»Die Kurden sind skeptisch«

cinur ghaderi musste nach dem Zusammenbruch des kurdischen Aufstands 1975 mit ihrer Familie aus dem Irak fliehen. Sie arbeitet in Deutschland als Therapeutin in einem psychosozialen Zentrum mit traumatisierten Flüchtlingen.

Millionen Menschen haben in den vergangenen Wochen gegen einen Irakkrieg demonstriert, weil sie die Zivilbevölkerung vor dessen Folgen schützen wollen. Teilen Sie diese Position?

Natürlich kann ich es gut verstehen, wenn hier Menschen gegen den Krieg auf die Straße gehen. Dennoch kann ich mich als Kurdin damit nicht zufrieden geben. Ich bin für den Frieden, aber ich bin auch für eine Intervention. Es muss irgendeine Form der Veränderung geben. Eine solche Intervention muss keinesfalls jener Krieg sein, den die USA planen.

In Halabja ist 1988 eine ganze Stadt Opfer eines Giftgasangriffs der eigenen Regierung geworden, und das Giftgas ist auch durch deutsche Hilfe dorthin gelangt. Nach dem zweiten Golfkrieg mussten Millionen Kurden fliehen. Damals habe ich mit anderen Kurden demonstriert und versucht, mit den Deutschen zu sprechen. Aber ich habe erleben müssen, dass die Resonanz nicht immer gleich ist. Wer sein Engagement gegen den Krieg moralisch begründet, den muss ich leider fragen: Wo waren Sie damals? Weil der Konflikt zu einer Krise in den internationalen Beziehungen geführt hat, fühlen die Deutschen sich jetzt ganz anders angesprochen.

Auch die Bundesregierung scheint sich nicht für die irakische Opposition zu interessieren.

Was ich mir immer gewünscht habe, ist ein Dialog mit den politischen Gruppierungen in der Region. Die Kurden sollten nicht nur als humanitäres Problem, als Opfer der Situation wahrgenommen werden, sondern als Akteure und Partner.

Mit der US-Regierung gibt es mittlerweile einen Dialog, aber in der Vergangenheit haben die USA die Kurden immer zugunsten mächtigerer Bündnispartner fallen lassen. Sind die kurdischen Parteien gerade dabei, frühere Fehler zu wiederholen?

Das Misstrauen gegenüber der US-Politik ist berechtigt. Aber die kurdischen Parteien sehen durchaus, dass es Interessenkonflikte gibt. Es besteht Hoffnung, dass die USA die Beseitigung der Diktatur und die Demokratisierung unterstützen. Aber gerade in den letzten Wochen ist den kurdischen Parteien bewusst geworden, dass sie skeptisch sein müssen. Sie müssen befürchten, dass die Ba’ath-Struktur im Irak erhalten bleibt oder dass türkische Einheiten einmarschieren.

Aber das Kräfteverhältnis ist nicht gleich. Von den USA wird eine Strategie verfolgt, und die Kurden haben die Wahl, sich dagegen zu stellen oder mitzumachen. Und andere Regierungen wie die deutsche und die französische haben ja auch versagt. Auf wen sollen die Kurden überhaupt Hoffnung setzen?

Immerhin haben sie eigene Streitkräfte. Kann das Regime nicht durch eine Revolution ohne Hilfe von außen gestürzt werden?

Ich glaube, das ist eine Illusion. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Diktatur fest etabliert. Die Ba’ath-Partei übt eine so effektive Kontrolle aus, dass den Menschen keine Luft zum Atmen bleibt, um solche Kräfte zu entwickeln.

Ein Hindernis sind aber auch die manchmal blutigen Fraktionskämpfe innerhalb der Opposition gewesen. Im Moment betonen alle Gruppierungen ihre Einigkeit, aber wird das so bleiben, wenn es um die Verteilung von Geld und Macht geht?

