Tony in Trouble

Gewerkschaften, Linke, Muslime, Teile der Boulevardpresse und der Eliten, sogar Militärs sind gegen die britische Irakpolitik.

So schwer hatte es Tony Blair wohl noch nie, seit er in der Downing Street residiert. Am Mittwoch vergangener Woche erlebte der Premierminister eine mehr als peinliche Parlamentsabstimmung, in der 121 Abgeordnete seiner eigenen Labour Party gegen eine Regierungsvorlage zur Irakkrise votierten. Auch die riesige Demonstration in London vor drei Wochen, an der sich weit über eine Million Menschen beteiligten, hat gezeigt, wie groß die Kritik an einem Angriff auf den Irak ist. Die Unpopularität des Krieges ist aber auch die Unpopularität Blairs. Einer der häufigsten Parolen auf der Demonstration lautete: »Der Regimewechsel fängt zu Hause an!«

Lindsey German, Sprecherin des Bündnisses Stop the War, forderte die Bevölkerung dazu auf, »am Tag des Angriffs ihre Arbeitsplätze zu verlassen, zu streiken, Sitzstreiks und Besetzungen durchzuführen, direkte Aktionen, und was immer Sie für geeignet halten«. Das klingt militanter, als es gemeint ist. Viele in dem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, religiösen und linken Gruppierungen fürchten, dass ein lokaler Aktionstag zu Ausschreitungen führen könnte. Der Gewerkschaftsverband bereitet einen Kongress vor, auf dem ein Generalstreik diskutiert werden soll. Dass daraus etwas wird, ist aber unwahrscheinlich.

Dennoch wird es immer schwieriger, einen Krieg vor den Wählern zu rechtfertigen. Die Aktivisten der Friedensbewegung sehen eine Chance, die Regierung zum Nachzugeben zu zwingen. »Weil Großbritannien den Krieg nicht nur unterstützt, sondern ihn führen wird, haben wir eine entscheidende Rolle in der globalen Antikriegsbewegung«, meint Peter Leary von der Student’s Campaign for Nuclear Disarmament.

Das Bündnis wird auch von der vergleichsweise moderaten muslimischen Dachorganisation Muslim Association of Britain unterstützt. In den vergangenen Monaten haben die gemäßigten muslimischen Organisationen immer wieder vor einem Krieg gegen den Irak gewarnt, wohl auch deshalb, weil sie gegenüber den Extremisten in die Defensive geraten könnten. Umgekehrt bringt die breite Bewegung für einen Frieden in Nahost, die von Muslimen und Linken gebildet wird, die radikalen Anhänger des politischen Islam in Erklärungsnot, weil das nicht in ihr Konzept vom Kampf der Kulturen passt.

Berührungsängste hat die britische Linke mit den religiösen Gruppen offenbar keine. Einigkeit geht der Bewegung über alles, innere Widersprüche werden unter den Teppich gekehrt. Unumstritten ist die Ablehnung eines weiteren »Krieges gegen den Terror«, fast ebenso unumstritten sind die Sympathien für die palästinensische Sache. Kein Zufall, dass auf den Plakaten des Bündnisses die Forderung »Freiheit für Palästina!« so groß wie »Stoppt den Krieg!« gedruckt ist.

Auch manche britische Linke bemühen sich kaum um Differenzierungen im Nahostkonflikt. Eric Hobsbawm etwa, die Koryphäe unter den linken britischen Historikern, sagte in einem Interview mit der Tageszeitung Guardian, die Siedlungspolitik Israels laufe »auf Genozid hinaus«. Und der linke Regisseur Ken Loach fragte, warum denn irakische Massenvernichtungswaffen ein Problem seien, die israelische Atombombe aber nicht. Die marginale radikale Linke ist größtenteils noch immer ebenso antizionistisch wie die diversen trotzkistischen Parteien, die seit 1920 ihren Antiimperialismus von allen Verunreinigungen frei halten.

Aber die Linke spielt in der Mobilisierung ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Das diffuse, aber nachhaltige Gefühl, dass mit diesem Krieg etwas nicht in Ordnung ist, verbreitet sich ganz ohne ihr Zutun, dafür aber so schnell und heftig, dass die Aktivisten selbst überrascht sind.

