ob er geändert oder, wie Konventsmitglieder verlangen, ersatzlos gestrichen wird, das steht zur Zeit noch in den Sternen. Auf der Tagesordnung des Konvents wurde er auf jeden Fall erst einmal weit nach hinten verschoben.

Auf Zeit spielt auch die Europäische Kommission. Es ist noch gar nicht lange her, da hoffte Kommissionspräsident Romano Prodi, das derzeit von dem Briten Chris Patten besetzte Amt des EU-Außenkommissars zu einem EU-Außenministerium aufwerten und dem Rat die Zuständigkeit für die Außenpolitik entwinden zu können. Von diesen Plänen ist jetzt keine Rede mehr. Sowohl Patten als auch Ratssekretär Javier Solana sind mehr oder weniger zum Schweigen, oder, besser gesagt, zum inhaltsleeren Reden verurteilt. Ihrer Aufgabe, Sprecher einer gemeinsamen EU-Außenpolitik zu sein, können sie nicht nachkommen. Es gibt sie nicht. Der größte Teil der Brüsseler Beamten hat die Hoffnung bereits aufgegeben, dass die derzeitige Kommission, die noch 20 Monate im Amt sein wird, irgendwelche größeren Projekte im Bereich der Außenpolitik durchsetzen wird. »Nur Mut, wir hauen ab!«, beschrieb ein Kommissionsbeamter gegenüber Le Monde die Stimmung, die derzeit in den Vorzimmern der Kommissare herrscht. Und das ist erst der Anfang vom Ende. Wenn die EU erst 25 Mitgliedstaaten hat, dann wird man sich wahrscheinlich noch mehr im Wege stehen als bisher.