Es ist tatsächlich nicht ausreichend, nur zu sagen: Wir haben jetzt eine gemeinsame Linie. Alles andere würde sich in der gegenwärtigen Situation ja auch verbieten. Es wird immer Leute geben, die bestimmte Vorgänge nicht vergessen können. Aber die Menschen sind sehr müde, sehr erschöpft von diesen Kämpfen. Sie wollen eine Zeit der Ruhe. Und ich erlebe es in Deutschland so, dass die beiden kurdischen Parteien davon abkommen, parteipolitisch zu agieren. Sie versuchen, ihre Gemeinsamkeiten zu finden

Es kommt darauf an, wie die Verhältnisse hinterher sein werden. Man kann nicht so viele Jahre der Diktatur auslöschen in den Köpfen, vieles muss neu gelernt werden. Häufig wird gesagt, die Iraker seien nicht reif für die Demokratie. Ich bin Psychologin, und ich habe immer wieder erlebt, dass Menschen große Kräfte mobilisieren und Dinge erreichen können, die man nicht für möglich gehalten hätte, wenn sich minimale Rahmenbedingungen in ihrem Leben ändern. Und im Autonomiegebiet hat es schon positive Ansätze gegeben.

Unter der irakischen Diktatur hat sich eine Kultur des extremen Männlichkeitswahns entwickelt. Aber auch die kurdische Gesellschaft hat eine patriarchalische Tradition. Hat sich die Lage der Frauen im Nordirak verbessert, seit dieses Gebiet nicht mehr der Herrschaft des Regimes untersteht?

Es konnten einige Gesetze verbessert werden, das Erbrecht und die Bestimmungen über Polygamie und so genannte Ehrentötungen wurden geändert. Es wurden Frauenhäuser errichtet, es gibt Frauenorganisationen und auch einige Parlamentarierinnen. Das sind sehr positive Entwicklungen, aber es gibt keine Chancengleichheit. Und jetzt, wo ein Krieg droht, haben allein stehende Frauen und Witwen große Angst, weil sie in solchen patriarchalischen Strukturen ohne männlichen Schutz Freiwild wären.

Frauen waren immer am Kampf beteiligt, schon in den siebziger Jahren gab es Frauen bei den Peschmerga, den kurdischen Kämpfern. Aber das bedeutet noch nicht viel, Frauen haben nicht die gleichen Chancen wie Männer und werden auch mit anderen Augen gesehen. Sie müssen nicht nur ihre Arbeit machen, sondern sich auch als ehrenhaft beweisen. Diese Vorstellungen sind sehr tief in der Gesellschaft verwurzelt.

Was muss sich ändern, damit solche Vorstellungen überwunden werden?

Wenn man langfristig die Gesellschafts- und Machtstrukturen verändern möchte, kann man das nur über qualifzierte Bildung für beide Geschlechter erreichen. In einem Rahmen, der für Mädchen und Frauen einen möglichst hohen Bildungsstandard gewährleistet, auch wenn die Familienstrukturen dem entgegenstehen. Wenn die Veränderung grundlegend sein soll, müssen ein bis zwei Generationen ein neues Bildungsystem durchlaufen haben.

Das ist eine ziemlich lange Zeit.

Ja, aber alles andere wäre eine Illusion, eine Schablone von Demokratie, die Belastungen nicht standhalten würde. Im Irak müssen sehr verschiedene ethnische und religiöse Gruppen zusammen leben. Und es genügt nicht, dass diese Gruppen sich nur tolerieren, weil sie den gemeinsamen Feind Saddam haben.

Das klingt so, als bräuchte man eine Instanz, die den Demokratisierungsprozess überwacht.

Es müssen nicht die USA sein, aber es kann sinnvoll sein, wenn es eine neutrale Instanz gibt, die diesen Prozess beobachtet. Aber mit dem Vorbehalt, dass die Menschen im Irak und die politischen Kräfte nicht bevormundet werden.

Wie wird der Irak in einem Jahr aussehen?

Im Augenblick habe ich vor allem Angst davor, dass die türkische Armee einmarschiert. Und Saddam wird versuchen, soviel wie möglich um sich herum zu zerstören. Das hat er in seinen Reden immer wieder betont.

interview: jörn schulz