Für einen Großteil der anderthalb Millionen Teilnehmer war die Demonstration Mitte Februar die erste ihres Lebens. Meinungsumfragen zeigen im vergangenen Monat eine sinkende Zustimmung in der Bevölkerung und eine noch stärker sinkende Popularität des Premierministers. Sogar der Daily Mirror, die zweitgrößte Boulevardzeitung, trommelt seit Monaten gegen einen Krieg und gehörte sogar zu den Organisatoren der Großdemonstration.

Derart in die Ecke gedrängt, greifen die Kriegsbefürworter auf die bewährte Formel zurück, Saddam sei gleich Hitler. Der Premierminister überbietet sogar seinen sonst üblichen Moralismus: Auf einer Parteikonferenz in der vergangenen Woche sagte er, ihn plage die Furcht, dass »Schurkenstaaten und Terroristen sich verbünden und eine Katastrophe anrichten werden«. Er wolle sich nicht »der Schande und der Scham« ausliefern, Tag für Tag die Gefahr gesehen und nichts unternommen zu haben, um sie abzuwenden. Solche Prosa überzeugt jedoch kaum jemanden mehr.

Die Ablehnung eines Angriffs auf den Irak geht durch alle Schichten der Bevölkerung und ist keineswegs auf die Linke beschränkt. Auch Großunternehmer und konservative Politiker sind gegen den Krieg. Militärs wie der frühere Kommandeur der Eliteeinheit SAS, Michael Rose, beklagen, dass es »keine ausreichende Debatte über die moralische Berechtigung und die militärische Durchführbarkeit« gegeben habe. Viele Offiziere beschweren sich zudem über die nachlässige Behandlung durch die US-Amerikaner und fühlen sich zu Befehlsempfängern degradiert.

Die britischen Eliten sind in der Irakfrage gespalten. Und die Antikriegsbewegung, die weit ins bürgerliche Lager reicht, beäugt die uneingeladenen Verbündeten ebenso misstrauisch wie geschmeichelt. Die Regierung Blairs setzt auf die traditionelle »besondere Beziehung« zu den Vereinigten Staaten. Sie hofft, dass Großbritannien als Juniorpartner der USA im innerimperialistischen Konkurrenzkampf an Gewicht gewinnen kann. Gerade weil kein anderes Land so treu zu den USA steht, soll London künftig Bedingungen stellen können. Und sicher wird die Bush-Administration alles tun, um nicht ihren wichtigsten westlichen Verbündeten zu verlieren, lautet das Kalkül.

Für wesentliche Teile des Establishments dagegen stimmt die Kosten-Nutzen-Rechnung bei diesen militärischen Unternehmen nicht. Sie drücken ihre Besorgnis aus, dass die Regierung Bush zu unvorsichtig mit dem fragilen Machtgefüge im Nahen Osten umgeht, und nennen Bushs Politik vorzugsweise »abenteuerlich«.

Das bedeutet nicht, dass diese Fraktion einen Krieg unter allen Umständen ablehnt. Sie will ihn nur nicht jetzt, sondern nach weiteren diplomatischen Bemühungen, um ein breiteres Bündnis gegen Saddam Hussein zu schmieden.

Eine entscheidende Frage ist dabei, ob der Angriff von der UN abgesegnet ist. Blairs bürgerliche Kritiker fürchten, dass sich Großbritannien an Bushs Leine in die internationale Isolation begibt. Und ganz besonders stört sie, dass die USA noch keinen Nachkriegsplan vorgestellt haben.

Das wichtigste britische Wirtschaftsmagazin, der Economist, hingegen nahm Blair Ende des vergangenen Jahres in Schutz: »Welche Ambitionen auch immer die Europäische Gemeinschaft hegt, solange sie keinen Ersatz bietet, stimmen unsere nationalen Interessen mit denen Amerikas überein.« Dem widersprechen die Freunde der EU, die auch die außenpolitische Zukunft Großbritanniens jenseits des Ärmelkanals sehen. Das allerdings würde bedeuten, eine langfristige Koalition mit Frankreich und Deutschland einzugehen, zwei aufstrebenden Großmächten. Für ein derart unsicheres Kalkül die traditionelle Rolle des Juniorpartners der USA aufgeben? Kein Wunder, dass Blair Kopfschmerzen bekommt.